Kartoffelspaziergang im Odenwälder Freilandmuseum
Kartoffel trieb Aufstieg des Westens an - Wissenswertes rund um die tolle Knolle vermittelt

Gottersdorf. (jam) Wegen ihr entbrannte ein Kleinkrieg bei Köln, Vincent van Gogh widmete ihr gleich mehrere Werke, die Inka errichteten ihre Kultur rund um sie, und Hollywood räumte ihr sogar eine zentrale Rolle im Science-Fiction-Drama "Der Marsianer" ein: Die Rede ist von der Kartoffel, die sich als Grundnahrungsmittel so großer Beliebtheit erfreut, dass ihrer am 19. August weltweit gedacht wird. Die RNZ hat einigen ihrer Leser im Rahmen der Sommertour ermöglicht, im Odenwälder Freilandmuseum bei Walldürn mehr über die "tolle Knolle" zu erfahren.
Zu diesem Zweck musste die Geoparkvorortführerin Monika Frisch weit ausholen. Nach einem Spaziergang durch das ausgedehnte Museum, dessen 16 Häuser bis ins kleinste Detail liebevoll und authentisch eingerichtet sind, begann die Pädagogin ihre Geschichte der Kartoffel bei den Völkern Südamerikas, die in den Anden zahlreiche Sorten bereits seit Jahrtausenden kultivierten.
Wie das Museum am eigenen Kartoffelacker eindrucksvoll veranschaulicht, ist die Farbe der Knolle dabei ebenso wenig vorgegeben wie die der Blüten. "Die ,gelbe Kartoffel‘ ist eine Anpassung an den europäischen Markt", erklärt Frisch. Neben den herkömmlichen Sorten gibt es solche, die dunkelrote, rosa- oder lilafarbene Kartoffeln hervorbringen. Beim Anblick einer dieser Knollen entfuhr es einem Höpfinger Teilnehmer prompt: "Wie viel Schnaps habt ihr der Kartoffel gegeben, dass die so blau geworden ist?"

In Deutschland bremsten zunächst viele Vorurteile den Aufstieg der "Tartuffeln" zum "Volksnahrungsmittel" aus. Die Widerstände der Bevölkerung gegen die "Erdäpfel" waren groß, die Kirche verdammte die Knolle sogar als "dämonisches, lüsternes Gewächs und als Frucht des Bösen", die Lepra oder gar die Pest verursache. Doch die Wende brachte nicht erst der vielbemühte Kartoffelbefehl Friedrichs II, der damit 1756 den Anbau der Kartoffel in den preußischen Provinzen zum Teil unter Androhung von harten Strafen anordnete. Denn: "Die Franken waren wieder einmal die Ersten", erklärt Monika Frisch.
Bereits 1647 pflanzte ein oberfränkischer Bauer die Kartoffel in Pilgramsreuth erstmals in Deutschland feldmäßig an. Später gelang es Friedrich II. sogar, die "Kirche ins Boot zu holen", wie es die Museumspädagogin ausdrückt. Sogenannte "Kartoffelprediger" verwiesen im 18. Jahrhundert von der Kanzel aus auf die vorteilhaften Eigenschaften der Knolle: Sie wächst auf schlechten Böden in kühlen Regionen und gibt viel Ertrag.
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Zwar hatte es gedauert, bis die Landbevölkerung diese Vorzüge erkannte, dann aber trieb die Kartoffel den Aufstieg des Westens an. "Indem sie die schnell wachsende Bevölkerung ernährte, erlaubte es die Kartoffel einer Handvoll europäischer Nationen, zwischen 1750 und 1950 über einen Großteil der Welt zu herrschen", beschreibt es der amerikanische Historiker William H. McNeill.
Spätestens nach diesem Exkurs in die Geschichte brannten den Teilnehmern viele Fragen auf den Lippen, die die Museumspädagogin Monika Frisch mit viel Wissenswertem und mancher Anekdote beantwortete. Der optimale Zeitpunkt, die Kartoffel anzupflanzen, steckt zum Beispiel in einer Bauernweisheit: "Legst du mich im März, treibst du mit mir Scherz. Legst mich im April, komm ich, wann ich will. Legst du mich im Mai, dann komm ich glei’."
Atlanta, Annabelle, Lady Rosetta, Pamela und Valeta: "Die Namen der Kartoffelsorten liegen gut auf der Zunge und sollen schon beim Aussprechen Appetit machen", erklärt Frisch. Dass Züchter bislang vor allem wohlklingende Frauennamen gewählt haben, gefällt offenkundig nicht "jedermann". Die Bundestagspetition mit der Nummer 66.662 forderte ein "ausgewogenes Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Kartoffelnamen bei der Sortenbestimmung", scheiterte allerdings mit nur 108 von 50.000 benötigten Unterschriften am Quorum.

Die Sisyphusarbeit, die eigenen Pflanzen gegen den berüchtigten Kartoffelkäfer zu verteidigen, bot ebenfalls reichlich Gesprächsstoff. "Der Käfer aus Colorado hat schon großen volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet", so Frisch. Ihr zufolge haben einige Nationen in Kriegszeiten das Auftreten des Plagegeists für ihre Propaganda benutzt und dem aktuellen Lieblingsgegner die Schuld am Kahlfraß auf den Feldern in die Schuhe geschoben. Für die Kleinen eröffneten die Käfer dagegen ungeahnte Möglichkeiten. "Von der Fangprämie für den Kartoffelkäfer konnten sich viele Kinder ihre erste eigene Süßigkeit kaufen", erzählt Monika Frisch. "Sei ein Kämpfer, sei kein Schläfer! Acht auf den Kartoffelkäfer!", lautete der Slogan, unter dem man ganze Schulklassen auf die Felder schickte, um dem Käfer händisch den Garaus zu machen.
Nach weiteren Tipps, wie man zum Beispiel mit Neem-Öl oder regelmäßigem Wechsel der Anbaufläche den Kartoffelkäfer fernhält, durften sich die Teilnehmer selbst daran versuchen, mit einem "Karscht" die Knollen aus dem Museumsacker auszugraben. Was dabei sofort augenscheinlich wurde: Der Ertrag bei den speziellen Sorten ist deutlich geringer. "Wenn ich die kleinen Knollen schäle, bleibt ja gar nichts mehr über", brachte es eine Teilnehmerin aus Laudenberg auf den Punkt. Zu dementsprechend teureren Preisen müssen die Erzeuger diese Sorten auf den Wochenmärkten oder in ihren Bauernläden anbieten. "Die Verbraucher haben es mit ihrem Einkaufsverhalten in der Hand, ob solche alten Sorten weiter bestehen", appellierte Monika Frisch an die Teilnehmer der Führung.
Um zu verdeutlichen, dass sich eine solche Investition durchaus rentieren kann, lud sie anschließend zu einer Verköstigung in der Museumsgaststätte ein, bei der das Personal Quark zu den Knollen in den unterschiedlichsten Farben reichte.
Dort hatte eingangs die Museumsleiterin Margareta Sauer einen kurzen Überblick über das Museum und seine 30-jährige Geschichte gegeben. Derzeit entsteht im Odenwälder Freilandmuseum mit der Scheune Lampenhain das 17. Gebäude. Es beherbergt neben einer modernen Toilettenanlage Raum für die Museumspädagogik sowie für Dauerausstellungen.



