Backwaren per Pferdekutsche statt dem Auto ausgeliefert
Preisexplosion an den Tankstellen: Bäckermeister Peter Schlär setzt ein Zeichen und greift auf ein altes Verkehrsmittel zurück.

Mudau. (mb) Bäckermeister Peter Schlär setzte am Donnerstagnachmittag ein Zeichen gegen hohe Spritpreise. Statt mit dem Auto steuerte der 58-Jährige beziehungsweise sein 21-jähriger Sohn seine Filiale im Edeka-Markt in Mudau und den Geflügelhof Dambach mit einer historischen Pferdekutsche an.
Die Bäckerkutsche, vor die Vater und Sohn die beiden Schweren Warmblüter Emilio und Freddy spannen, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut und ist somit rund 120 Jahre alt. Peter Schlär Senior hatte sie vor rund zehn Jahren im Münsterland gekauft. Bis auf neue Scheibenbremsen besteht sie aus Original-Teilen. Der Aufbau des Wagens ist aus stabilem Blech gefertigt und mit Lüftungsschlitzen versehen. Innen ist der Wagen mit Holz ausgebaut. Bisher war Schlär mit der Kutsche nur hin und wieder auf historischen Umzügen unterwegs. Jetzt, da die Spritpreise deutlich gestiegen sind, will er mit der Pferdekutsche nicht nur nostalgische Gefühle wecken, sondern an Zeiten erinnern, in denen die Menschen nicht auf Benzin, Diesel und Erdöl angewiesen waren. Schlär lädt Brötchen und Brot für seine Filiale im Mudauer Edeka-Markt in den Wagen. Außerdem will er beim hiesigen Geflügelhof Dambach Eier und bei Metzger Kevin Hauk würzige Debreziner-Würstchen abholen.
Die beiden Wallache sind eingespannt. Peter Schlär Junior sitzt mit dem Autor dieser Zeilen auf dem Kutschbock. Ein Knall mit der Reitgerte in der Luft – und los geht es! Oder doch nicht. Denn die beiden Rosse mit ihrem schwarzglänzenden Fell sind sich nicht einig. Sie ziehen die Deichsel nach rechts, bis diese die Kutsche blockiert. Peter Schlär Senior und Annika, die Freundin seines Sohnes, greifen ins Zaumzeug und beruhigen die Tiere. Schließlich geht es auf die Hauptstraße hinaus.
Statt des kürzeren Wegs nach links in Richtung Rumpfener Straße nehmen wir die Strecke in Richtung Schloßauer Straße. Auf der Raiffeisenstraße geht es zügig voran. Peter Junior lässt die Pferde laufen. Die Hufe klacken gleichmäßig auf dem Asphalt. "Emilio ist noch nicht eingeritten", erklärt Peter Schlär Junior die Schwierigkeiten beim Start der Tour. Der Wallach ist zwar deutlich größer und breiter als sein Artgenosse Freddy, allerdings erst sechs Jahre alt. Freddy dagegen ist mit seinen zwölf Jahren ein erfahrenes Kutschenpferd.
Die Schwierigkeiten mit Emilio wiederholen sich an jeder Station, die wir anfahren. Immer wieder muss beim Losfahren Peter Senior mit Annika ins Zaumzeug greifen und die Pferde steuern. Vom Edeka-Markt geht es in munterer Fahrt die Talstraße entlang in Richtung Ünglert zum Geflügelhof Dambach. Die Metzgerei Hauk können wir mit der Kutsche nicht ansteuern, da der Bauchgurt von Emilio gerissen ist. Auch die Scheuklappe am rechten Auge hat sich gelöst.
"Man muss mit den Pferden reden", verrät der junge Bäckermeister das Erfolgsgeheimnis eines guten Kutschers. Und natürlich muss man Sicherheit und Führungsstärke auf die Tiere ausstrahlen. Peter Schlär Junior hat das Kutschenfahren von seinem Vater gelernt. Vor drei Jahren erwarb er den Kutschenführerschein. "Wenn die Tiere von der Koppel kommen, sind sie ausgeglichener", stellt Peter Junior fest. "Dann laufen sie ruhiger in der Kutsche." Die Wallache der Schlärs sind im Stall, direkt neben dem Bäckereigebäude, untergebracht. Bald dürfen sie tagsüber auf der Weide grasen. Für die Landbäckerei Schlär sind normalerweise täglich drei Fahrzeuge unterwegs. Sie legen insgesamt rund 200 Kilometer am Tag zurück. Außerdem fahren Mitarbeiter der Bäckerei mit einem Verkaufswagen zwei bis drei Mal in der Woche 14 Ortschaften in der Region an. Dies künftig mit der Pferdekutsche zu tun, stellt keine Option für den Bäckermeister dar. Denn bis die Pferde eingespannt sind, vergehen zehn bis 15 Minuten. Außerdem reicht für eine gemütliche Kutschfahrt zu Ortschaften wie Reisenbach, Oberneudorf oder Stürzenhardt nicht die Zeit, ganz zu schweigen von den Herausforderungen, die die Höhenlagen mancher Orte für die Pferde bedeuten würden.
Peter Schlär besitzt insgesamt sieben Kutschen: Neben der historischen Bäckerkutsche einen Planwagen, der Platz für 18 Personen bietet, eine Hochzeitskutsche aus dem Jahr 1870, einen Leiterwagen, einen Viersitzer und zwei sogenannte Marathonkutschen.
Es gab Zeiten, da war der Bäckermeister fast jedes Wochenende als Kutscher unterwegs. Er fuhr auf historischen Umzügen, zum Beispiel in Frankfurt, Bad Kissingen, Leonberg, Weikersheim und Amorbach, oder auf dem Pferdemarkt in Niederstetten und auf der Miltenberger Michaelismesse. Von 1995 bis 2007 kutschierte er am Schmutzigen Donnerstag den Ausscheller durch Buchen, der damals noch Karl-Heinz Friedmann hieß. Mehrmals im Jahr bringt Peter Schlär oder sein Sohn Hochzeitspaare zur Kirche und fährt die Teilnehmer von Klassentreffen durch den Odenwald.
Jetzt, am Ende unserer kurzen Kutschfahrt durch Mudau, glänzt das Fell der Wallache leicht. Die Fahrt hat sie zum Schwitzen gebracht. Peter Schlär Junior und seine Freundin Annika spannen die Pferde aus, reiben sie ab und führen sie zurück in den Stall. Und am nächsten Tag werden Peter Schlär und seine Mitarbeiter die Backwaren wieder mit Motorfahrzeugen ausfahren. Denn trotz hoher Spritpreise lässt sich das Rad der Zeit nicht um 120 Jahre zurückdrehen ...