Statt Industrieware gibt’s alles frisch vom Hof
Biologe Michael Scheurig setzt mit seinem Bauernhof auf Solidarische Landwirtschaft – Abnehmer sichern sich die Ernte im Voraus

Total begeistert sind Matthias Gütlein und seine Frau vom Konzept der Solidarischen Landwirtschaft; der Einkauf ist hier auch schnell erledigt. Foto: Elisabeth Murr-Brück
Von Elisabeth Murr-Brück
Eberbach. Warum einfach, wenn es auch umständlich geht? Es ist dunkel, der Weg nicht beleuchtet, den Eingang zum Lagerraum an der Alten Dielbacher Straße finde ich nur, weil die Tür offen steht. Drinnen ist es genauso kalt wie draußen, neben der Tür ein Stapel Eierpaletten, in den Kisten Kartoffeln, Zuckerhut, Sellerie, Zwiebeln und Kohl, sehr viel Kohl, Rotkohl und Weißkohl; die schwarzen Knollen, das sind Winterrettiche, die grade wieder sehr in Mode kommen. Wintergemüse eben, sonst nichts. Matthias Gütlein arbeitet zügig seinen Einkaufszettel ab, mit ihm packen noch zwei Kunden Rucksack und Einkaufskiste; eine Zwei-Wochen-Ration, öfter wird im Winter nicht geliefert. Auf einer Liste tragen sie ein, was sie mitnehmen, bezahlt haben sie schon vor einem halben Jahr - für das ganze Jahr. Warum tun die das? Nur ein paar hundert Meter weiter bieten mehrere Discounter und Supermärkte ein breites Sortiment an Obst und Gemüse an, heimisches, exotisches, die Jahreszeit spielt da keine Rolle mehr. Matthias Gütlein schenkt mir eine Karotte, größer und kräftiger als man sie gemeinhin kennt. "Eine alte Sorte", sagt Michael Scheurig, "sie enthält mehr Karotin und schmeckt deshalb intensiver." Gesünder ist sie auch, am Nachmittag hat Michael Scheurig die Sachen gebracht, alles kommt von seinem Hofgut Robern bei Oberdielbach.
Landwirtschaft heute hat nur noch in seltenen Ausnahmefällen Ähnlichkeit mit dem, was uns Kinderbücher und die Werbung zeigen. Nahrungsmittel werden produziert wie Industriewaren. Handelsketten, Discounter, Saatgut- und Pflanzenschutzkonzerne bestimmen, was produziert wird und zu welchem Preis es an wen verkauft wird.
Michael Scheurig ist Biologe, im Rahmen eines EU-Projekts hat er sich mit der Risiko-Analyse bei der Pestizid-Anwendung befasst, er war in den Niederlanden und in Spanien, am Donaumoos und in Apulien. Was er erlebt und beobachtet hat, ist für ihn Krieg gegen den Natur. Felder mit Brokkoli-Setzlingen bis zum Horizont, hellblau, Chemie hat nicht nur die Farbe verändert, sie greift auch die Nasenschleimhaut so an, dass er tagelang nichts mehr riecht. Auf Apfelplantagen gab es für seine Arbeit ein Zeitfenster von vielleicht zwei Stunden zwischen den Spritzungen, bei Bodenuntersuchungen in der Po-Ebene findet sich kein einziger Regenwurm und der junge Bauer pumpt das Grundwasser für Tomaten und Melonen 25 Meter tief aus der Erde, bei seinem Vater reichten noch zwei Meter; in ganz Südeuropa ist das so. Michael Scheurig war überzeugt: Das muss auch anders gehen. Er übernahm den Hof seines Onkels und schloss sich der Solidarischen Landwirtschaft an. Dort kaufen die Kunden ihren Anteil an der Ernte im Voraus für einen fest kalkulierten Betrag. Der Bauer kann auf diese Weise sicher planen und größere Vielfalt anbieten, seltene Gemüsesorten etwa. Die Mitglieder erhalten, was Jahreszeit und Natur grade liefern: frische und regionale Nahrungsmittel in guter Qualität. 90 Personen versorgt Michael Scheurig derzeit mit seinem Hof, die Kapazitätsgrenze sieht er bei 120.
Kathrin Klein hat die Solidarische Landwirtschaft in Mosbach kennengelernt, nach dem Umzug in Eberbach organisiert sie einen Kreis von Interessenten und nimmt Kontakt mit Michael Scheurig auf. Heidrun Lenz hat mitgemacht, weil sie Bauern unterstützen will, die nicht für Dumpingpreise sich selbst, ihre Tiere und ihr Land ausbeuten wollen. Es kommt jetzt weniger Fleisch auf den Tisch, erzählt sie, und doch koche sie abwechslungsreicher als früher. Manches war neu, Mairübchen etwa, jetzt isst sie sie leidenschaftlich gern, "nur rote Bete könnte weniger sein." Findet auch Justine Gütlein, sie würde sich auch nicht grade als Kohl-Liebhaberin bezeichnen. Nun gibt es da die Tauschkiste, da kommt rein, was man nicht so mag und man findet vielleicht was Anderes. Beide erzählen, dass sich ihr Koch-Repertoire erheblich erweitert hat.
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Die Teilnehmer haben eine Whatsapp-Gruppe gegründet, der Gemüsekauf wird zur Kontaktbörse für Gleichgesinnte. Zweimal im Jahr macht Michael Scheurig ein Hoffest, und wer möchte, kann sich unterm Jahr auch zum Helfen anmelden, bei der Ernte etwa oder zum Unkraut zupfen. Erstaunlich viele möchten, und Scheurig versucht, auch das zum Gemeinschaftserlebnis zu machen. Da kocht er dann schon mal ein Chutney und verteilt es, aber schon das gemeinsame Arbeiten und das Zusammensitzen danach verbindet. Warum Gemüse im Supermarkt kaufen, wenn man es auch direkt vom Feld kriegen kann?