So bewertet der Landrat sinkende Corona-Zahlen, Impftheater und Aussichten
Landrat Achim Brötel über sinkende Fallzahlen, Ärger über die Vergabe der Impftermine und den Blick in die Glaskugel.

Von Rüdiger Busch und Heiko Schattauer
Neckar-Odenwald-Kreis. Impftheater, Mutationen, aber auch ein wenig Licht am Ende des Tunnels: Die Corona-Pandemie liefert immer wieder neue Entwicklungen und Schlagzeilen. Durch die Region wehte zuletzt ein zarter Hauch der Hoffnung, ganz allmählich scheinen die harten Maßnahmen auch ihre gewünschte Wirkung zu entfalten. Wäre da nicht der Ärger über den beschwerlichen Weg zur Impfung. Wie bewertet man eigentlich im Landratsamt die jüngsten Entwicklungen, den Impffrust der Bürger, die Aussichten? Die RNZ hat bei Landrat Achim Brötel nachgefragt.
Fangen wir mit dem Erfreulichen an: Die Coronamaßnahmen zeigen endlich auch im Landkreis Wirkung, die Kurve der Neuinfektionen ging in den letzten Wochen deutlich zurück: Sind wir über den Berg?
Wir haben in der Tat einen spürbaren Rückgang der Fallzahlen. Daraus eine belastbare Prognose abzuleiten, ob wir tatsächlich schon über den Berg sind, halte ich jedoch nicht für möglich, zumal wir auch im landesweiten Vergleich nach wie vor auf einem relativ hohen Niveau liegen. Und: Niemand weiß momentan wirklich, wie sich die Mutationen noch auswirken werden, die inzwischen ja auch bei uns nachgewiesen wurden. Allerdings sind sinkende Fallzahlen mit Sicherheit eine zwingende Voraussetzung, um die mutierten Virusvarianten überhaupt eindämmen zu können. Deshalb brauchen wir eine möglichst niedrige Inzidenz und parallel dazu schnell ansteigende Impfzahlen. Wenn wir dieses Paket schnüren könnten, wäre viel gewonnen.

Ab welchem Inzidenzwert halten Sie die Virusverbreitung für einigermaßen kontrollierbar?
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Zumindest die wissenschaftlichen Studien, die mir bekannt sind, gehen davon aus, dass ab einer Inzidenz von unter 50 eine nachhaltige Eindämmung des Infektionsgeschehens möglich ist. Ich gehöre allerdings nicht zu denen, die quasi über Nacht vom vermeintlichen Fußball-Experten zum selbst ernannten Top-Virologen geworden sind. Deshalb muss ich mich schon ein Stück weit auf die fachliche Expertise derer verlassen, die sich da wirklich auskennen. Am allerliebsten wäre es mir aber, wenn dieser ganze Mist einfach wieder verschwinden würde. Vermutlich wird jedoch eher das Gegenteil der Fall sein. Wir werden lernen müssen, mit dem Virus zu leben.
Die Unzufriedenheit der Menschen nimmt zu, immer mehr hadern mit der Politik. Haben Sie Verständnis für die wachsende Ungeduld?
Wir alle sehnen uns danach, endlich wieder in ein halbwegs normales Leben zurückkehren zu können. Dass man da irgendwann ungeduldig wird, ist völlig normal. Ich glaube, den meisten fehlt momentan vor allem die konkrete Perspektive. Es ist die permanente Ungewissheit, die uns zusetzt. Und: Es ist auch so manche Entscheidung der Politik, die man wirklich nur schwer nachvollziehen kann. Warum etwa der kleine Einzelhändler mit ausgeklügeltem Hygienekonzept geschlossen bleiben muss, der große Supermarkt dasselbe Sortiment aber an große Käuferscharen munter weiter verkaufen darf, muss man erst einmal jemanden erklären können.
