Badische Landesbühne gastierte mit Politdrama aus den 70ern
Anspruchsvoll und überraschend aktuell war das Stück von Egon Monk.

Von Pia Geimer
Mosbach. Nach einer leichten Kriminalkomödie kurz vor Weihnachten hatte die Badische Landesbühne im Januar wieder ein anspruchsvolles Stück auf den Spielplan gesetzt, das trotz seines etwas sperrigen Titels eine recht große Zuhörerschaft in die Mälzerei lockte. "Industrielandschaft mit Einzelhändlern" von Egon Monk (1927-2007) entstand 1970 als Grundlage für ein gleichnamiges Fernsehspiel.
Die jetzt vorgestellte Bühnenfassung von Carsten Ramm und Fränzi Spengler basiert auf Monks Filmerzählung und den darin verwendeten Elementen des "epischen Theaters", das der Autor durch seine Zeit als Assistent von Bertold Brecht kennenlernte.
Obwohl seine Zusammenarbeit mit dem Berliner Ensemble nur wenige Jahre währte, blieb es Egon Monk als Autor und Regisseur ein Anliegen, mit seinen Stücken auch immer wieder tiefgreifende gesellschaftliche Themen zu bearbeiten. Er gilt als Begründer des politischen Fernsehspiels und wurde für sein Schaffen mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
Nicht immer leicht zugänglich und eine gewisse Herausforderung für den Theaterbesucher ist die Art, wie in "Industrielandschaften" mit der Sprache umgegangen wird. Die Technik der "erlebten Rede", bei der die Figuren nicht in direkten Dialogen, sondern durchgehend in der dritten Person sprechen, schafft eine bewusste Distanz, die man erst einmal aushalten muss.
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Eine Identifizierung mit den handelnden Personen wird dadurch nahezu unmöglich. Und das, obwohl das Sujet heute wieder eine erschreckende Aktualität hat und im Vergleich zu 1970 möglicherweise einen noch größeren gesellschaftlichen Zusammenhang offenbart.
Mit zunehmendem Unbehagen verfolgt der Zuschauer die stückweise komplette Demontage eines Menschen, der eigentlich immer alles richtig gemacht und vermeintlich auf der Höhe seiner Zeit agiert hat und der nun feststellen muss, dass diese Zeit ihn einfach überrollt hat. Alles, was er zu wissen glaubte über die Gesetze des freien Marktes, erweist sich nun als Irrtum. Die Regeln haben sich geändert, alles schlägt über ihm zusammen, und er steht nun vor den Trümmern seiner Existenz. Und versteht nicht, was er falsch gemacht hat.
Martin Behlert spielt die Hauptrolle des namenlosen Drogisten, ohne an das Mitgefühl des Zuhörers zu appellieren. Eisern verteidigt und wiederholt er sein Mantra von den Regeln des freien Marktes und wie man als Unternehmer erfolgreich wirtschaften muss. Trotz seiner zunehmenden Probleme gesteht er sich keine Zweifel am System ein, rennt immer verbissener in immer dieselbe Richtung.
Bestätigung erhofft er sich dabei von den drei Mitgliedern seines Unternehmerstammtisches, mit denen er sich regelmäßig in der Kneipe trifft: Sie alle sind selbstständige kleine Händler, die eigentlich alle im selben Boot sitzen, die aber anders als der Drogist bereits ahnen, dass die alten Regeln obsolet geworden sind. Tobias Strobel, Lukas Maria Rademann und Thilo Langer, die auch noch weitere Rollen übernehmen, fungieren dabei buchstäblich als Chor: Sie sprechen lange Textabschnitte gemeinsam, singen bruchstückhaft Schlager und Jingles aus besseren Zeiten.
Das Bühnenbild zeigt angedeutet die Fassade der Drogerie, die Warenpakete darin und ihre Anordnung spiegeln die innere Befindlichkeit des Inhabers und seiner tapferen, alle Rückschläge klaglos mittragenden Frau (gespielt von Lydia Fuchs): Penibel aufgestapelt und immer wieder neu arrangiert, sind sie ein Symbol für die alte Ordnung, in der jedes Ding – und jeder Mensch – seinen Platz hatte.
Aber je verzweifelter die beiden versuchen, ihr Geschäft über Wasser zu halten, desto chaotischer werden auch die Stapel. Erst als er völlig überschuldet ist und von seiner Bank eiskalt fallengelassen wird, gibt der Drogist endlich seine fruchtlose Rackerei auf und verfällt stattdessen in lähmende Apathie. Für Leute wie ihn gibt es in dieser neuen Welt definitiv keinen Platz mehr.
Was man mitnimmt von diesem bemerkenswerten Theaterabend, ist das bedrückende Gefühl, dass in einer sich rasant verändernden Welt ehemals vertraute und tragende Strukturen ebenso schnell wie Treibsand unter den Füßen verschwinden können. Das galt in den 70ern – und es ist heute vielleicht sogar aktueller denn je.