Walldürn

Jürgen Feder kämpft für mehr Naturschutz

Ein RNZ-Interview mit dem Landschaftsgärtner und Naturforscher. Er sagt: "Im Grunde müsste in Gedanken fast alles zum Naturschutzgebiet werden".

15.08.2021 UPDATE: 16.08.2021 06:00 Uhr 4 Minuten, 19 Sekunden
Jürgen Feder war vor Kurzem im Odenwald zu Gast und referierte bei der „Botanik-Safari“ unter anderem im Odenwälder Freilandmuseum über Pflanzenarten. Foto: Jana Schnetz

Walldürn. (jasch) Jürgen Feder, Autor und Diplom-Ingenieur für Landespflege, Flora und Vegetationskunde, zählt zu den bekanntesten Experten für Botanik in Deutschland. Als gefragter Referent zum Thema Farn- und Blütenpflanzenwelt ist er im ganzen Bundesgebiet unterwegs. Vor Kurzem machte er Station im Odenwälder Freilandmuseum und an der Bienenweide in Rippberg. Der begeisterte Naturforscher wurde 1960 in Flensburg geboren und arbeitet neben seinem Beruf als Landschaftsgärtner auch ehrenamtlich als Pflanzenkartierer beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten und Naturschutz.

Herr Feder, warum sind immer mehr Pflanzenarten vom Aussterben bedroht?

Die brauchen alte Standorte und wenig Nährstoffe. Das kann ruhig beschattet sein. Am meisten beeinflussen aber die Landwirtschaft, die massiv ausgebauten Straßen und der viele Dünger. Wir können die Nährstoffe nicht abfangen oder uns eine Plastikplane aufsetzen. Alle Arten sind diesen modernen Einflüssen ausgesetzt. Wenn ich frage, wo es hier noch Arnica gibt, ist großes Kopfschütteln angesagt.

Viele Menschen fragen sich, was sie für den Naturschutz tun können. Haben Sie einen Tipp?

Ich bin dafür, dass alle etwas weniger machen. Ein Wort, das ich in allen Diskussionen vermisse, ist einsparen. Es wird immer gesagt, es müsste Wirtschaftswachstum geben. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir eine gezielte Rezession brauchen. Ein langsames Abwärts müsste es geben. Wir müssen fauler und gelassener werden. Wir sollten auch ein bisschen mehr bezahlen für gute Ware und nicht dem Billigen hinterherlaufen. Dann würde automatisch weniger Natur verbraucht.

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Mit Naturschutzprogrammen sind Blühwiesen angelegt worden, immer mehr Landwirte sind in die Direktvermarktung eingestiegen. Sehen Sie nicht, dass sich etwas bewegt?

Es gibt ganz viele Ansätze, aber uns fehlt immer noch der Durchbruch. Es gibt zu viele Kräfte, die dagegen angehen und Ideen kaputt diskutieren, sodass Politiker gar nichts ändern müssen, auch, weil sie immer noch gewählt werden! Dieses ständige Kappen, Sägen und Bepinseln. Da ist viel fehlgeleiteter Aktionismus dabei. Wir müssen unser Wahrnehmungssystem wieder auf den neuesten Stand bringen und lernen, an die Situation angepasst zu handeln. Eine schöne Blume mäht man nicht ab! Da hört man auf, setzt um und lässt sie weiterblühen. So etwas vermisse ich total. Ich habe mich offen mit meinem Chef angelegt, weil ich bestimmte Kräuter nicht rausgezogen habe, weil ich wusste, dass sie schön und selten sind.

Also sollte jeder ein bisschen rebellischer werden?

Jeder sollte ein bisschen rebellisch sein und Kontrapunkte setzen, tatsächlich. Oft sehe ich drei gleiche Gärten mit den drei gleichen Gabionen (mit Steinen gefüllter Drahtkorb, Anm. d. Red.). Da fängt einer an und die Nachbarn meinen, sie müssten das nachmachen! Dabei gibt es viele pflegeleichte Blühpflanzen wie Königkerzen, Disteln, Gilbweiderich, Blutweiderich oder Sumpfdotterblume. Ich könnte Hunderte zusammenschreiben. Natürlich muss ich dann im Herbst etwas rausnehmen, aber wer seinen Garten liebt, der macht doch dort auch mal was. Ich habe immer das Gefühl, die Leute geben sich lebenslange Trost-Tristesse, dabei haben sie gar nichts gemacht. Sie wohnen wie in einem Kerker. Diese Hecken aus Kirschlorbeer und Taxus kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Man hat doch Gäste, man hat doch Kinder! Denen will man doch was vermitteln! Da kann ich doch keinen Rollrasen ausbringen, eine Alibi-Schaukel hinstellen und sagen, so werden meine Kinder groß.

