Elztal

Zum Verbots-Start des Kükentötens schlüpften Neujahrsküken

Ein besonderer Tag zum Schlüpfen: Seit 1. Januar ist das Töten von Hühnerküken in Deutschland verboten.

07.01.2022 UPDATE: 08.01.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 33 Sekunden
„Was aber rausgekommen ist, ist etwas Knuddeliges“, freut sich Familie Beichert aus Rittersbach über ihre acht Neujahrsküken. Auf die frisch Geschlüpften wartet künftig ein glückliches Leben auf der zwei Hektar großen Wiese hinter dem Haus – ein Glück, das den wenigsten Küken vergönnt ist. Foto: Marie Beichert

Von Noemi Girgla

Rittersbach. Das Neujahrsbaby hat sich 2022 Zeit gelassen. Erst am 2. Januar erblickte das erste neue Menschlein in den Neckar-Odenwald-Kliniken das Licht der Welt. Dafür verlor eine andere Spezies keine Zeit, das neue Jahr gebührend zu begrüßen. Bei der Familie Beichert aus Rittersbach schlüpften schon in den frühen Morgenstunden des 1. Januar gleich acht flauschige kleine Küken aus ihren Eiern.

"Das erste begann, gegen 3 Uhr in der Früh zu schlüpfen. Im Laufe des Vormittags durchbrachen dann auch die anderen ihre Eierschalen", erzählt Sibylle Beichert. Noch sitzen die Kleinen gut behütet in einem alten Aquarium, von dem die Familie kaum den Blick abwenden kann. "Sie können sich aber schon jetzt auf ein glückliches Leben auf der zwei Hektar großen Wiese hinter dem Haus freuen", erzählt Sibylle Beichert.

Zum Schlüpfen haben sich die Mini-Hühner einen ganz besonderen Tag ausgesucht: Seit dem 1. Januar ist das Töten von Hühnerküken in Deutschland verboten. Die Bundesrepublik ist damit das erste Land weltweit, das diese Praxis unterbindet. Rund 45 Millionen männliche Küken wurden in Deutschland bislang jährlich "aus ökonomischen Gründen aussortiert", heißt es vonseiten der Bundesregierung. Der Grund: Sie legen keine Eier und die männlichen Tiere aus Legehennen-Zuchtlinien eignen sich kaum als Masthähnchen – denn sie setzen weniger Fleisch an und es dauert länger, sie zu mästen.

Seit dem 1. Januar ist "das Töten von geschlüpften Eintagsküken" nun verboten, ab 2024 soll auch das Töten von Hühnerembryonen im Ei nach dem sechsten Bebrütungstag untersagt werden. Die Bundesregierung förderte nach eigenen Angaben seit 2008 mit mehr als acht Millionen Euro "alternative Verfahren und Initiativen". Sprich: Das Geschlecht des Tieres soll schon in den ersten Tagen im Ei bestimmt, die männlichen Küken nicht weiter ausgebrütet werden.

Auch interessant
Neues Verfahren: Massentöten männlicher Küken vermeiden
Neckar-Odenwald-Kreis: Wie es um den Glasfaser-Ausbau steht
Fischsterben in der Elz: Strafrechtlich ist der "Störfall" aufgearbeitet

So sehr Tierschützer das Verbot begrüßen, es bringt auch Probleme mit sich. Im Neckar-Odenwald-Kreis gibt es schon lange keine Brüterei mehr. Die nächstgelegene befindet sich Eppingen-Elsenz (Landkreis Heilbronn) und wird von Werner Hockenberger betrieben. "Bislang gibt es zwei Verfahren, die eine Bestimmung des Geschlechts des Hühnerembryos im Ei ermöglichen. Je kürzer ein Ei bebrütet wird, desto höher ist auch die Fehlerquote bei der Auswahl", erklärt Hockenberger. "Wir als Bio-Betrieb machen bei der Tötung von Küken generell nicht mit. Egal ob bei Eintagsküken, oder ob das Ei nicht weiter bebrütet wird", stellt er klar. Daher setzt sein Betrieb bereits seit mehr als zehn Jahren auf die sogenannte "Bruderhahn-Aufzucht", bei der auch die männlichen Küken großgezogen und im Anschluss verarbeitet werden.

