Finanznot wegen Corona

"Die Kommunen müssen der Motor der wirtschaftlichen Erholung sein"

Thomas Ludwig ist Kreisvorsitzender des Gemeindetags, im RNZ-Interview beleuchtet er die finanzielle Situation der Gemeinden

09.07.2020 UPDATE: 10.07.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 1 Sekunde
Foto: Stephanie Kern

Von Stephanie Kern

Neckar-Odenwald-Kreis. Thomas Ludwig ist Bürgermeister der Gemeinde Seckach. Er ist einer von 27 Rathauschefs im Kreis, und alle machen sich in der Coronakrise Sorgen um ihre Gemeindefinanzen. Ludwig ist auch Vorsitzender des Kreisverbands Neckar-Odenwald im Gemeindetag Baden-Württemberg. Im Gespräch mit der Rhein-Neckar-Zeitung berichtet er über die finanzielle Lage der Gemeinden nach dem Corona-Lockdown und erklärt, welch wichtige Rolle die Kommunen in dieser Situation spielen.

Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf die Finanz- und Haushaltslage der Städte und Gemeinden?

Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass diese Krise bei uns Kommunen genauso ins Kontor schlägt wie bei anderen auch. Man muss aber auch sagen, dass wir in Deutschland noch glimpflich durch die Corona-Pandemie gekommen sind. Das Gesundheitssystem war zu keinem Zeitpunkt überlastet, es gab keinen erdrutschartigen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Jetzt geht es um die wirtschaftliche Erholung. Viele hoffen auf ein V, also dass die Erholung genauso rapide abläuft wie der Absturz. Aber das V fällt nicht vom Himmel.

Den Kommunen drohen große Ausfälle bei den Schlüsselzuweisungen. Deshalb fordern sie, die Zahlungen auf dem Niveau der Steuerschätzung von Oktober 2019 zu stabilisieren. Foto: dpa

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Für eine rasche wirtschaftliche Erholung muss man etwas tun. Und vor allem müssen die Kommunen der Motor, die Lokomotive dieser konjunkturellen Erholung sein. Und damit sie das sein können, müssen sie auch finanziell in die Lage versetzt werden, diese Rolle zu übernehmen.

Aber es gibt doch Rettungsschirme, auch für die Kommunen. Helfen die nicht, werden sie nicht in Anspruch genommen, oder hat nicht jede Kommune Anspruch darauf?

Die Städte, Gemeinden und Kreise Baden-Württembergs werden alleine in diesem Jahr Ausfälle bei den Steuern und allgemeinen Umlagen von 3,6 Milliarden Euro verkraften müssen. Dazu kommen pandemiebedingte Mehrausgaben und Mindereinnahmen von 780 Millionen Euro. In dem großen Konjunkturpaket, das die Bundesregierung aufgesetzt hat, werden die Kommunen zum Beispiel durch den Ausgleich der Gewerbesteuerausfälle unterstützt. Wir haben hier im Kreis aber überwiegend Kommunen mit unterdurchschnittlichem Gewerbesteueraufkommen. Das heißt, das wird den Gemeinden hier nicht helfen. Vielmehr ist der Großteil unserer Kommunen von den Schlüsselzuweisungen nach der mangelnden Steuerkraft abhängig. Diese wurden bis jetzt zwar noch nicht reduziert. Aber keiner weiß, ob wir dieses Geld am Ende auch wirklich behalten dürfen, oder ob es im Rahmen der Schlussabrechnung im Frühjahr 2021 nicht doch zurückgefordert wird. Hier reden wir ungefähr von einer weiteren Milliarde Euro.

Von den Gemeinden wird auch immer wieder das Neue Kommunale Haushaltsrecht als Grund für die desolate Lage der Gemeindekassen genannt ...

Ja, die neuen Regelungen sind streng. Eigentlich zu Recht, damit wir nicht auf Kosten künftiger Generationen leben. Deshalb muss man nun die Abschreibungen für das komplette Vermögen erwirtschaften. Jedes Jahr. Fällt bei einer Investition also z.B. ein Eigenanteil von einer Million an, muss die Kommune bei einer Abschreibungsdauer von 30 Jahren jedes Jahr zusätzlich über 33.000 Euro an Abschreibungen erwirtschaften. Wenn aber gleichzeitig die Schlüsselzuweisungen fehlen und andere Mehrbelastungen zu verkraften sind, hat man logischerweise Probleme, seinen Haushalt auszugleichen. Wir als Gemeinden sollen und müssen investieren, um die Wirtschaft anzukurbeln. Aber das verursacht mehr Kosten als die Investition kostet.

Was bedeutet das konkret?

