So ist die Corona-Lage im Landkreis
Kreis-Gesundheitsamtsleiterin Martina Teinert erklärt die Lage: Infektionen gibt es vor allem im Privaten und Beruflichen.

Von Stephanie Kern
Neckar-Odenwald-Kreis. Die Inzidenz im Kreis sinkt, dem überregionalen Trend kann sie allerdings nicht ganz folgen. Deutschlandweit war sie gestern zum ersten Mal seit 20. März unter 100. Im RNZ-Interview gibt die Leiterin des Gesundheitsamts im Neckar-Odenwald-Kreis, Dr. Martina Teinert, eine Einschätzung zur aktuellen Lage in der Region ab.
In vielen Kreisen ist die Inzidenz schon unter 100. Bei uns blieb sie in den vergangenen Tagen aber noch deutlich über 100. Was sind mögliche Gründe?
Bis auf wenige Ausnahmen haben wir im Kreis ein diffuses Infektionsgeschehen, das sich im Bereich von privaten und beruflichen Kontakten abspielt. Wir konnten in vergangenen Wellen beobachten, dass die Fallzahlen im Neckar-Odenwald-Kreis später angestiegen sind als in den Nachbarkreisen, dafür dann aber auch später gesunken sind. Warum das so ist, darüber kann man nur spekulieren. Es gilt aber weiterhin unser Appell: Wer im näheren Umfeld von Corona-Infektionen erfährt und irgendeine Art von Kontakt hatte, sollte sich zumindest regelmäßig per Schnelltest testen (lassen), bei Kontakten zu anderen Menschen sehr vorsichtig sein und konsequent Maske tragen. Das gilt im Sinne der Vorsorge dann für alle Familienmitglieder, bis klar ist, dass sich niemand infiziert hat. Nur so bekommen wir auch im Kreis die Inzidenz gesenkt und können öffnen.
Wie steht es um die Altersstruktur: Infizieren sich mehr Jüngere?
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Das Durchschnittsalter der aktuell Infizierten liegt bei 42,6 Jahren und ist damit deutlich niedriger als zum Beispiel noch im Dezember. Aktuell am stärksten betroffen sind die Altersgruppen der 20- bis 29-Jährigen und 50- bis 59-Jährigen.
Immer öfter liest man jetzt von Infektionen in Schulen und Kindergärten. Die ganz großen Ausbrüche gibt es aber nicht?
An Schulen und Kitas sind es derzeit 19 aktive Fälle, vor einer Woche waren es mit 21 Fällen ähnlich viele. Es war klar, dass mit den Öffnungen hier die Fallzahlen steigen werden. Es bleibt aber festzuhalten, dass dank der Umsicht der Verantwortlichen und der Umsetzung der Hygieneregeln größere Ausbrüche bisher vermieden wurden.

Sind Sie überhaupt noch in der Lage, Kontaktpersonen nachzuverfolgen?
Wir sind vollumfänglich in der Lage, die Kontaktpersonennachverfolgung zu gewährleisten, wobei man natürlich sagen muss, dass der absolute Schwerpunkt der Arbeit des Gesundheitsamtes derzeit in der Pandemiebekämpfung liegt.
Wie sieht es im Amt aktuell aus, wie belastbar sind die Mitarbeiter noch, wie viel Hilfe mussten Sie schon dazu nehmen?
14 Monate Pandemiebekämpfung fordern schon eine hohe Einsatzbereitschaft und verursachen eine hohe Arbeitsbelastung. Natürlich existiert da auch bei uns eine gewisse Corona-Müdigkeit. Das Gesundheitsamt wurde zwar in der Vergangenheit durch weiteres Personal aufgestockt und wir wurden sowohl durch zahlreiche Kollegen aus dem Landratsamt als auch durch die Bundeswehr unterstützt. Dennoch muss man allen Kollegen des Fachdienstes Gesundheitswesen und den unterstützenden Mitarbeitern des Landratsamtes nur danken für ihr Engagement seit über einem Jahr, in dem das Gesundheitsamt an sieben Tagen die Woche die Pandemie bekämpft und Mitarbeiter oft kurzfristig aus dem freien Wochenende zur Verstärkung gebraucht werden. Dies geschieht wohlgemerkt ohne Murren.
Wie viele Menschen, die an Corona erkrankt sind, kennen Sie persönlich? Wie erleben Sie die Erkrankungen bei den Menschen?
Gleich zu Beginn der ersten Welle hat es aus der weiteren Verwandtschaft einen rüstigen, noch gar nicht so alten Herrn erwischt, mit Intensivstation, wochenlanger Beatmung und Ringen zwischen Leben und Tod. Er hat es schließlich geschafft, ist aber schwer gezeichnet. Dadurch war die ganze Familie schon sehr früh sensibilisiert, also noch vor den bekannten Bildern aus Bergamo. Ähnlich erleben wir es auch in den Telefonaten. Es ändert den Umgang mit dem Thema, sobald man jemanden persönlich gekannt hat, der einen schweren oder gar tödlichen Verlauf hatte.
Ein Kritikpunkt, der oft geäußert wird: Man wisse ja gar nicht, wie viele Menschen schwer erkranken. Fragen Sie Symptome bei positiv Getesteten ab, erkundigen Sie sich nach dem Gesundheitszustand?
In dem Telefonat mit den Indexpatienten werden routinemäßig die Symptome erhoben und nach dem Gesundheitszustand gefragt, manchmal auch im Verlauf, in jedem Fall aber vor Ende der angeordneten Quarantäne. Hier haben wir eine Fülle von Daten, die es einmal auszuwerten gilt. Was aber Ihre Frage betrifft, so haben wir die eindrücklichen Zahlen aus den Krankenhäusern und den Intensivstationen, die zumindest die ganz schweren Fälle abbilden. Corona ist für alle Altersgruppen potenziell sehr gefährlich. Alle anderen Aussagen kann ich als epidemiologisch ausgebildete Medizinerin nicht nachvollziehen und sie entbehren jeder wissenschaftlichen Basis.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie die Bilder aus Indien sehen? Was erhoffen Sie sich für den Kreis für die kommenden Wochen?
Die Berichte und Bilder aus Indien zeigen, wie sich eine pandemische Lage innerhalb kürzester Zeit verändern kann. Noch vor wenigen Monaten waren die Fallzahlen in Indien deutlich geringer, in kurzer Zeit hat sich diese bedrohliche Situation entwickelt. Auch wenn wir hier medizinisch deutlich besser aufgestellt sind, zeigt dies doch, wie umsichtig und sorgfältig mit der jetzigen Situation, der, wie es scheint, ausklingenden dritten Welle umgegangen werden muss. Wir können langsam wieder öffnen, wenn gleichzeitig allen Beteiligten bewusst ist, dass die Gefahr noch nicht vollends gebannt ist und Vorsichtsmaßnahmen zum Erhalt des bisher Erreichten absolut notwendig sind.
Freiheiten für Geimpfte: Wie stehen Sie dazu?
Die Pandemie hat es notwendig gemacht, dass wir Grundrechte einschränken mussten. Die Ansteckungsgefahr ist durch eine Impfung so stark reduziert, sodass hier in der Güterabwägung diese Einschränkungen wohl juristisch nicht mehr zu rechtfertigen sind. Ich hoffe, dass es durch einen raschen Fortschritt der Impfkampagne möglich sein wird, dass in kurzer Zeit möglichst viele Mitbürger von den Erleichterungen in gleicher Weise profitieren.



