Wenn die Mama im Home-Office keine Zeit für ihre Tochter hat
"Das tut mir im Herzen weh" - Land weckte in Sachen Kindergartenöffnung falsche Hoffnungen

Hettingen. (rüb) "Unser Plan sieht vor, dass wir ab dem 18. Mai die Betreuung an den Kitas in Richtung eines reduzierten Regelbetriebs in Absprache mit den Trägern schrittweise auf bis zu 50 Prozent der Kinder ausweiten." Was Kultusministerin Susanne Eisenmann vor zehn Tagen in etwas holprigen Worten bekannt gegeben hat, dürften unzählige Eltern im Land mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen haben. Die Freude währte aber nur kurz, so auch bei Sabine Trautmann: Die 37-jährige Mutter aus Hettingen muss ihre vierjährige Tochter weiterhin zuhause betreuen.
Denn auf die vollmundige Ankündigung der Ministerin folgte erst einmal nichts. Für heute hat die Landesregierung nun eine entsprechende Verordnung angekündigt. Doch die lässt sich von den Trägern nicht so schnell umsetzen, dass sich am Montag die Kindergartentüren im großen Stil öffnen würden.
Seit neun Wochen sind die Kindergärten geschlossen, sofern die Eltern nicht in systemrelevanten Berufen arbeiten und die Notbetreuung in Anspruch nehmen dürfen. Neun Wochen, in denen sich die Gefühlslage bei vielen Eltern von vollem Verständnis für die Ausnahmesituation und die damit verbundenen Folgen über Ungeduld bis hin zu Wut und Ärger verändert hat. "Mein erster Gedanke war: endlich ein kleiner Schritt Richtung Normalität, und wenn es nur zwei bis drei Tage pro Woche für ein paar Stunden Kindergarten wären", beschreibt Sabine Trautmann ihre Reaktion, als sie von den Plänen der Landesregierung hörte.
Im jüngsten Schreiben ihres Kindergartens war von einer Rückkehr in den Regelbetrieb aber nichts zu lesen: An der Kindergartenleiterin vor Ort, am Träger, der katholischen Kirche, und an der Stadt liegt es aber nicht, dass die Kinder und Eltern in Buchen, im Landkreis und in ganz Baden-Württemberg wohl noch viel länger warten müssen, als es die Ministerin angekündigt hatte. Denn in der aktuellen Corona-Verordnung des Landes, die die Kommunen Anfang dieser Woche zugeschickt bekamen, steht von den Ankündigungen der Kultusministerin kein Wort. Stattdessen ist weiterhin nur von der "erweiterten Notbetreuung" bis zum 15. Juni die Rede.
"Ich kann und möchte keinen Antrag auf Notbetreuung stellen, ich kann glücklicherweise von daheim aus arbeiten. Mir geht es darum, dass alle Kinder die gleichen Möglichkeiten erhalten", erklärt Sabine Trautmann und stellt klar: "Wir haben keinen Grund zum Jammern, es geht uns gut, wir haben einen großen Garten, es funktioniert eigentlich sehr gut." Ein dickes, großes "Aber" schwingt mit. Denn die kaufmännische Angestellte sorgt sich um das Wohl ihrer Tochter, die als Einzelkind unter dem Wegfall der Kontakte zu ihren Spielkameraden besonders leidet. Sie ist sich sicher: Mit der nötigen Flexibilität wären Lösungen bis heute schon gefunden worden. Immerhin war es ja klar, dass es "irgendwann" weitergeht. Beispielsweise hätte man zwischenzeitlich die Eltern befragen können, wer seine Kinder überhaupt in den Kindergarten schicken möchte. Die nicht benötigten Plätze könnte man – denen zur Verfügung stellen, die sie dringend brauchen.
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"Ich akzeptiere alle bisher in der Krise getroffenen Entscheidungen, ich habe kein Problem mit dem Tragen eines Mundschutzes, und ich habe kein Verständnis für Menschen, die ohne Maske und ohne Abstand gegen die Verordnungen demonstrieren." Aber seit 4. Mai sieht sie die Entwicklung zunehmend kritisch: "Da ist es bei mir zu einem Bruch gekommen." Während die Bundesregierung grünes Licht für Geisterspiele in der Fußballbundesliga gab, hatte die Kanzlerin für die Kindergärten gerade einmal vier Sätze übrig: Kinder, die in diesem Jahr eingeschult werden, sollten vor den Sommerferien "noch einmal" die Kita besuchen. Wie und wann sollten die Länder klären ... Und das gestaltet sich so, dass manche Bundesländer in großen Schritten Richtung Regelbetrieb gehen, während die Landesregierung in Baden-Württemberg die Eltern in dieser eh schon schwierigen Situation zusätzlich verunsichert.
Acht Tage nach der Öffnungsankündigung dämpfte die Ministerin am Donnerstag die von ihr selbst geschürten Hoffnungen der Eltern. Zwar besteht ab Montag die rechtliche Voraussetzung für die Rückkehr in einen reduzierten Regelbetrieb: Wie der in der Praxis aussehen soll, darauf gibt es aus dem Ministerium aber noch immer keine Antwort. Eine entsprechende Verordnung des Landes soll "voraussichtlich diesen Samstag" veröffentlicht werden. Nicht nur die Eltern, auch die Träger werden mit der Situation alleingelassen.
"Wir sind seit Wochen im engen Austausch mit den Kirchen und den Kindergartenleiterinnen, und wir stehen bereit, die Einrichtungen wieder schrittweise zu öffnen", sagt Benjamin Laber, Beigeordneter der Stadt Buchen. Doch wie soll das gehen, wenn nicht bekannt ist, welche Vorgaben das Land macht: Sollen – an wechselnden Tagen – alle Kinder in den Genuss einer Betreuung kommen? Eine solche Lösung würde eine hohe Fluktuation und damit ein erhöhtes Infektionsrisiko bedeuten. Oder werden 50 Prozent der Kinder täglich betreut, wie auch schon zu hören war? Wer nimmt dann die Auswahl der Kinder vor?
Wenn die Vorgaben des Landes wirklich am Wochenende vorliegen sollten, brauchen die Träger einige Tage für die Umsetzung: "Frühestens Ende nächster Woche kann es eine funktionierende Regelung geben", meint Benjamin Laber, der großes Verständnis für die Sorgen und Nöte der Eltern zeigt, dem aber ebenso wie den Kirchen und den Verantwortlichen in den anderen Kommunen des Kreises auf Grund der fehlenden Regelung die Hände gebunden sind.
Die kleine Laura muss also weiter warten. Morgens hat ihre Mutter keine Zeit, mit ihr zu spielen – da ruft das Homeoffice. Die Vierjährige muss sich notgedrungen alleine beschäftigen. "Meine Tochter fragt mich jeden Abend: ,Mama, musst du morgen wieder so lang arbeiten?‘ Und was soll ich dann machen? Muss ich dann wieder allein spielen?‘" Das zu hören, "tut mir im Herzen weh und macht mich traurig".
Auch wenn sie sich dann nachmittags intensiv um Laura kümmert und sich viel Zeit nimmt, reiche dies nicht aus. Vor allem die sozialen Kontakte, das Spielen mit Gleichaltrigen, das könne sie als Mutter nicht ersetzen. "Wenn Laura wenigsten zwei Tage die Woche in den Kindergarten könnte, würde das schon reichen", sagt Sabine Trautmann. Vielleicht erhält sie schon bald die erlösende Nachricht – nicht aus Stuttgart, die sind in diesen Tagen nämlich mit Vorsicht zu genießen, sondern direkt von ihrem Kindergarten.