Wir Kommunen haben die Pflicht, die dauerhafte Leistungsfähigkeit unserer Haushalte sicherzustellen. Wenn diese gefährdet ist, können wir nicht investieren und die Wirtschaft nicht wieder beleben. Und der bereits bestehende Investitionsstau wird noch größer.

Die Kommunen fordern Rettungsschirme, staatliche Hilfen. Wer soll das denn bezahlen?

Natürlich, das muss alles zurückbezahlt werden. Aber Schulden und Verpflichtungen sind kein Problem, solange sie zurückbezahlt werden können. In einem gesunden Maß ist Verschuldung nichts Verwerfliches. Wenn aber die Wirtschaft nicht in Schwung kommt, verlieren viele Menschen ihren Job, die Sozialausgaben steigen, und gleichzeitig fallen diese Menschen als Steuerzahler aus. Dann beginnt ein Teufelskreis, und deswegen betone ich es nochmals: Man muss die Kommunen finanziell gut ausstatten.

Und was können beziehungsweise müssen die Kommunen aktuell selbst tun?

Ein Thema ist die Haushaltssperre. Das bedeutet, dass man eine zusätzliche Kontrollinstanz einzieht und jede Ausgabe auf den Prüfstand stellt. Oder es gibt auch Gemeinden, die Investitionen streichen müssen. Und dann ist da natürlich – zumindest theoretisch – die Möglichkeit, die Einnahmen zu erhöhen, indem man zum Beispiel die Hebesätze bei Grund- und Gewerbesteuer ausreizt.

Also werden die Steuern erhöht?

Das halte ich für möglich. Und es gibt auch noch weitere Möglichkeiten, die aber allesamt als grausam empfunden werden: nämlich die Gebühren zu erhöhen, zum Beispiel im Bestattungswesen oder in den Schwimmbädern, für die Nutzung der Gemeindehallen oder ähnliches. Und dann müssen wahrscheinlich auch einige Gemeinden darüber nachdenken, Freiwilligkeitsleistungen auf den Prüfstand zu stellen. Aber auch das wird auf Lebensqualität und die Stimmung der Menschen negativen Einfluss haben.

Muss vielleicht die Zusammenlegung kleinerer Gemeinden eine langfristige Perspektive im Kreis sein?

Das Gespenst einer weiteren Kommunalreform, das wabert natürlich im Raum. Aber allein mit der Fusion zweier oder mehrerer armer Gemeinden ist nichts gewonnen. Und sie sollte auch als allerletztes Mittel bewertet werden. Ich denke vielmehr daran, die interkommunale Zusammenarbeit weiter zu forcieren, und hierüber wird auf Bürgermeisterebene auch schon diskutiert. Zusammenarbeit zwischen eigenständigen Gemeinden ist zum Beispiel überall dort sinnvoll, wo besonderes Spezialwissen benötigt wird. Die Kommunen im Neckar-Odenwald-Kreis sind schon heute an der Spitze, was die interkommunale Zusammenarbeit betrifft; als Beispiele nenne ich die interkommunale Gewerbegebiete, die Bereiche Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung und Hochwasserschutz sowie den Gemeindevollzugsdienst. Mein bevorzugter Weg ist, diese Zusammenarbeit noch mehr zu verstärken.

Haben die Bürgermeister also konkrete Forderungen ans Land und an den Bund?

Ja. Wir fordern vor allem die Zusage, dass die Schlüsselzuweisungen für das Jahr 2020 dauerhaft auf dem Niveau der Oktober-Steuerschätzung von 2019 in den kommunalen Kassen verbleiben, dass uns die pandemiebedingten Mehrbelastungen ersetzt werden und dass eine zumindest zeitlich befristete Lockerung der Regeln des Haushaltsrechts ermöglicht wird. Wir können nur dann investieren, wenn die Last durch die Erwirtschaftung der Abschreibungen nicht zu groß wird. Zudem müsste man meiner Meinung nach unbedingt die Standards beim Bauen und in den Verwaltungsabläufen überdenken und auch die Fördersätze wieder kräftig erhöhen.

Wie lange können die Kommunen die Krise aushalten?

Wenn man uns adäquat finanziell ausstattet, halten wir das lange durch. Wenn nicht, bekommen wir womöglich Verhältnisse wie in Nordrhein-Westfalen, wo die Kommunen zu Einheiten von mindestens 20.000 Einwohnern zusammengelegt wurden und trotzdem total überschuldet sind. Ich nutze oft das Beispiel eines Kamins. Die Kommunen sind ganz unten, und der Rauch unseres Feuers zieht bis nach oben. Wenn unser Feuer fehlt, wirkt sich das bis oben aus.

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