Neckar-Odenwald-Kreis

"Der Artenschutz wird nicht höher bewertet als der Schutz der Menschen"

Ilona Friedrich-Stuhl und Georg Pilgram sind im Landratsamt für die Genehmigung von Windkraftanlagen zuständig

10.08.2017 UPDATE: 11.08.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 36 Sekunden

Eine Windkraftanlage wird errichtet: 34 Windräder sind im Neckar-Odenwald-Kreis bereits in Betrieb, weitere sind in der Planungsphase oder bereits genehmigt. Fotos: Rüdiger Busch

Von Rüdiger Busch

Neckar-Odenwald-Kreis. Er gilt als wandelndes Gesetzbuch für alle Fragen rund um das komplexe Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen: Axel Krahl. Mit dem Ausscheiden des stellvertretenden Fachbereichsleiters im Landratsamt im Frühjahr wurde der Fachbereich Umwelt, Landentwicklung und Ordnungswesen umorganisiert. Der Fachdienst "Umwelt/Recht" wird nun von Ilona Friedrich-Stuhl, der Fachdienst "Umwelt/Technik und Naturschutz" von Georg Pilgram geleitet. Neu geschaffen wurde zudem eine Stabsstelle "Rechtsangelegenheiten". Die RNZ hat sich mit Ilona Friedrich-Stuhl und Georg Pilgram über den Stand des Windkraftausbaus im Kreis und die - zumindest für den Laien - komplizierten rechtlichen Hintergründe unterhalten.

Wie viele Anlagen stehen schon im Kreis, wie viele sind im Bau und in der Planung?

Ilona Friedrich-Stuhl

Ilona Friedrich-Stuhl: 34 Anlagen sind in Betrieb. Weitere vier - in Gerichtstetten - sind genehmigt. Hier finden bereits vorbereitende Arbeiten statt. In Planung befinden sich der Windpark Markgrafenwald Waldbrunn mit zwölf Anlagen, darunter zehn auf Gemarkung Neckar-Odenwald-Kreis. Hier ruht das Verfahren derzeit, da ergänzende naturschutzrechtliche Untersuchungen gemacht werden. Ebenfalls in der Planungsphase ist der Windpark "Kornberg" bei Hardheim/Höpfingen. Dort werden wohl aktuell nur vier Anlagen geplant, zuvor waren es sechs.

Das komplexe Genehmigungsverfahren ist für viele Bürger, aber auch für Kommunalpolitiker, kaum noch zu durchschauen: Geht es nicht einfacher?

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Friedrich-Stuhl: Ich persönlich finde es gar nicht so schwierig. Das Verfahren an sich ist gesetzlich genau geregelt, und unsere Aufgabe ist es, die korrekte Anwendung der Gesetze sicherzustellen. Grundsätzlich ist das so genannte vereinfachte Genehmigungsverfahren bei weniger als 20 Windkraftanlagen durchzuführen, das förmliche Verfahren bei 20 oder mehr Anlagen. Ein förmliches Verfahren ist aber auch bei weniger als 20 Anlagen notwendig, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist - dies ist bei Windkraftanlagen häufig aus artenschutzrechtlichen Gründen der Fall - oder wenn der Vorhabenträger dies beantragt. Der wesentliche Unterschied der beiden Verfahrensarten ist die Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Unterlagen werden für einen Monat zur Einsicht ausgelegt und der Öffentlichkeit bis zwei Wochen nach Auslegungsfrist Zeit gegeben, Einwendungen zu erheben. Am Verfahren werden alle Träger öffentlicher Belange beteiligt, deren Aufgabenbereiche durch das Vorhaben berührt werden. Über den Antrag ist im förmlichen Verfahren innerhalb von sieben Monaten, im vereinfachten innerhalb von drei Monaten zu entscheiden.

Georg Pilgram

Georg Pilgram: Aufgrund der vielfältigen Belange, die im Zuge des Verfahrens berücksichtigt werden müssen - vom Lärmschutz, über den Artenschutz bis hin zur Flugsicherheit, um nur drei zu nennen -, ist das Ganze aber natürlich sehr arbeits- und zeitintensiv.

Bleibt in ihren Abteilungen im Landratsamt angesichts der Komplexität der Genehmigungsverfahren noch Zeit für andere Themen außer Windkraft?

Friedrich-Stuhl: Das Ganze ist in der Tat sehr zeitintensiv und nimmt uns viel stärker in Anspruch als noch vor einigen Jahren. Aber ich kann Sie beruhigen: Die übrige Arbeit wird auch noch erledigt.

