Hardheim

Die meisten Erinnerungen an Juden sind verschwunden

Orte jüdischen Lebens - Sichtbare Zeugnisse beschränken sich auf vier bauliche Objekte

15.10.2020 UPDATE: 16.10.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 17 Sekunden
Außenansicht der Hardheimer Synagoge vor 1938. Foto: Museumsverein Erfatal

Hardheim. (hs) Unser heutiges Augenmerk richtet sich dieses Mal auf die Suche nach Stätten, Orten und Plätzen, die an das ehemals jüdische Leben in Hardheim erinnern. In den über 650 Jahren des Bestehens der jüdischen Gemeinde haben markante Plätze und Einrichtungen bestanden. Sie sind allerdings schon in der Zeit vor der Deportation aufgegeben worden oder wurden, nachdem die jüdischen Mitbürger fort waren, beseitigt.

Bleibende und sichtbare Zeugnisse jüdischen Lebens in Hardheim beschränken sich eigentlich auf vier bauliche Objekte: das Geburtshaus von Willi Wertheimer (ehemaliges Haus Schell, vormals Gasthaus "Zur Sonne") am Marktplatz, das jüdische Gebetshaus in der Inselgasse (früher hieß diese Gasse "Judengasse"), die Villa der jüdischen Unternehmerfamilie Selig (Max und Moses), die heute nach mehreren Eigentümerwechseln von Familie Günther in der Walldürner Straße bewohnt wird, und nicht zuletzt der jüdische Friedhof im Gewann "Paradeis", in unmittelbarer Nachbarschaft zur heutigen Carl-Schurz-Kaserne gelegen.

Mikwe – das Jüdische Ritualbad

Ganz verschwunden sind die Relikte des ehemaligen rituellen Bades, das auf dem Gelände der heutigen Maschinenfabrik Gustav Eirich stand und schon 1926 auf behördliche Anordnung geschlossen wurde. Der Grund: Das Wasser konnte nicht geheizt werden. Nach den Erinnerungen von Hedwig Fieger (†) von 1996 war das alte Judenbad am ehemaligen Haus Fieger angebaut und wurde zur Erweiterung der Maschinenfabrik Gustav Eirich abgebrochen. "Bevor das Bad genutzt wurde, kam eine Frau drei Stunden vorher zum Anheizen. Das Bad befand sich im Fußboden und war mit Steinen gemauert. Es ging etwa sechs Stufen hinunter. An der zweitletzten Stufe kam kaltes Wasser (zum Abwaschen der Sünden). Der Wasserkessel fasste circa 200 bis 300 Liter. Die Badenden hatten immer eine Begleitperson, die nicht badete, sondern in der leeren Vorstube wartete."

Dem neugewählten Vorsitzenden des Synagogenrates, Abraham Urspringer, gelang es schon im Jahr 1904, eine rituelle Mikwe im Keller des Neubaus von Julius Sinsheimer in der Holzgasse einzurichten, wie die reichsweit erscheinende Zeitung "Der Israelit" am 27. Juni 1904 berichtete. Das Wasser kam aus einer benachbarten Quelle. Das Haus selbst wurde ab Juni 1941 an die Firma Gebrüder Eirich, Holz- und Sägewerk vermietet, die dort italienische Arbeiter unterbrachte. Heute sind keinerlei Spuren eines rituellen Bades mehr zu finden.

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Vermögende Juden konnten sich ein eigenes Ritualbad leisten. Nach mündlichen Überlieferungen sollen solche Bäder in den Häusern Urspringer und Selig (beide in der Walldürner Straße) vorhanden gewesen sein.

Die Mikwe ist ein rituelles Tauchbad, das in jeder jüdischen Gemeinde vorhanden war und eine äußerst hohe Bedeutung besaß. Religiöse Bäder sind schon in der Bibel vorgeschrieben. Sie dienten dazu, den Zustand der religiösen Reinheit, der durch eine Verunreinigung beeinträchtigt war, wieder herzustellen. Um eine Körperpflege geht es hier nur in einem vermittelten Sinne, indem diesem kultischen Bad eine überaus gründliche und genaue Säuberung vorangegangen sein muss. Die Mikwe unterliegt in Bau und Nutzung bestimmten Regeln. Sie muss entweder aus fließendem Wasser (Quellwasser, Flusswasser, Grundwasser) oder aus gesammeltem Regenwasser bestehen. Nur Wasser natürlichen Ursprungs kann für diesen Zweck genutzt werden. Es darf weder herangetragen, noch anderweitig zur Mikwe transportiert werden. Bei den meisten Mikwaot handelt es sich um Grundwassermikwaot.

Die erforderliche Wassermenge muss mindestens 40 Sea (das sind heute etwa zwischen 500 und 1000 Liter) betragen. Im Bad muss man vollständig bis über den Kopf untertauchen.