Woran liegt das, dass die Leute zu wenig tun?

Wir haben kein Wissensdefizit, wir haben ein Handlungsdefizit. Die Leute sehen viel, aber tun nichts. Dabei kann jeder Einzelne viel mehr machen. Es gibt einen irren Markt, einen irren Informationsfluss darüber. In jeder Gemeinde gibt es jemanden, der sich auskennt und Tipps geben könnte. Im süddeutschen Raum sind viel mehr Leute, die auch noch ein bisschen was wissen. Im Norden sieht das anders aus, da bin ich manchmal fast noch Pionier, aber man könnte das alles installieren, wenn man wollte.

Was ist denn im Norden so viel anders, als im Süden?

Im Bergland kann der Trekker nicht überall hochfahren. Deswegen gibt es sogenannte Grenzertragsböden, die nicht viel abwerfen. Da kommt oft der Wald wieder zurück. In Norddeutschland kann man alles bewirtschaften. Wir im Norden sind weniger kleinstrukturiert, weil es bei uns flach ist. Wir können Gülle ausbringen ohne Ende. Dazu gehört auch die Massentierhaltung und dass für die Schlachtung durch ganz Deutschland gefahren wird. Das ist doch ein Unding. Wie bekloppt muss man sein, um dieses System nicht endlich zu durchbrechen? Aber da sind die Leute am Drücker, die daran verdienen. Da muss auch Hilfe von oben kommen, da können wir noch so viel verzichten.

Könnte man die Landwirtschaft überhaupt wieder zurückführen?

Auf jeden Fall. Man müsste die Landschaft wieder kleiner parzellieren. Wir brauchen Anpflanzprogramme, Rückführungsprogramme für artenreiche Wiesen, indem man weniger mäht. Ab Februar darf man schon Gülle ausbringen, das ist total hanebüchen. Die Böden halten noch gar nichts. Bei Regen wird das abgeschwemmt und man muss doppelt düngen. Es ist eine einzige Katastrophe, wie da argumentiert wird. Wir müssten die Ställe verkleinern, dann könnte man nicht so viele Tiere halten, und die Preise würden ansteigen. Und wer das nicht bezahlen kann, isst weniger Fleisch. Man muss nicht jeden Tag Fleisch essen. Das ist doch Wirtschaftsdiktatur. Wir hätten ein Milliardenprogramm nötig und das würde Hunderttausende Arbeitsplätze schaffen. Es müsste eine Art Grünrevolution geben. Wenn ich König von Deutschland wäre, würde ich sofort eine initiieren.

Ist das auch der Sinn dahinter, wenn Sie Botanik-Touren anbieten?

Ich habe Wendungsbewusstsein. Aber die Leute, die ich erreiche, sind ja im Grunde schon auf meiner Seite. Da ist kaum einer, der ganz neu dazukommt und sagt: "Ich ändere meine Meinung". Zu mir kommt kein Großbauer. Das Wissen wird ihnen nicht mehr vermittelt. Wer sich da mehr auf Naturfreundlichkeit ausrichten will, wird gnadenlos ausgegrenzt.

Resignieren Sie da nicht manchmal?

Ich bin Landespfleger, Vollblutbotaniker und ein Menschenfreund. Ich bin gerne in Bewegung, ich habe Kinder. Wenn man dann sieht, dass sich kaum etwas verändert, macht einen das ganz schön betrübt. Es gibt immer wieder tolle Momente, wie zum Beispiel die Bienenweide in Rippberg. Das sind Oasen. Ich glaube, ich habe 15 verschiedene Schmetterlingsarten gesehen. Aber sowas hat man viel zu selten. Im Grunde müsste in Gedanken fast alles zum Naturschutzgebiet werden.

Was wollen die Menschen von Ihnen wissen, wenn Sie solche Führungen anbieten?

Ich werde häufig gefragt, was den eigenen Garten betrifft, zum Beispiel, was man essen kann oder sehr lange blüht. Aber es ist nicht so sehr gefragt, was man draußen in der Landschaft machen kann. Die Leute haben ihren Alltag, das kann man auch verstehen. Es beginnt im eigenen Garten. Das größte Lob für mich ist, wenn die Leute sagen: "Mensch, Herr Feder, ich gehe anders spazieren, wir gucken viel mehr nach Kleinigkeiten und lassen die Blumen blühen." Das ist für mich schon ein großes Lob.

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