"Leben im Angesicht des Todes"

Adolf Nerger starb nach seinem Vortrag in Mosbach

Das Fenster hat sich geschlossen: Der ehemalige Vize der Ludwig-Erhard-Schule war am Freitagabend nochmal live zu sehen und gab den Zuschauern wichtige Botschaften mit.

21.09.2023 UPDATE: 22.09.2023 18:30 Uhr 4 Minuten, 25 Sekunden
Brigitte und Adolf Nerger lassen sich die Freude am Leben nicht nehmen. Der 73-jährige Nüstenbacher ist unheilbar krank – und geht bemerkenswert offen mit seinem Schicksal um. Foto: privat

Mosbach-Nüstenbach. (schat) Das Fenster schloss sich dann doch überraschend schnell: Unmittelbar, nachdem er seinen letzten "Auftrag" erledigt hatte, verstarb der Nüstenbacher Adolf Nerger. Via Live-Übertragung vom Krankenbett übermittelte der 73-Jährige am Freitagabend noch jene Botschaften zum Männervesper in Hildenbrands Kuhstall, die ihm auf den letzten Metern seines Lebens "im Angesicht des Todes" noch so am Herzen lagen.

"Erledigt Eure Sachen, klärt die Dinge, die zu klären sind", riet der an unheilbarem Krebs erkrankte Nerger seinen Zuhörern mit einer – wie es seine Art war – bestens vorbereiteten Präsentation. Rund 60 Menschen waren in den Kuhstall in Nüstenbach gekommen, mehr als doppelt so viele wie bei einem gewöhnlichen Männervesper. Stimme verlieh den Botschaften Nergers da bereits Pfarrer Richard Lallathin, der 73-Jährige selbst war bereits zu geschwächt.

"Absagen war für ihn keine Option", sagt Brigitte Nerger: "Es war in seinem Sinne, es war so, wie er gelebt hat, eine Punktlandung." Keine drei Stunden nach seinem Vortragsabend "Leben im Angesicht des Todes" schlief Adolf Nerger friedlich ein. Im Beisein seiner Frau, seiner Kinder Andreas und Ursula deren Partnern und Enkelkindern.

Nur ein paar Tage zuvor hatte Adolf Nerger noch ganz offen über seine Erkrankung gesprochen (siehe unten) – seine beeindruckende Art des Umgangs damit deutlich gemacht. Im Wissen, dass sein Zeitfenster nicht mehr allzu lange geöffnet sein wird, wollte der leidenschaftliche Lehrer im Ruhestand anderen Menschen noch etwas mitgeben.

Zeit seines Lebens war der Nüstenbacher, der die Liebe seines Lebens einst im fernen Hamburg kennengelernt hat, einer, der nichts dem Zufall überlassen hat. Einer, der seine Dinge geklärt, keine offenen Fragen zurückgelassen hat. "Ich rechne jeden Tag damit", hatte der passionierte Wanderer und engagierte Umweltschützer im Gespräch am vergangenen Montag mit Blick auf den nahenden Tod gesagt. Nur wenige Tage später schloss sich das Fenster – allzu früh.

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Die Trauer um den langjährigen stellvertretenden Leiter der Ludwig-Erhard-Schule, den Ehemann, Familienvater und Opa Adolf Nerger ist groß. Wer ihn kannte, wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Typisch Adolf Nerger hat er auch das, was nach seinem Tod kommen soll, vorher besprochen, klar kommuniziert, was er sich wünscht – und was er auf keinen Fall will. Der Nüstenbacher hinterlässt eine große Lücke – aber keine offene Fragen.

Update: Freitag, 29. September 2023, 18.23 Uhr


Nüstenbacher bleibt auch todkrank "Typisch Adolf"

Solange das Fenster offen ist: Der 73-jährige Adolf Nerger will die ihm verbleibende Lebenszeit nutzen, um anderen etwas mitzugeben.

Von Heiko Schattauer

Mosbach. Eine halbe Stunde. Länger hat er nicht gebraucht, um sich mit seinem Schicksal zu arrangieren. Adolf Nerger benutzt die dramatische Begrifflichkeit selbst noch nicht mal. Und das, obwohl er seit Kurzem weiß, dass er – und er benennt das ebenso klar wie gefasst – dem Tod bereits ins Auge sieht.

Der 73-Jährige leidet an Speiseröhrenkrebs, der bereits eine Vielzahl an Metastasen in seinem Körper gestreut hat, vor allem rund um die Wirbelsäule. Hoffnung auf Heilung gibt es nicht – im Gegenteil: Die Tage des Nüstenbachers sind gezählt. Derlei Formulierungen klingen hart, fast schon empathielos.

Aber Adolf Nerger wünscht sich diese Klarheit im Umgang mit seiner Krankheit, er lebt sie vor, fordert sie ein. "Mein Zeitfenster ist nicht mehr groß, aber ich möchte schon noch ein bisschen was vermitteln, anderen Menschen etwas mitgeben", verdeutlicht der Lehrer im Ruhestand.

