Denkmäler für Despoten?

Straßen in Mosbach und Waldbrunn nach Kolonialist benannt

Man diskutiert über die Leutweinstraße und ihren Namensgeber. Es gibt unterschiedliche Bewertungen.

06.10.2021 UPDATE: 07.10.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 52 Sekunden
Im Mittelpunkt aktueller Diskussionen stehen die Leutweinstraßen in Mosbach (unser Bild) und Waldbrunn. Namensgeber der Leutweinstraße ist Theodor Gotthilf Leutwein, einst Kommandeur der Kaiserlichen Schutztruppe und Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika. Foto: cao

Von Caspar Oesterreich

Mosbach/Strümpfelbrunn. Schon einmal was von Theodor Leutwein gehört? Wahrscheinlich nicht. "Kaum jemand kann mit dem Namen heute noch etwas anfangen", sagt Geschichtsexpertin Hildegard Rehne. Selbst Anlieger der beiden nach Leutwein benannten Straßen in Mosbach und Strümpfelbrunn haben keine Ahnung: "Ich weiß nicht, wer das ist", erklärt Elena Kapan, Wirtin des Restaurants Cattleya ("Zum Kurgarten").

Als sie die Biografie des 1849 in Strümpfelbrunn geborenen Kommandeurs der Kaiserlichen Schutztruppe und späteren Gouverneurs von Deutsch-Südwestafrika hört, muss sie schlucken. "Das ist natürlich problematisch", meint Kapan. "Das hätte ich jetzt nicht erwartet."

Laut Leibniz-Institut für Europäische Geschichte begann mit Theodor Leutwein "die systematische Etablierung und Ausdehnung kolonialer Herrschaft in Südwestafrika". Zwischen 1893 und 1904 soll er im heutigen Namibia "an führender beziehungsweise oberster Stelle für die kriegerische Aufrichtung und Durchsetzung des Herrschaftsanspruchs verantwortlich" gewesen sein. "Beauftragt, die deutsche ,Machtstellung den Eingeborenen gegenüber unter allen Umständen’ aufrechtzuerhalten und zu befestigen, führte er eine Vielzahl von Feldzügen gegen die einheimische Bevölkerung, insbesondere gegen die Nama", heißt es in einem Gutachten des Mainzer Forschungsinstituts. Die Politik Leutweins habe "die Grundlagen für die rassische Privilegiengesellschaft im Gefolge des genozidalen Kolonialkriegs" gelegt.

Für Hildegard Rehne steht damit fest: "Die beiden in Mosbach und Strümpfelbrunn nach Theodor Leutwein benannten Straßen müssen umbenannt werden. Wir dürfen einem solchen Despoten keine Denkmäler setzen!"

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In anderen Städten ist das Thema längst im politischen Diskurs angekommen, wenn nicht gar schon abgehakt: In Stuttgart wurde die dortige Leutweinstraße bereits 2008 umbenannt; der wissenschaftliche Beirat von Düsseldorf bezeichnete sie Anfang 2020 als "schwer belastet" und schlug "dringend" eine Umbenennung in der Stadt vor. Und auch in Mannheim wird seit Jahren über vier historisch-problematische Straßennamen diskutiert. Das zitierte Gutachten des Leibniz-Institut für Europäische Geschichte wurde im Auftrag des Mannheimer Stadtarchivs erstellt und kommt zum selben Schluss wie die Düsseldorfer: Umbenennung ausdrücklich empfohlen.

Und in Mosbach und Strümpfelbrunn? Da ist man eher geteilter Meinung, was neue Straßennamen angeht. Die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD, Grünen und Freien Wählern im Mosbacher Gemeinderat würden geschlossen für eine Umbenennung votieren, wie alle vier auf RNZ-Anfrage erklären. Sie warten nur noch auf eine Beschlussvorlage. "Die Stadtverwaltung ist für dieses Thema durchaus sensibilisiert, wir wollen jedoch keinen Schnellschuss und werden daher die Straßennamen Mosbachs im Gesamten überprüfen und dann gebündelt dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorlegen", teilt Sprecherin Meike Wendt mit. Wann damit zu rechnen ist, konnte sie nicht beantworten.

In Strümpfelbrunn will Bürgermeister Markus Haas die Thematik dagegen ruhiger angehen. "Solange es von den Anwohnern keinen Wunsch nach Namensänderung gibt, sehe ich keine Notwendigkeit, diese zu forcieren." Zumal eine Umbenennung mit deutlichem Aufwand und Kosten für Anlieger verbunden sei: Angefangen beim Gang aufs Rathaus zur Änderung von Personalausweis und Reisepass bis hin zur Korrektur von Besitzurkunden beim Grundbuchamt, gibt Waldbrunns Bürgermeister zu bedenken. Außerdem sei die Bewertung Leutweins Politik unter Geschichtsexperten durchaus umstritten, sagt Haas. Bremen und München etwa haben ihre Leutweinstraßen nicht umbenannt.

Dasselbe Argument führt auch die evangelisch-freikirchliche Gemeinde an, die einziger Anlieger der Mosbacher Leutweinstraße ist: Leutwein sei "als ein Verantwortlicher in Erinnerung, der stets um Konzilianz (Umgänglichkeit, Anm. der Redaktion) bemüht war", begründet Margarete Zimmermann aus dem Gemeindevorstand der Baptisten, warum ihre Glaubensgemeinde einer Umbenennung widerspricht. Die Kolonialpolitik dürfe keinesfalls verherrlicht werden und Leutwein sei auch Teil dieser gewesen. Aber er habe auch Courage bewiesen und sich gegen die vorherrschende Meinung der Unterdrückung gestellt. Seine Regentschaft sei vom "begrenzten Einsatz" der Soldaten und nur von "punktueller Härte" geprägt gewesen, was wiederum Deutschen Siedlern missfallen und Leutwein schließlich seinen Posten gekosten haben soll.

"Leutwein war kein Herrenmensch oder von rassistischen Exterminationsfantasien beseelter Kolonialist wie Carl Peters oder Lothar von Trotha", schreibt das Leibniz-Institut dazu in dem Gutachten. "Er erkannte und benannte die Widersprüchlichkeiten kolonialer Herrschaft, etwa, wenn er Kolonialpolitik als ,überhaupt eine inhumane Sache’ reflektierte und die konkurrierenden Humanitätsgebote gegenüber der einheimischen Bevölkerung und den weißen Siedlern abwog, um sich dann aber eindeutig zugunsten der letzteren zu entscheiden".

Für Cattleya-Wirtin Elena Kapan wäre eine Straßenumbenennung kein Problem. Ein paar Häuser weiter, in der Kur-Apotheke in Strümpfelbrunn, sieht das Inhaber und CDU-Gemeinderat Stephan Vogl etwas anders. "Natürlich kann man darüber diskutieren, ich würde mich per se auch nicht gegen einen neuen Straßennamen wehren." Anderseits seien Verwaltung und Gemeinderat momentan mit "viel wichtigeren Dingen" beschäftigt, etwa der Aufarbeitung der Folgen der Corona-Pandemie oder dem Millionenprojekt Kinder-Campus auf dem Winterhauch, so Stephan Vogl.

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