Nachsorgeteam im Neckar-Odenwald-Kreis

Wenn die Retter traumatisiert sind

Psychosoziale Notfallversorgung ist mit 16 frisch ausgebildeten Mitarbeitern enorm gewachsen

25.05.2018 UPDATE: 26.05.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 10 Sekunden

Wenn ein Unglück geschieht, brauchen nicht nur die Betroffenen und Angehörigen Beistand. Winfried Heltewig, Christoph Jüttner, Michael Genzwürker und Sybille Bartz sind Helfershelfer im wortwörtlichen Sinne. Foto: Ursula Brinkmann

Von Ursula Brinkmann

Neckar-Odenwald-Kreis. Ein Verkehrsunfall vor etwa einem Jahr hat es dramatisch vor Augen geführt. Drei Fahrzeuge sind demoliert, Menschen werden verletzt, ein Mann stirbt. Polizei- und Feuerwehrkräfte sind am Unfallort. Der Leichnam muss aus einem Auto herausgeschnitten werden.

Da erkennen einige Feuerwehrmänner in dem Toten ihren Kollegen. "Die konnten nicht mehr, waren wie paralysiert und wurden vom Kommandanten aus dem Einsatz genommen." Sybille Bartz erinnert sich noch genau an das Geschehen, an dem sie beteiligt war. Beteiligt als Mitarbeiterin der Psychosozialen Notfallversorgung im Neckar-Odenwald-Kreis (PSNV).

Zu dem Zeitpunkt war die Neckarelzerin schon fertig ausgebildet in der Sparte "B" der PSNV, der Erst- und Akutbetreuung von betroffenen Beteiligten während und nach Notfallsituationen, aber noch in Ausbildung im Einsatzbereich "E", der Einsatzkräfte nachsorgend in den Blick nimmt. Aber auch das Vorher, die Prävention, spielt eine große Rolle.

Michael Genzwürker ist Koordinator im Einsatzkräfte-Nachsorgeteam: "Wenn Helfer Hilfe brauchen, sind wir da". Da sind seit kurzem im Neckar-Odenwald-Kreis 16 frisch und professionell ausgebildete PSNV-Eler.

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Damit verfügt der Landkreis über insgesamt 19 ausgebildete Mitglieder im Team der Einsatzkräfte-Nachsorge; in der Gruppe "B" sind es 30 Frauen und Männer, und viele von ihnen haben eine Doppelrolle in beiden Teams.

Christoph Jüttner ist von Berufs wegen den Nächsten nahe. Der katholische Theologe ist leitender Seelsorger in der PSNV und durch den Amoklauf in Winnenden wachgerüttelt worden: "Ich dachte damals: Da muss doch jemand da sein!" Jüttner ist da.

Notfallseelsorge und Notfallversorgung sind nicht nur sprachlich ganz eng beieinander. In der PSNV gehören die Seelsorger der evangelischen und der katholischen Kirche ebenso zu den Trägern wie das Deutsche Rote Kreuz, der Kreisfeuerwehrverband und das Landratsamt.

Auch für Sybille Bartz war der Weg von B nach E quasi vorgezeichnet, doch am Anfang wusste sie nicht, worauf sie sich einließ. "Bis zu meinem allerersten Einsatz habe ich mir vorbehalten, wieder auszusteigen."

Doch gleich danach war ihr klar: "Da mache ich weiter." Auch in der E-Ausbildung, die sie und ihre Lerngenossen in 15 Monaten auf ihre Einsätze vorbereitet hat.

Dass sie eine soziale Ader hat und sich beruflich wie ehrenamtlich in manchem helfenden Aktionsfeld bewegt, ebnete den Weg auch zur PSNV.

"Das Helfersyndrom müssen wir alle haben", bestätigt Winfried Heltewig aus Seckach, wie Bartz Koordinator und auch im Leitungsteam der PSNV, mit leicht selbstironischem Unterton.

Eine gewisse Distanz zu wahren, ist bei dieser Helfershelfer-Arbeit in der Tat angebracht. Helfershelfer in der PSNV sind Bartz, Genzwürker, Heltewig und Jüttner im wortwörtlichen, nicht aber im übertragenen Sinn. Sie helfen den Helfern.

Für DRK-Mann Heltewig war der Auslöser, ins Einsatzteam der PSNV-E zu gehen, dass er erlebte, wie ein Ersthelfer-Kollege seelisch in Bedrängnis geriet, und auch er hätte sich als Jugendlicher jemanden gewünscht, der ihm zur Seite gestanden hätte in einer belastenden Situation.

Was in einschlägigen Informationsbroschüren oder auf Internetseiten als "belastender Einsatz" bezeichnet wird, bringt nur unzureichend auf den Punkt, was in solchen Momenten passiert.

"In der gerade abgeschlossenen Ausbildung haben wir viel über die Reaktionen gelernt, mit denen sich Einsatzkräfte konfrontiert sehen", berichtet Genzwürker, "und wir haben gelernt, wie wir darauf reagieren, um die Einsatzkräfte wieder einsatzfähig zu machen."

Denn darum gehe es, ergänzt Jüttner, ums Normalisieren. Und darum, im "Normalen", im Alltag, im Vorher, die Einsatzkräfte vorzubereiten, präventiv zu wirken. Wie heißt es doch in der Konzeption?

"PSNV beinhaltet das, was ‚normale‘ Menschen für ‚normale‘ Menschen in besonderen, belastenden Situationen tun können."

Info: Mehr unter www.psnv-nok.de

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