In Hardheim stößt man auf eine Mauer des Schweigens
Über Gewaltakte der Nazis gegen Juden während der Pogromnacht weiß man wenig

Schon vor der Pogromnacht wurden Juden in Hardheim unterdrückt und gegängelt. Ein SA-Mann (links) steht am 1. April 1933 vor dem Haus Selig. Foto: RNZ-Archiv / Privatbesitz
Hardheim. (hs) "Auf dem Weg von meinem Elternhaus in der Bretzinger Straße zur Schule standen morgens nach der Pogromnacht uniformierte Männer vor dem Anwesen Selig", berichtet eine Zeitzeugin in ihrem Rückblick. "Sie forderten alle Passanten und auch mich ganz hektisch zum raschen Weitergehen auf." Was war in dieser Pogromnacht vor 80 Jahren in Hardheim geschehen? Was war das Schicksal der Familie Selig und das der anderen Juden?
250 Synagogen, die in Flammen aufgingen und ausgeplündert wurden, 91 jüdische Bürger, die ermordet wurden, mehr als 25.000 Juden, die in Lager verschleppt wurden, etwa 7500 jüdische Geschäfte, die zerstört und geplündert wurden - das sind die erschreckenden Zahlen des Pogroms in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, als sich der blinde Judenhass der Nationalsozialisten im deutschen Reich manifestierte.
In Hardheim ging es glücklicherweise nicht ganz so schlimm zu. Dennoch wurden in der Synagoge in der Judengasse die Kronleuchter herabgerissen sowie die Gebetbücher beschmutzt und zerrissen. Außerdem kam es am am 9. und 10. November zu Verhaftungen und weiteren Zerstörungen.
Wobei sich eine Rekonstruktion der Geschehnisse als nicht einfach erweist. "Bei der Suche nach Zeitzeugen stößt man selbst heute noch auf eine Mauer des Schweigens", weist der Text zur Ausstellungseröffnung des Museumsvereins Erfatal im Jahr 1997 hin, "und erschwert eine vorurteilsfreie Aufarbeitung des seinerzeitigen Geschehens."
Und das ist heute, rund 20 Jahre später, nicht anders. Immer noch hüllen sich Zeitzeugen in Schweigen. Und die Zahl derer, die alles bewusst miterlebt hatten, wird immer kleiner. Die heutigen Senioren erlebten die damaligen Ereignisse als Kinder und können sich heute, 80 Jahre nach dem Geschehen, nicht oder nur bruchstückhaft an Einzelheiten erinnern.
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Festzuhalten ist bei alledem: In Hardheim selbst bekamen ganz wenige Menschen von dem nächtlichen Treiben etwas mit. Das mag an der späten Nachtzeit gelegen haben oder auch daran, dass es zwischen einem Mittwoch und Donnerstag war und die Menschen morgens wieder zur Arbeit mussten und deshalb schliefen.
Theresia L., die inzwischen verstorben ist, wusste zu berichten, dass aus den Fenstern des Gasthauses "Zum Ochsen" die Gäste dem Treiben zugeschaut hätten. Angeblich hätten sich Hardheimer zu der Zeit nicht auf die Straße getraut, denn alles sei dunkel, schwach beleuchtet und unheimlich gewesen. Dass Häuser von Juden aufgesucht und betreten wurden oder jüdische Bürger belästigt wurden, konnte nirgendwo ermittelt werden.
Dass dies auch heute noch ein sensibles Thema zu sein scheint, verwundert nicht. Denn hinter vorgehaltener Hand wird immer wieder berichtet, dass es Höpfinger SS-Leute gewesen sein sollen, die die Synagoge beschädigten. Aber es soll auch ein Hardheimer SA-Mann dabei gewesen sein, dem man später den Beinamen "Synagogenstürmer" verliehen habe. Die anderen Hardheimer SA-Männer seien dagegen nach unbestätigten Berichten nach Königheim beordert worden, um dort zu schänden.
Dass Höpfinger SS-Männer im Zusammenhang mit dem Pogrom in Hardheim in Erscheinung getreten sind, ist durch eine Meldung des Leiters der Gendarmerie-Station Hardheim, Gendarmerie-Meister Hauser, an das Bezirksamt Buchen vom 13. November 1938 belegt, in der es heißt: "Im Auftrag der Geheimen Staatspolizei (Außendienststelle Mosbach) [...] wurden am 10. November 1938 in der Gemeinde Hardheim neun Juden festgenommen und nach Mosbach transportiert. Laut Anordnung wurden zur Erledigung des Auftrags drei SS-Männer zugezogen, sämtliche von Höpfingen und daselbst wohnhaft." Die jüdischen Männer sollen, so berichteten Zeitzeugen, allesamt nach einigen Tagen wieder heimgekehrt sein.
Unter ihnen befand sich auch Abraham Selig. Er war wohl einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Hardheimer Juden. In seinem Besitz befanden sich unter anderem auch eine Terzerole, also eine kleine Vorderladerpistole, sowie fünf Schlagringe.
Das weiß man, weil all dies konfisziert wurde. Am 10. November nämlich ordnete der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei an, dass alle Juden ihre Schuss-, Hieb- und Stichwaffen abzugeben hätten. Das Bezirksamt in Buchen ordnete am 11. November an, den Vollzug dieser Maßnahme bis zum 14. November um 12 Uhr zu melden. Polizeiwachtmeister Fridolin Käflein wurde vom Bürgermeisteramt beauftragt, alle jüdischen Familien von dieser Anweisung zu unterrichten und deren Waffen entgegenzunehmen.
"Juden, die nachher noch im Besitz von Waffen betroffen werden, kommen für 20 Jahre in ein Konzentrationslager", schreibt das Bezirksamt an die Gemeindeverwaltung.
Und das war erst der Anfang der Repressionen gegenüber den Juden, die schlussendlich zum Ende der jüdischen Gemeinde in Hardheim führten ...



