Mosbach

Saisonauftakt im Kunstverein

Der Künstler Ralf Berger lässt Sisyphos die Hauptstraße erkunden.

13.04.2022 UPDATE: 15.04.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 12 Sekunden
„Sisyphos hat nur die Möglichkeit, sich in seinem Leben einzurichten, er ist ein glücklicher Mensch“, sagt der Düsseldorfer Künstler Ralf Berger (rechts). Die rollende Skulptur schiebt ausnahmsweise Harald Kielmann, Vorsitzender des Kunstvereins Neckar-Odenwald. Foto: Peter Lahr

Von Peter Lahr

Mosbach. "Ich tendiere dazu, aus der Alltagsrealität zu arbeiten", charakterisiert der Düsseldorfer Künstler Ralf Berger seine Vorgehensweise. Deshalb gibt es in der Mosbacher Saisonauftakt-Ausstellung des Kunstvereins Neckar-Odenwald eine geballte Ladung Mosbacher Alltagsrealität zu entdecken. Im Vorfeld hatte Berger einige Tage damit verbracht, den Ort aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu filmen und dabei kennenzulernen. Auch wenn Berger bei der Performance zur Vernissage am Sonntag mit Sisyphos behauptete "Der Start findet gar nicht statt". Die Mosbacher Kunstsaison ist auf jeden Fall wieder neu gestartet. Der passende Titel der Schau lautet ja auch: "Start – Running Sculptures".

Fasziniert von der mitunter surreal anmutenden Doppelbödigkeit und dem Witz der Arbeiten zeigten sich am Sonntag die reichlich versammelten Gäste, darunter Bürgermeister Michael Keilbach. Der fand die hintergründigen Kunstaktionen schlicht "prima". Auch Kunstvereinsvorsitzender Harald Kielmann sowie Kurator Thomas Breuer, der Ralf Berger seit der gemeinsamen Akademiezeit kennt und schätzt, waren einer Meinung: Der (vermeintliche oder reale) Start des neuen Kulturjahres zündete passgenau – mit oder ohne zu durchschreitende Start- bzw. Ziellinie.

Was es mit dem Untertitel, den "rennenden Skulpturen", auf sich hat, das zeigte der Künstler in Form einer zyklisch angelegten Performance. Im Rundkurs durch und um das Alte Schlachthaus zog er eine Stunde lang seine Kreise; vor sich her schob er dabei eine Schubkarre, gefüllt mit den dreidimensional geformten XXL-Buchstaben S, T, A, R und T. Die Originale hat Berger in seinem Atelier selbst aus Zement gegossen. Doch das Gewicht war zu viel für die ersten beiden Schubkarren. Folgerichtig verwendete er auf der letzten verbliebenen Schubkarre nun deutlich leichtere "Pappkameraden". Wer die Vernissage versäumt hat, kann die Performance in Dauerschleife im Alten Schlachthaus anschauen. Filmte Ralf Berger anfangs seine künstlerischen Interventionen nur zu Dokumentationszwecken, so haben sich die Videoarbeiten längst zum autonomen Kunstwerk gemausert.

Gleich vier Bildschirme zeigen ein weiteres Video. Montiert sind sie auf ein großes Kreuz aus mehreren handelsüblichen Einkaufswagen. Die Alltagsassoziationen sind auch hier durchaus gewollt. Manch Betrachter sah Bezüge zu unserem Konsumverhalten. Auch Bilder von Obdachlosen, die auf einem Einkaufswagen ihre letzten Habseligkeiten durch die Gegend rollen, kamen einigen in den Sinn. Doch für Ralf Berger steckt etwas anderes dahinter: Er las in einem surrealistischen Text von einem unsichtbaren Berg. Und genau für den habe er ein passendes Gipfelkreuz geschaffen.

Bekannte und eher abgelegene Motive aus Mosbach zeigt die Kamerafahrt des Videos. Gefilmt durch die Gitter des Einkaufswagens, erlebt man eine Rundfahrt über die Hauptstraße. Tatkräftig unterstützt von Josef Weiß vom Kunstverein, gelangen die Dreharbeiten fast ohne Zwischenfall. Nur als der Künstler mit dem Einkaufswagen zum dritten Mal einer Polizeistreife begegnete, wollten die Gesetzeshüter wissen, was denn hier vor sich gehe. "Das ist mir in Berlin noch nie passiert", zeigte sich Berger eher positiv überrascht davon, dass man sich in Mosbach noch umeinander kümmere.

Vom schwarzen Quadrat zum blauen Punkt, auch diese Reise durch die Kunstgeschichte ist für Ralf Berger eine eher leichte Übung. Denn auf einem Foto, das nun gleich neunmal an der Wand hängt, trägt er ein schwarzes T-Shirt mit blauem Punkt. "Point of view" reime sich einfach auf "point of blue", erläutert Berger – und verweist auf einen bekannten Professor der Düsseldorfer Akademie. Schon Beuys habe gewusst: "Man muss von außen denken." Reichlich Möglichkeiten zum inneren und äußeren Dialog bildet die gelungene Saisonauftakt-Schau des Kunstvereins auf jeden Fall.

Info: Zur Finissage am 15. Mai findet ab 15 Uhr eine experimentelle Lesung mit Ralf Berger und Thomas Breuer statt. Bis dahin ist die Ausstellung donnerstags, samstags und sonn- und feiertags von 14 bis 18 Uhr geöffnet.

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