Natzweiler/Neckarelz

Als Natzweiler am Neckar lag

Vor 75 Jahren bildeten Guttenbach und Binau für vier Monate das Zentrum des KZ-Komplexes

10.12.2019 UPDATE: 11.12.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 16 Sekunden
Französische und amerikanische Flaggen vor dem Lagertor Natzweiler am 23. November 2019. Foto: Dorothee Roos

Natzwiller/Neckarelz. (dr) Natzweiler im Elsass, 23. November 2019. Eine feierliche Zeremonie, Trikoloren, militärisches Zeremoniell. Es sprechen französische Würdenträger, doch auch die amerikanische Botschafterin ist aus Paris zur Gedenkstätte des Konzentrationslagers Natzweiler im Elsass gekommen. Gemeinsam erinnern sie daran, dass vor genau 75 Jahren, am 23. November 1944, Soldaten der III. US-Infanterie-Division das in 800 Metern Höhe an einem Vogesenhang gelegene Lager Natzweiler entdeckt haben.

Entdeckt, nicht befreit – denn das Lager war leer. Am 1. September 1944 hatte der Kommandant von Natzweiler, SS-Obersturmbannführer Friedrich Hartjenstein, den Räumungsbefehl erteilt. Häftlinge aus den 13 Außenlagern in Lothringen und dem Elsass waren zuvor in Natzweiler zusammengezogen worden; mit über 6000 Mann war das Hauptlager völlig überfüllt. In den ersten Septembertagen rollten die Züge. Tausende wurden zum Konzentrationslager Dachau gebracht und von dort dann auf Außenlager der Komplexe Dachau und Natzweiler weiterverteilt. Manche gelangten auch direkt in schon bestehende oder neu gegründete Außenlager. Das war das "erste Ende" des Lagers Natzweiler auf der linken Rheinseite.

In unserer Region entstanden ab September 1944 drei neue, kleine Lager: bei Neckarbischofsheim, bei Asbach und in Bad Rappenau. Dies hatte indirekt mit der Auflösung und "Ostschiebung" des Natzweiler-Komplexes zu tun, denn 400 Männer kamen im September aus dem elsässischen Wesserling/Urbès ins Außenlager Neckarelz. Die erhöhte Belegung machte die Bildung von größeren Arbeitskommandos möglich.

Diese Kommandos bauten in Neckarbischofsheim und Asbach Unterkünfte für die geplante Ansiedlung von weiteren Tausenden von Daimler-Arbeitern aus Genshagen, Arbeitskräfte für die unterirdische Flugzeugmotorenfabrik "Goldfisch" bei Obrigheim. Die Arbeitskommandos wurden ab Herbst zu eigenen kleinen Lagern, wo die Menschen dauerhaft blieben. Im kleinsten dieser neuen Lager, untergebracht im Salinenhäuschen Bad Rappenau, arbeiteten die Häftlinge nicht für "Goldfisch", sondern für den Bauhof der SS, wo Beutegut aus ganz Europa gelagert war.

Zurück ins Elsass: Wie gesagt, fanden die amerikanischen Soldaten im November 1944 in Natzweiler ein leeres Lager vor. Doch die "Belegungsstärke" des Natzweiler-Komplexes betrug am 20. November 1944 genau 20.631 Häftlinge. Bis 22. November hatten der Stellvertreter des Kommandanten und der etwa 20-köpfige SS-Verwaltungsstab noch im ehemaligen Hotel Struthof unterhalb des leeren Lagers gewohnt. Zusammen mit wenigen noch verbliebenen Häftlingen hatten sie quasi in letzter Minute ihren Arbeitsort verlassen. Der Tross mit vielen Lastwagen zog nach Osten, über den Rhein, in zwei kleine Neckardörfer: Guttenbach und Binau.

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Kommandant Hartjenstein wohnte im Gasthaus "Karpfen" in der Ortsmitte von Guttenbach; in einigen kleinen Baracken in der Nähe wurde die neue Kommandantur aufgebaut. Der SS-Verwaltungsstab fand seine Heimstatt in der beschlagnahmten Schule in Binau, die Vorräte des Lagers Natzweiler (Effektenkammer) wurden im Speicher des Binauer Schlosses gelagert, der Fuhrpark der SS kam nach Neunkirchen. Ein Dutzend Häftlinge, die in der Kommandantur arbeiteten, wurden im Lager Neckargerach untergebracht.

Hartjenstein gelang es, die zentralen Verwaltungsstrukturen des Komplexes mit den noch verbliebenen ca. 30 Außenlagern auf der rechten Rheinseite neu aufzubauen. Für vier Monate lag "Natzweiler" am Neckar. In dieser Zeit wurden noch über 12.000 Häftlinge aus den Stammlagern Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Stutthof (bei Danzig) sowie Mauthausen in die Außenlager aufgenommen.

Dass gerade Guttenbach ausgewählt worden war, lag an den im November 1944 immer noch gut funktionierenden Strukturen des kleinen KZ-Komplexes rund um Neckarelz. Sechs Außenlager und drei neu hinzugekommene Orte der verlagerten Kommandantur bildeten ab jetzt den wichtigsten Knotenpunkt im Netzwerk Natzweiler – bis zu dessen "zweitem Ende" im März/April 1945.

Der Verein KZ-Gedenkstätte Neckarelz begleitet die Jahrestage dieser nunmehr 75 Jahre alten Geschichte mit einzelnen Veranstaltungen. Sie rücken die eher unbekannten Orte in den Fokus. Am 23. Oktober 2019 hat Vorstandsmitglied Arno Huth in Waibstadt zum Außenlager Neckarbischofsheim referiert, am 3. Februar 2020 wird er im Sportheim Asbach einen Vortrag zum KZ-Außenlager Asbach halten.

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