150 Impfungen die Woche statt 750 am Tag, ein Anmeldeprozedere das viele überfordert, verärgert, ja verzweifeln lässt. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in Sachen Coronaimpfungen? Sie bekommen sicher auch viel Feedback, um es mal wertfrei auszudrücken…
In der Tat: Nicht wenige arbeiten grad ihren Frust auch an uns ab. Zu Unrecht allerdings. Die kommunale Ebene hat nämlich auch dieses Mal alles pünktlich und gut erledigt. Unser Kreisimpfzentrum, das wir für das Land aufgebaut haben, wäre schon deutlich vor der Zeit startklar gewesen und könnte vor allem auch eine wesentlich höhere Zahl an Impfungen leisten. Im Grunde geht alles aber immer auf denselben Punkt zurück: Wir haben momentan einfach noch einen riesigen Verteilungskampf um viel zu wenig Impfstoff. Wenn sich das ändert, können wir unsere Kapazitäten aber binnen kürzester Zeit auf bis zu 750 Impfungen pro Tag hochfahren. Vielleicht nicht von jetzt auf morgen, aber bestimmt von jetzt auf übermorgen. Und: Selbstverständlich an sieben Tagen in der Woche, auch samstags und sonntags.
Ist es nicht besonders ärgerlich, dass man im Kreis eigentlich seine Hausaufgaben gemacht und rechtzeitig abgeliefert hat, und nun – weitgehend optionslos – zusehen muss, dass es nicht läuft?
Man muss sicher sehen, dass es momentan schon auch eine außergewöhnliche Situation ist, für die es einfach keine Blaupausen gibt. Die Erfahrung zeigt aber, dass auf die Kommunen immer noch am meisten Verlass ist. Das gilt für Städte, Gemeinden und Landkreise gleichermaßen. Deshalb hätte ich mir schon gewünscht, dass man uns seitens des Landes nicht nur Vorgaben bis ins letzte Detail macht, sondern vor allem auch Spielräume für flexiblere Lösungen vor Ort gelassen hätte. Dass beispielsweise noch nicht einmal das Klinikpersonal im Krankenhaus selbst geimpft werden darf, sondern dafür ins Kreisimpfzentrum kommen muss, soll verstehen, wer will. Ich gehöre jedenfalls nicht dazu.

Kann nicht der Landkreis selbst die Koordination der Impftermine übernehmen? Die zentrale Vergabe über eine von der KV gebildete Einheit scheint nicht der Weisheit letzter Schluss. Bürger, die sich um einen Impftermin bemühten, berichten auch immer wieder von irreführenden Aussagen der Hotline-Mitarbeiter.
Das Sozialministerin hat sich für den zentralen Zugangsweg ausschließlich über die Hotline oder die Website www.impfterminservice.de entschieden. Wenn wir so viel Impfstoff hätten, dass für jeden Tag 750 Termine vergeben werden könnten, wie es ja ursprünglich geplant war, hätte das sicher auch funktioniert. So aber kommt es immer wieder zu der skurrilen Situation, dass das Land die nur wenigen Slots um Mitternacht freischaltet und dann morgens, wenn die Hotline mit ihrer Arbeit beginnt, schon alles vergeben ist. Dass die Menschen da sauer sind, verstehe ich gut. Da hätte man sich zumindest vorübergehend nämlich sicher auch wesentlich bürgerfreundlichere Wege ausdenken können. Wir hatten sogar ausdrücklich angeboten, ein eigenes Callcenter einzurichten. Diesem Wunsch ist das Sozialministerium allerdings nicht nachgekommen. Jetzt sind aber ja zumindest Nachbesserungen über die Recall-Funktion angekündigt. Ich bin gespannt, ob es dann besser funktioniert.
Nun wird ja nur ein Bruchteil der Impfungen vorgenommen, das KIZ ist nur an zwei, drei Tagen in der Woche in Betrieb. Die Verträge mit den Ärzten und Mitarbeitern sind aber doch für einen täglichen Betrieb abgeschlossen worden, oder? Wie ist das nun geregelt? Wird da nicht viel Geld eingesetzt für das dann gar nicht die entsprechende Leistung erbracht werden kann?
Ab dem 10. Februar planen wir derzeit sogar mit vier Impftagen pro Woche. Dann soll das Kreisimpfzentrum am Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag geöffnet haben. Alles das steht aber natürlich unter dem Vorbehalt, dass genügend Impfstoff geliefert wird. Aber: Es geht aufwärts. Was das Personal anbelangt, hat das Land für den gesamten medizinischen Betrieb die Letztverantwortung übernommen. Ärzte und medizinische Fachangestellte werden deshalb über Listen der Kassenärztlichen Vereinigung und der Landesärztekammer bzw. einen vom Land beauftragten Personaldienstleister rekrutiert. Dieses System ermöglicht auch einen tageweisen Abruf und funktioniert in der Praxis gut.