"Leben im Angesicht des Todes" hat er eine Veranstaltung überschrieben, zu der er am Freitag in Hildenbrands Kuhstall in Nüstenbach einlädt. In diesem Rahmen will Nerger klarmachen, dass es zu Lebzeiten keinen Grund gibt, mit Dingen hinter dem Berg zu halten oder sie ungeklärt zurückzulassen.

Seit Ende April weiß der passionierte Wanderer von seiner Krankheit, die Übermittlung der niederschmetternden Diagnose hat er selbst übernommen. "Das hat mir noch nie ein Patient so leicht gemacht", gestand ihm sein behandelnder Arzt auf der Onkologischen Station des Bundeswehrkrankenhauses (BWK) in Ulm, nachdem der Nüstenbacher aufgrund seiner Beschwerden, der Untersuchungen und Andeutungen von Ärzteseite bei sich Krebs und Metastasenbildung an der Wirbelsäule diagnostiziert hatte.

Und damit leider richtig lag. "Ich bin ja kein Träumer. Ich hatte unglaubliche Schmerzen, die nahelegten, dass es sich hier nicht um einen Bandscheibenvorfall handelt", erklärt Adolf Nerger.

Ein paar Tage zuvor war er noch mit seiner Frau Brigitte und Freund Erwin auf Teneriffa auf extensiver Wandertour gewesen, bis auf 2700 Meter aufgestiegen, hatte sich für den atemberaubenden Blick auf den erloschenen Vulkan "Teide" begeistert.

"Ich stand voll im Saft", erinnert sich der langjährige stellvertretende Leiter der Ludwig-Erhard-Schule. Auf die Rückkehr folgten "drei furchtbare Schmerznächte" und der Gang ins BWK, wo Tochter Ursula als Ärztin in der Neurologie arbeitet.

Mehr als acht Wochen verbrachte Nerger im Bundeswehrkrankenhaus. Schnell war jedoch klar, dass aus der kurativen (also erhaltenden) Strahlenbehandlung eine palliative (also lediglich noch lindernde) wird. Anfang September habe er sich gemeinsam mit dem Chef der Onkologie und dem Klinikseelsorger darauf verständigt, die Bestrahlungen einzustellen.

Inzwischen ist der 73-Jährige wieder zu Hause in Nüstenbach. Nachbar Manfred hat inzwischen das Schlafzimmer so umgebaut, dass es Adolf Nerger mit seiner inzwischen schwer eingeschränkten Mobilität noch nutzen kann. "Ja, wir haben schon tolle Menschen hier", freut sich das Ehepaar, das jüngst erst 50. Hochzeitstag feiern durfte.

Überhaupt hält die beiden, die sich einst beim "Abtanzball" in Hamburg kennen- und zeitnah darauf auch lieben gelernt haben, bis heute ein spürbar starkes Band zusammen. So schnell wie ihr Mann hat Brigitte Nerger indes den Schlag des Schicksals nicht weggesteckt. "Bei mir hat das dann doch etwas länger als die genannte halbe Stunde gedauert", gibt die 77-Jährige offen zu. Und auch Sohn Andreas und Tochter Ursula habe die Diagnose schwer mitgenommen.

Nachdem die raus war, wurde allerdings erst einmal eine "Nachrichtensperre" verhängt. Tochter und Sohn beziehungsweise der Partner verpflichtete Adolf Nerger zu absolutem Stillschweigen. Die unmittelbar bevorstehende Konfirmation von Enkel Kurt wollte der Opa auf keinen Fall verleiden.

"Typisch Adolf", sagt Brigitte. Auch jetzt, im Angesicht des Todes, lässt sich der Krebspatient nicht davon abhalten, immer neue Projekte anzugehen. Aktuell hilft er seiner Pflegerin beim Aufbau einer eigenen Webseite. "Ich bin so, wie ich immer war. Ich liebe es, zu arbeiten. Wieso sollte ich das ändern?"

Nach der Zeit, die ihm noch bleibt, hat sich Adolf Nerger nicht erkundigt. Er wollte seinen Ärzten eine solche Prognose nicht abringen: "Ich fand das einfach unangebracht." So oder so: Der Nüstenbacher weiß genau, wie es um ihn steht. "Ich rechne jeden Tag damit", sagt er mit Blick auf das sich schließende Fenster und schiebt dann nach: "Ich bin entspannt. Es kommt, wie es kommt."

Der konditionsstarke Wanderer sitzt seit geraumer Zeit im Rollstuhl; das Ösophagus-Karzinom hat nicht nur an seiner Mobilität gezehrt, der 73-Jährige hat viel Gewicht und Kraft verloren. "Der Krebs holt sich sein Essen", kommentiert er trocken, ohne Selbstmitleid, ohne Groll, ohne Verbitterung.

Adolf Nerger ist auch im Angesicht des Todes so, wie er ist: ein bemerkenswerter Mensch. Und daran kann offenbar auch der bösartigste Krebs nichts ändern.

Ort des Geschehens

Info: Die Veranstaltung "Leben im Angesicht des Todes" mit Adolf Nerger als Referent findet im Rahmen des Nüstenbacher Männervespers am Freitag, 22. September, um 18.30 Uhr in Hildenbrands Kuhstall (Dorfstraße 4) statt. Anmeldungen werden erbeten unter Telefon 06261/893325.

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