Pilgram: Es gibt immer mal Themen, die besonders dominieren, damit können wir gut umgehen.

Bis wann wird der Teilregionalplan Windenergie als wichtiges Planungsinstrument rechtskräftig? Und weshalb dauert es so lange?

Pilgram: Der Regionalplan liegt im Zuständigkeitsbereich des Verbandes Region Rhein-Neckar und der umfasst ja bekanntlich Gebiete in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Dementsprechend sind unterschiedliche gesetzliche Vorgaben zu berücksichtigen. Aktueller Stand ist folgender: Es wird eine dritte Offenlage erforderlich, da weitere Änderungen einzuarbeiten sind. Das Ziel lautet, dass er 2018 rechtskräftig wird.

In Baden-Württemberg gilt ein Mindestabstand zur Wohnbebauung von 700 Metern, in Bayern ist es die zehnfache Anlagenhöhe, in Nordrhein-Westfalen sollen es nach dem Regierungswechsel 1500 Meter werden: Wie kann es sein, dass in den Bundesländern unterschiedliche Vorgaben gelten?

Friedrich-Stuhl: Es gab eine so genannte Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch. Die Länder konnten die Privilegierung bei Windkraftanlagen durch Landesgesetz einschränken und von Abstandsregelungen abhängig machen. Allerdings war das Gesetz bis Ende Dezember 2015 zu verkünden. Nur Bayern hat hiervon Gebrauch gemacht und den Abstand gesetzlich festgelegt. In Baden-Württemberg bleibt es einerseits bei der Empfehlung des Windenergieerlasses, nämlich 700 Meter Abstand zur Wohnbebauung. Die Gemeinden können aber im Rahmen ihrer planerischen Überlegungen in Flächennutzungsplänen auch zu anderen Abständen gelangen. Eine bundeseinheitliche Lösung ist nicht in Sicht.

Immer wieder ist bei der Windkraft von artenschutzrechtlichen Belangen zu hören. Wird womöglich mehr Rücksicht auf bedrohte Tierarten als auf den Menschen genommen?

Friedrich-Stuhl: Mit Sicherheit nicht! Die Schutzzwecke des Bundesimmissionsschutzgesetzes sind genau geregelt. Hiernach sind vor allem Menschen, Tiere, Pflanzen und Boden vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen. Dementsprechend wird im Genehmigungsverfahren überprüft, welche Emissionen, welche Immissionen und in welcher Menge diese von einer Anlage zu erwarten sind, beispielsweise Lärm, Schattenwurf und Infraschall. In der Regel werden Grenzwerte in der Genehmigung festgeschrieben, deren Einhaltung durch Messungen nachzuweisen sind.

Pilgram: Was den Artenschutz angeht: Der Betrieb einer Anlage darf das Tötungsrisiko für bestimmte geschützte Arten wie Rotmilan oder Schwarzstorch nicht signifikant erhöhen. Die hierzu vorgelegten Unterlagen werden von uns genau geprüft und entsprechend beurteilt.

Stichwort Rotmilan: Wie schätzt das Landratsamt die Umweltverträglichkeit des Projekts "Kornberg" in Hardheim ein?

Pilgram: Solange bei uns kein Antrag auf immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorliegt, können wir dazu überhaupt keine konkrete Einschätzung geben. Aber Fakt ist: In Baden-Württemberg leben zehn Prozent des Weltvorkommens dieser Vogelart. Und im Bereich Hardheim-Höpfingen haben wir eine besondere Häufung. Zudem deutet einiges darauf hin, dass in dem ausgewählten Gebiet ein Dichtezentrum des Rotmilans liegt. Das stellt für die Genehmigung eine hohe Hürde dar. Auch ist dort ein spezielles europäisches Schutzgebiet, ein so genanntes FFH-Gebiet, ausgewiesen.

Wie geht es dort jetzt weiter?

Friedrich-Stuhl: Das Flächennutzungsplanverfahren wird vom Gemeindeverwaltungsverband Hardheim-Walldürn durchgeführt. Nach der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung erfolgt die Abwägung der eingegangenen Stellungnahmen. Bevor über einen Genehmigungsantrag entschieden werden kann, muss der Flächennutzungsplan zwar nicht rechtskräftig sein, aber die so genannte Planreife haben. Ein Antrag auf immissionsschutzrechtliche Genehmigung liegt bei uns noch nicht vor.

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