Dystopes Kammerspiel "Quartett" beeindruckt
Selbstzerstörung in Endzeitstimmung: Die Landesbühne präsentierte eine gefährliche Liebschaften in der Mälzerei.

Von Peter Lahr
Mosbach. Das mittelhochdeutsche Wort "zumuoten" heißt "unbilligerweise etwas von jemand verlangen". So nimmt es kaum Wunder, dass die Intendanz der Badischen Landesbühne bereits im Vorfeld der Aufführung von Heiner Müllers "Quartett" eine "Triggerwarnung" herausgab. Das war allerdings kein Teil der Inszenierung und zeigte schön, in welche Richtung der Abend gehen sollte.
"Quartett" gab der ostdeutsche Skandalautor Anfang der 1980er-Jahre heraus und ganz vom damaligen Zeitgeist inspiriert, siedelte er einen Teil der Handlung in einem Bunker nach dem Dritten Weltkrieg an. Gleichwohl basiert das Theaterstück auf einem Klassiker der französischen Literatur.
Choderlos de Laclos schilderte am Vorabend der Französischen Revolution die Dekadenz des Adels in einem Briefroman. Aus 175 Briefen formte die BLB über den Umweg Müllers eine 100-minütige Performance, der gut 100 Zuschauer erstaunlich langmütig folgten.
Das kammerspielartig auf zwei Schauspieler reduzierte Ensemble bot eine durchweg überzeugende Spielleistung – inklusive vollen Körpereinsatzes und nackter Tatsachen. Cornelia Heilmann als Marquise de Merteuil und Tobias Strobel als deren ehemaliger Geliebter Vicomte de Valmont changierten elegant zwischen taffem Sprachtheater und allerlei sexuell auszudeutenden, zuckenden Akten der Körperlichkeit.
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"Mein Text ist ein Telefonbuch, und so muss er vorgetragen werden", lässt das kleine BLB-Programmheft Heiner Müller zu Wort kommen. Doch mit solchen schon fast beuysesken Orakeln geht die Posse natürlich weiter. "Jedes Wort reißt eine Wunde, jedes Lächeln entblößt einen Fangzahn", kommt eher dem Geist des Zweipersonen-Geschlechterkampf-Endspiels nahe.
Die doppelte Zeitebene zwischen einem Salon des Ancien Régime und einem Bunker ist zumindest dramaturgisch durchaus reizvoll. Regisseur Alexander Schilling wählt eine Anlage, die an die klobige Betonarchitektur der NS-Atlantikwall-Anlagen gemahnt.
Der quadratisch-zweigeteilte Bühnenaufbau bietet zudem eine dramatische Treppenflucht, die bereits expressiven Filmen aus den 1920er-Jahren zu starken Effekten verhalf. Leider etwas unentschieden wirkt das Schwarz-Weiß-Video, das Marco Kreuzer über den Bunker gleiten lässt.
Wilde Metal-Musik und eher schwer zu erkennende Aktivitäten im Negativ-Modus könnten auch einem Videoclip entsprungen sein. Das atomare Inferno eines Dritten Weltkriegs verfügt über größeres Triggerpotenzial.
Man kann trefflich darüber streiten, ob die Idee aufgeht, sämtliche Akteure auf zwei Personen zu reduzieren; bis hin zum "Theater im Theater". Vom anfänglichen Puppenspiel ums naive Herzausreißen geht es schnell zur Sache. Denn der Krieg der Geschlechter wird hier zum Duell Mann gegen Frau. Längst haben sich die beiden Hauptpersonen zu einem im Streit vereinten Anti-Paar entwickelt.
Aus dem Roman stammen die beiden Hauptlinien der "Gefährlichen Liebschaften". Denn da sollte der Vicomte – gegen Honorar – die Nichte der Marquise verführen und hatte zudem ein Auge auf eine verheiratete "Betschwester" geworfen.
Aus dem rationalistischen Geist der Aufklärung ist in den starken Wortgefechten der beiden aber längst purer Zynismus geworden. Beim Bürgerschreck-Autor wird Liebe auf Sex und Körperlichkeit reduziert. Da kann es keine Gewinner geben. Das Duell-Motiv aus der literarischen Vorlage deutet Müller bewusst um.
Doch eigentlich haben die beiden sich längst mit großer Geste selbst zerstört. Gift oder atomare Strahlen sind völlig überflüssig. Ob bei dem Reigen der vertauschten Rollen all jene Zuckungen nötig wären? Mittlerweile wirkt auch der Geschlechtertausch so was von altbacken. Oder wer hat heute noch Angst vor einem nackten Mann, der in der Rolle einer Frau die Bühne bespielt?
Leider blieb der angekündigte Galgenhumor dann eher auf der Strecke. Oder sollte das finale Chanson "Das Meer" die Morgenröte der Ironie darstellen? Auch in Eberbach