An der "Bruderhahn-Initiative" beteiligen sich auch einige Höfe und Direktvermarkter im Neckar-Odenwald-Kreis, wie beispielsweise der Forlenhof in Breitenbronn oder die Odenwälder Bioinsel in Muckental. Derzeit beliefern Bruderhahn-Initiativen in erster Linie den ökologischen Markt – sprich: Betriebe, die auf Bioprodukte setzen.

Die Aufzucht der Hähne bringt jedoch auch einen finanziellen Mehraufwand mit sich: "Die Tiere setzen sehr viel weniger Fleisch an als Masttiere. Daher ist ihre Aufzucht nicht kostendeckend möglich", verrät Hockenberger. So müssten die Eier ihrer Schwestern um zwei bis drei Cent teurer verkauft werden als Eier aus herkömmlicher Aufzucht. In der Praxis komme es nun auf den Handel und die Verbraucher an, meint er. Denn ob Eier oder eihaltige Produkte aus einem Betrieb stammen, der auch die männlichen Tiere aufziehen lässt, sei an Logos und Siegeln erkenntlich.

"Tiere oder Eier aus dem Ausland, in dem das Gesetz gegen das Kükentöten nicht gilt, zu importieren, ist nicht verboten. Das könnte bei den deutschen Brütereien künftig für Probleme sorgen." Auch Vorgaben zur Vermarktung gebe es bislang nicht, gibt der Geflügelzüchter zu bedenken. "Man wird sehen, ob der Verbraucher bereit ist, ein paar Cent mehr dafür zu zahlen, dass die Produkte ohne Kükentötung hergestellt werden."

Importiert werden muss künftig auch an anderer Stelle. Bislang wurden die meisten der männlichen Eintagsküken in Zoos oder Falknereien verfüttert. Auch bei den Vögeln der Deutschen Greifenwarte auf Burg Guttenberg, die über Neckarmühlbach prangt, stehen sie auf dem Speiseplan. Und der lässt sich leider nicht so einfach umstellen, berichtet Burgherr Bernolph von Gemmingen. "Wir verfüttern weiter Kaninchen, Ratten, Mäuse, Tauben, Rebhühner, Fisch, Wild und Eintagsküken. Dabei versuchen wir, alles notwendige Futter aus der Region zu beziehen, wie bisher die Eintagsküken auch. Nach dem Tötungsverbot für männliche Küken beziehen wir diese nun aus dem Ausland, z. B. aus Belgien, Holland oder Polen. Das ist ökologisch leider eine Verschlechterung."

Gut, dass die Rittersbacher Neujahrsküken nichts von diesen Umständen wissen. Auch konnte Familie Beichert noch nicht feststellen, wie viele Hühner und Hähne sie jetzt hat. "Ich habe dazu zwar etwas gelesen, aber klar erkennen können wir das noch nicht", meint Sibylle Beichert. Und es spielt auch keine Rolle. Auf der großen Wiese hinter dem Haus leben bereits 16 Hühner und die acht frisch Geschlüpften waren Wunschkinder.

Nachdem man nämlich im vergangenen Jahr nur mühsam eines der Hühner zum Brüten überreden konnte, wurden dieses Jahr am 11. Dezember 16 Eier in einen eigens angeschafften Brutapparat gelegt. "Und die Hälfte ist durchgekommen. Einige Eier waren nicht befruchtet, in anderen haben sich die Embryonen nicht weiterentwickelt", erzählt Sibylle Beichert. "Was aber rausgekommen ist, ist etwas Knuddeliges", freut sich die Familie. Ein bisschen Tradition ist auch dabei, war Sibylle Beicherts Schwiegervater, Alois Beichert, doch einst ein bekannter Geflügelzüchter im Neckar-Odenwald-Kreis. Die acht Neujahrsküken müssen aber künftig nicht auf Geflügelschauen. Sie werden "ein glückliches Leben auf der zwei Hektar großen Wiese hinter dem Haus" haben. Etwas, das den wenigsten Küken vergönnt ist.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.