Ansonsten sind wir aber verpflichtet, einen bis ins Detail vorgegebenen Personalbestand an sieben Tagen in der Woche und für Öffnungszeiten von 7 bis 21 Uhr vorzuhalten. Wir tun das natürlich unter strikter Beachtung des Sparsamkeitsgrundsatzes. Allerdings ist weder eine tageweise Anmietung der Immobilie noch eine tageweise Rekrutierung des gesamten Personals möglich, je nachdem ob gerade genug Impfstoff da ist oder nicht. Die dafür anfallenden Kosten muss uns das Land deshalb natürlich auch für diejenigen Tage erstatten, an denen gar nicht geimpft werden kann.
Wie ist denn die Perspektive? Gibt es Signale, dass und wann mehr Impfstoff kommt?
Momentan haben wir leider tatsächlich nur bis zum 20. Februar konkrete Zusagen. Allerdings sieht es ja schon so aus, als ob der Zulauf in den nächsten Wochen deutlich wachsen könnte. Drücken wir uns deshalb gegenseitig die Daumen, dass das tatsächlich auch klappt. Ich finde bei aller verständlichen Kritik aber immer noch, dass es im Grunde genommen eine fantastische Leistung ist, binnen eines einzigen Jahres gleich mehrere Impfstoffe zu entwickeln, sie zu erproben und durch das aufwendige Zulassungsverfahren zu bringen und jetzt in die Produktion zu überführen. Das, was viele gerne als Versagen brandmarken, ist in Wirklichkeit doch eine echte Sensation, über die wir uns gerade umgekehrt so richtig freuen sollten. Jetzt gilt es eben, die letzte Durststrecke auch noch zu überstehen. Zaubern kann schließlich niemand.
Apropos Perspektive: Ab wann dürfen die Bürger mit etwas mehr Normalität rechnen? Kommt im Herbst der nächste Lockdown? Wie schätzen Sie die Lage langfristig ein: Werden wir überhaupt wieder so leben wie früher?
Wenn das Wörtchen "wenn" nicht wär … Sorry, aber ich weiß es nicht. Der letzte Kongress der Hellseher-Vereinigung ist auch ausgefallen – wegen nicht vorhersehbarer Ereignisse. Mit Sicherheit werden wir so etwas wie eine Herdenimmunität brauchen, um tatsächlich wieder in die gewohnte Normalität zurückkehren zu können. Ob das aber überhaupt möglich ist, oder ob es vielleicht auch Mutationen geben wird, die gar nicht auf eine Impfung ansprechen, ist in meinen Augen reine Spekulation. Ich persönlich glaube eher, dass es auf Dauer anders bleiben wird und wir nur einen Teil dessen zurückgewinnen werden, was uns früher ganz selbstverständlich erschienen ist. So gesehen kann das aber auch ein ganz heilsamer Schuss vor den Bug sein. Vielleicht sollten wir nämlich auch darüber nachdenken, ob überhaupt alles tatsächlich wieder so werden muss wie früher oder ob Corona nicht umgekehrt auch eine Chance ist, um bestimmte Dinge endlich mit anderen Augen zu sehen.
Zum gewohnten Leben gehört für einen bekennenden Fastnachter wie Sie die fünfte Jahreszeit einfach dazu: Was machen Sie nun zwischen dem Schmutzigen Donnerstag und Aschermittwoch?
Auch das wird in der Tat anders sein. Allerdings fällt die Fastnacht ja nicht aus. Wir können sie nur nicht wie gewohnt gemeinsam feiern. Ich werde deshalb zwar ganz normal im Dienst sein, was ich zuletzt vor fast 30 Jahren als junger Staatsanwalt in Mosbach tun musste, weil alle anderen schon Urlaub eingetragen hatten, ehe ich überhaupt dazu gestoßen war. Damals habe ich mir felsenfest geschworen, dass mir das nie mehr passiert. Zumindest die "Huddelbätz"-Jacke gehört deshalb natürlich auch jetzt dazu. Ich habe just am Schmutzigen Donnerstag eine Videoschalte mit Ministerin Dr. Susanne Eisenmann. Den Anblick wird sie eben ertragen müssen. Die entscheidende Frage lautet dann wahrscheinlich: Wollen wir nicht alle närrisch sein?



