Boris Becker verurteilt

"Irgendwann hat er einfach den Überblick verloren"

Becker-Biograf Christian Schommers über das Verhältnis der Tennislegende zu Geldgeschäften. "Für ihn haben alle anderen Schuld", sagt Schommers.

08.04.2022 UPDATE: 08.04.2022 19:45 Uhr 3 Minuten
Boris Becker (M), seine Lebensgefährtin Lilian De Carvalho Monteiro (l) und sein Sohn Noah Becker treffen am Southwark Crown Court ein. Foto: Alberto Pezzali/AP/dpa

Von Gabriele May

Heidelberg. Der Journalist und Buchautor Christian Schommers schrieb gemeinsam mit Boris Becker dessen Biografie "Das Leben ist kein Spiel", die hohe Wellen schlug. Der RNZ gegenüber spricht er darüber, wie es zu dem Prozess in London kommen konnte und wie Becker damit umgeht.

Herr Schommers, Sie haben Boris Becker über einen langen Zeitraum begleitet und an seiner Biografie mitgeschrieben. Haben Sie aktuell Kontakt zu ihm?

Er hat sich im Rahmen des Prozesses mehr oder weniger von allen zurückgezogen, die nicht unmittelbar mit dem Prozess zu tun haben. Im Moment hat er nur mit seiner Lebensgefährtin Lilian De Carvalho Monteiro, seinem Sohn Noah und seinen Anwälten Kontakt. Wir haben immer mal wieder sporadisch Kontakt, aber aktuell nicht.

Die Becker-Biografie von 2013 hat den Titel "Das Leben ist kein Spiel". Beim Thema Finanzen fehlt Becker diese Einsicht offensichtlich. Selbst sein Verteidiger sprach im Prozess davon, dass der einstige Tennis-Star nicht mit Geld umgehen kann. Haben Sie eine einfache Erklärung dafür?

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Man kann dazu sagen, dass er schon in seiner aktiven Karriere über seine Verhältnisse gelebt hat. Er hat ja nach eigener Aussage 25 Millionen verdient an Preisgelder und 25 Millionen an Werbeverträgen, ich glaube, es waren noch deutlich mehr. Er hatte natürlich permanent ein Riesentross an Mitarbeiter dabei, vom Physiotherapeuten bis zum Bespanner (der Tennisschläger) bis zum Trainer und seinen Frauen und Kindern. Dann die erste teure Scheidung von Barbara, Unterhaltszahlungen für Barbara, für Lilli, für Ermakowa, für den Unterhalt der Kinder – und irgendwann hat er einfach den Überblick verloren.

Um es einfach zu erklären, er hat die Dinge aus der Hand gegeben und mehr oder weniger aus der Hand in den Mund gelebt – auf großem Fuß, aber ohne Überblick auf seine Konten, die hat er bis heute offensichtlich nicht.

Hat er nicht auf seine Berater gehört oder wurde er oft falsch beraten?

Sowohl als auch. Der letzte wirklich gute Berater war Ion Tiriac, dann ist er gewechselt zu Axel Meyer-Wölden in München, der war auch noch gut, ist aber leider an Krebs gestorben. Danach wurden die Berater immer schlechter mit immer größeren Eigeninteressen, sie haben ihn teilweise in Wirtschaftsprojekte hineingetrieben, die absurd waren, irgendwelche Start-ups, irgendwelche Minen in Afrika und Immobilienprojekte, die nicht funktionierten. Nichtsdestoweniger ist er ein Mann mit 54, der tatsächlich nicht mehr alles auf seine Berater schieben kann. Das ist ja seine Strategie im Prozess, aber wie wir alle wissen, wenn ich Steuern hinterziehe, kann ich das am Ende des Tages auch nicht auf den Steuerberater schieben, da bin ich schon selbst verantwortlich, und diese Verantwortung lehnt er generell ab. Er versucht, das irgendwie seinen Beratern in die Schuhe zu schieben, das ist unterm Strich ein bisschen zu einfach, und das wird so auch nicht funktionieren.

Hat er in dieser Sache gar kein Unrechtsbewusstsein?

Nein. Nicht wirklich. Die Staatsanwälte und die Richterin halten ihn in 24 Punkten für schuldig und Boris hält sich in 24 Punkten für unschuldig. Das ist so ein Klassiker bei ihm, dass er eine andere Wahrnehmung hat, dass er versucht, negative Dinge einfach zu verdrängen. Und deshalb kam er ja auch in so eine Situation hinein und in den Tiefen seines Herzens ist er vermutlich immer noch der Meinung, alle anderen haben Schuld – nur er nicht. Das ist so ein Muster bei ihm, dass ihn leider auch in diese Situation gebracht hat.

Die Jury hat Becker in mehreren Punkten für schuldig befunden. Ihm droht damit eine Haftstrafe. Wie hart würde ihn ein Gefängnisaufenthalt treffen?

Das wäre natürlich eine Katastrophe für einen so freiheitsliebenden Menschen wie Boris, der sich selbst als Weltenbürger sieht und das auch ist. Wenn die Tür im Gefängnis zugeht hinter ihm und er nicht mehr arbeiten kann, seine Lebensgefährtin nicht mehr sehen kann, seine Kinder nicht mehr sehen kann – er ist ein extremer Familienmensch – dann ist er natürlich im Ausnahmezustand. Er ist zwar ein Kämpfer, aber mit so einem Thema umzugehen, das ist Wahnsinn. Vielleicht vergleichbar mit Uli Hoeneß, der ja auch über ein Jahr im Gefängnis war. Das ist, glaube ich ein massiv einschneidendes Erlebnis. Mental in allererster Linie, aber sicherlich auch gesundheitlich, körperlich ein absolutes Drama für so eine Ikone wir Boris Becker.

Man hat auf Bildern gesehen, dass neben seiner Lebensgefährtin Lilian auch Sohn Noah Becker ins Londoner Gericht begleitete. Glauben Sie, dass Becker ein gutes Umfeld mit Familie und Freunden hat, das die Situation ein wenig abfedern kann?

Ja, durchaus. Die aktuelle Lebensgefährtin Lilian tut ihm zweifelsohne gut, sie ist an seiner Seite. Man sieht ja, sie kommen Hand in Hand zum Prozess. Er hat einen sehr engen Draht zu seinen Söhnen Noah und Elias, hat auch immer noch einen relativ engen Draht zu Barbara. Das hilf ihm jetzt in so einer Situation natürlich schon. Auch seine Mutter steht ihm zur Seite.

Der Journalist und Boris-Becker-Biograf Buchautor Christian Schommers. Foto: zg
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