Tag der Befreiung 1945

Die jüdische Kultur in Hardheim blieb zerstört

Einst hatte die jüdische Gemeinde eine gewichtige Rolle gespielt - Kapitulation am 8. Mai brachte keine Verbesserung - Teil 1

07.05.2020 UPDATE: 08.05.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 57 Sekunden
Die Nationalsozialisten zerstörten den jüdischen Friedhof in Hardheim im Mai 1939. Im Jahr 1876 hatte Bezirksrabbiner Esslinger aus Merchingen den Friedhof geweiht. Das Foto stammt aus dem Nachlass von Willi Eirich. Repro: Torsten Englert

Von Torsten Englert

Hardheim. Vor 75 Jahren, am 8. Mai 1945, endete der Zweite Weltkrieg, eine der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Mehr als 55 Millionen Menschen ließen ihr Leben. In der Gemeinde Hardheim hatte fast jede Familie Angehörige verloren. In Hardheim fielen 145 Soldaten (55 Vermisste), in Bretzingen gab es 25 Gefallene (zwölf Vermisste), in Erfeld sechs Gefallene (33 Vermisste), in Gerichtstetten 33 Gefallene (16 Vermisste), in Schweinberg 24 Gefallene (22 Vermisste) sowie in Dornberg, Rütschdorf und Vollmersdorf 15 Gefallene (sechs Vermisste).

In Hardheim endete der Krieg bereits am 30. März 1945, als abends um 21 Uhr die Amerikaner den Ort besetzten. Am Tag des Waffenstillstands und der deutschen Kapitulation gab es bei den amerikanischen Soldaten im ganzen Ort eine große Feier. Zu den ersten Maßnahmen der amerikanischen Befehlshaber gehörte im Juli 1945 die Instandsetzung des jüdischen Friedhofs, den die örtlichen Nationalsozialisten im Mai 1939 zerstört hatten, ehe diese in Ludwigsburg interniert wurden. Doch auch nach der Wiedererrichtung des Judenfriedhofs in Hardheim blieb die jüdische Gemeinde Hardheim, die 1885 mit 155 Personen eine gewichtige Rolle im öffentlichen Leben gespielt hatte, für immer ausgelöscht.

Über 600 Jahre waren die Juden ein Teil der Hardheimer Ortsgeschichte. Die Anfänge reichen zurück ins Jahr 1318, als Kaiser Ludwig der Bayer die Hardheimer Juden um 200 Pfund Heller an die Ritter Werner und Reinhard von Hardheim verpfändete. Die jüdische Gemeinde musste damals schon eine gewisse Größe erreicht haben. Leider fehlen genauere Angaben.

In den Archivunterlagen findet man den ersten Hinweis auf eine Synagoge in Hardheim im Jahr 1679. Bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts bezeichnete man die kleine Synagoge in Hardheim im Volksmund als "Judenschul". Noch heute ist das Gebäude der ehemaligen Synagoge (heute Inselgasse) vorhanden.

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Bis ins Jahr 1875 wurden die jüdischen Mitbürger auf dem Friedhof in Külsheim beigesetzt. Im Dezember 1875 kaufte die jüdische Gemeinde auf Initiative des Synagogenrats Grund und Boden. Am 27. Juni 1876 weihte Bezirksrabbiner Esslinger aus Merchingen den Friedhof mit der ersten Beerdigung, es war Schemaia Billigheimer. Die letzte Beerdigung – von David Berwanger – fand am 29. Januar 1939 statt.

Das Ende der jüdischen Gemeinde von Hardheim war vor 80 Jahren am 22. Oktober 1940, als die geheime Staatspolizei (Gestapo) die verbliebenen 17 jüdischen Bürger, die noch nicht ausgewandert oder geflohen waren, abtransportierte. Nur fünf von ihnen überlebten, da sie noch mithilfe der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" zu ihren Verwandten in die USA auswandern konnten.

Kontakte zu ausgewanderten ehemaligen jüdischen Mitbürgern und deren Nachfahren pflegten schon früh der verstorbene Bäckermeister Robert Leiblein (1919–1993) und bis heute die Geschäftsfrau Renate Pietschmann. Gerhard Wanitschek (1932–2016) hat nicht nur zu vielen ehemaligen jüdischen Bürgern Kontakte gepflegt, auf seine Initiative und dank seiner finanziellen Unterstützung wurden Erinnerungstafeln im Gedenken an die ermordeten Hardheimer Juden im Schlossgarten aufgestellt. Er hat als Erster die Schicksale der verschleppten Hardheimer Juden aufgearbeitet. Seine Aufzeichnungen bilden bis heute eine wichtige Grundlage zur Forschung der jüdischen Gemeinde Hardheim.

Auf Initiative von Landrat Dr. Achim Brötel erschien im November 2008 ein Bildband über "Spuren jüdischen Lebens im Neckar-Odenwald-Kreis", den das Landratsamt des Neckar-Odenwald-Kreises herausgegeben hat. Der Bildband möchte nicht die Geschichte der Juden aufarbeiten, sondern dem Leser die noch heute sichtbaren Spuren und Dokumente näherbringen und ihn ermuntern, diese geschichtsträchtigen Orte selbst zu besuchen.

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