Jüdische Wohn- und Geschäftshäuser

Die meisten Wohn- und Geschäftshäuser jüdischer Familien haben seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs oftmals die Besitzer gewechselt oder wurden baulich verändert. In der Walldürner Straße, bis 1940 die eigentliche Marktstraße von Hardheim mit einer Reihe jüdischer Geschäfte, fanden in früheren Zeiten die Märkte Hardheims statt, so berichtet Karl Steigerwald in seinen Lebenserinnerungen. Sie ist heute eine frequentierte Bundesstraße mit einem hohen Verkehrsaufkommen aber auch mit einer Reihe von aufgegebenen Geschäften. 2020 sind nur noch vier Geschäfte von dieser einstmals wichtigen "Einkaufsstraße" übrig geblieben.

Innenansicht der Hardheimer Synagoge vor 1938. Foto: Museumsverein Erfatal

Die Synagoge

Die Synagoge, oft auch als Gebetsraum oder "Judenschul" bezeichnet, stand in der seinerzeitigen Judengasse, heute Inselgasse. Ihr Innenraum wurde in der Pogromnacht 1938 beschädigt und religiöse Gegenstände wurden auf die Gasse geworfen. Dieser Mittelpunkt des religiösen Lebens verlor immer mehr an Bedeutung. Die jüdische Gemeinde, eine konservative Gemeinde, konnte Gottesdienste nur dann durchführen, wenn zehn Männer (dazu zählten alle, die das 13. Lebensjahr vollendet und im religiösen Sinne volljährig, also ein "Bar Mitzwah" ein "Sohn des Gebots" geworden waren) anwesend waren. Bereits am 31. März 1939 waren infolge der Auswanderung nach Amerika keine zehn männlichen Mitglieder mehr vorhanden. Frauen waren auf ein Nebenzimmer mit Blick in den Synagogenraum verbannt. Schließlich musste die jüdische Gemeinde das Haus an eine kinderreiche Hardheimer Familie verkaufen und hatte danach keine religiöse Heimat mehr.

Eine Synagoge wird erstmals 1679 genannt. Damals hatte ein aus dem Raum Mainz verwiesener Jude in Hardheim "illegal" Asyl gefunden. Wegen der wachsenden Kirchengemeinde wurde die bisherige Synagoge zu klein, weshalb im Jahr 1805 die israelische Gemeinde Hardheim eine Synagoge in der Judengasse, heutige Inselgasse, errichtete. Sie stellte einen bescheidenen, einfachen Bau ohne jeglichen Prunk dar. Auch die Inneneinrichtung war den Verhältnissen der jüdischen Bevölkerung angepasst. Die Gebetspulte, die Sitzbänke, der Vorbeterpult und der Thorarollenschrein (dort wurden die Thorarollen, erster Teil der hebräischen Bibel, aufbewahrt) waren älteren Datums, beschreibt Willi Wertheimer in seinen Lebenserinnerungen "Der Förster von Brooklyn".

Es gab keinerlei bildliche Darstellung von Gott oder wichtiger Figuren aus der Thora. "Ein einfacher Chanukkaleuchter und ein Lüster aus glitzerndem Kristall bildeten den einzigen Schmuck des Betsaals. Zu den Feiertagen wurden vor dem Thorarollenschrein, der heiligen Lade, seidene Vorhänge aufgehängt, die mit jüdischen Emblemen bestickt waren. Die Kerzenhalter an den Wänden wichen später elektrischen Beleuchtungskörpern; deren Anschaffung sowie die eines zweiten Lüsters belasteten den Haushalt der Gemeinde sehr stark. Der zweite Lüster schwebte über dem Almenor, dem Pult für die Thorarolle, für die Vorlesung der für bestimmte Tage fälligen Abschnitte", so beschreibt Willi Wertheimer den Betsaal seiner Hardheimer Synagoge.

Die Gemeinde war nur eine kleine Mittelgemeinde, die jedoch jeden Tag abends und morgens ihre Gottesdienste abhalten konnte. Die Synagoge war ein dreistöckiger Bau. Im ersten Stock befand sich das Schulzimmer, im zweiten der Betraum für die Männer und ein kleiner, von diesem durch ein Holzgitter abgetrennter Raum für die Frauen. Im dritten Stock gab es einen weiteren kleinen Betraum. Im Erdgeschoss war in einer Remise (Gebäude zur Aufbewahrung von Geräten/Wagen) der Leichenwagen der jüdischen Gemeinde eingestellt.

Als einen besonderen Luxus leistete sich die Hardheimer Judengemeinde eine Wanduhr, die neben der heiligen Lade (Truhe) hing. Eine Tafel am Eingang des Betsaals diente Bekanntmachungen und Ankündigungen der Gemeindeverwaltung. Ein zinnernes Becken an der linken Seite der zweiten Treppe diente den religiösen Waschungen.

Jüdischer Friedhof

Allein der jüdische Friedhof ist bis heute der einzige sichtbare Hinweis auf die einst bedeutende Judengemeinde in Hardheim. Diesen wollen wir im nächsten Teil unserer Reihe vorstellen.

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