Politik trifft Wissenschaft

Frauen haben es in der Politik schwerer

Der aus Mudau stammende Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christian Breunig und Abgeordnete Nina Warken im RNZ-Gespräch.

10.12.2021 UPDATE: 12.12.2021 06:00 Uhr 6 Minuten, 9 Sekunden
Blick in den Bundestag. Über die Zusammensetzung des Parlaments sprechen der aus Mudau stammende Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christian Breunig und die Odenwälder Abgeordnete Nina Warken im RNZ-Interview. Fotos: dpa/Ines Janas/privat

Von Rüdiger Busch

Mudau/Konstanz/Berlin. Prof. Dr. Christian Breunig ist ein gefragter Mann – ganz besonders in den Wochen seit sich der neue Bundestag konstituiert hat. Denn der gebürtige Mudauer ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Konstanz und hat gemeinsam mit Forscherkollegen aus Basel, Genf und Stuttgart untersucht, ob gesellschaftliche Minderheiten im Bundestag adäquat repräsentiert werden. Ob "Spiegel" oder "Süddeutsche Zeitung": Alle möchten von dem 47-Jährigen wissen, ob Randgruppen in der Politik ausreichend Gehör finden. Wir natürlich auch: Die RNZ hat mit ihm und der CDU-Bundestagsabgeordneten Nina Warken unter dem Motto "Politik trifft Wissenschaft" ein Doppelinterview geführt.

Christian Breunig. Foto: zg

Herr Breunig, was haben Sie in Ihrer Studie untersucht?

Breunig: Zusammen mit Forscherinnen der Universitäten Basel und Genf sowie der Hochschule München stellten wir uns die Frage: Warum und unter welchen Bedingungen setzen sich Abgeordnete, die aus zahlenmäßig benachteiligten Gruppen stammen, für die Belange ihrer Gruppe ein? Eine typische Annahme ist, dass gemeinsame Erfahrungen und Hintergründe zwischen Bürgern und Volksvertretern dazu führen, dass diese sich für die Interessen ihrer Gruppe einsetzen. Demnach würden sich zum Beispiel Frauen eher Themen wie Abtreibung widmen oder jüngere Abgeordnete um Jugendkriminalität oder Senkung des Wahlalters kümmern. Um dies zu erforschen, haben wir über 40.000 große und kleine Anfragen von über 1000 Bundestagsmitgliedern untersucht.

Hintergrund

Prof. Dr. Christian Breunig

> Geboren am 16. Februar 1974 in Buchen. Er besuchte die Grundschule Mudau, das Buchener Burghardt-Gymnasium und die Frankenlandschule Walldürn, wo er 1993 das Abitur ablegte.

> Er studierte in Heidelberg

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Prof. Dr. Christian Breunig

> Geboren am 16. Februar 1974 in Buchen. Er besuchte die Grundschule Mudau, das Buchener Burghardt-Gymnasium und die Frankenlandschule Walldürn, wo er 1993 das Abitur ablegte.

> Er studierte in Heidelberg (Politikwissenschaft, Mathematik und Geographie) und Oklahoma. Hinzu kommen wissenschaftliche Aufenthalte in Arhus, Berlin, Oxford, Paris, Köln und München.

> Christian Breunig forscht am Exzellenzcluster "Die Politik der Ungleichheit" an der Universität in Konstanz. Seit 2012 ist er dort Professor für Vergleichende Politikwissenschaft, zuvor hatte er eine Professur an der Universität Toronto (Kanada). 2007 promovierte an der Universität zu Washington über politische Aufmerksamkeit und Haushaltspolitik.

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Und das Ergebnis?

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Breunig: Wir konnten dabei feststellen, dass das Engagement für gruppenspezifische Interessen mit der Zeit erlahmt. Je länger ein Abgeordneter im Bundestag ist, desto weniger setzt er sich nur für seine Herkunftsgruppe ein. Der Grund für das schrumpfende Engagement kann durch eine strategische Karriereplanung erklärt werden. Neuparlamentarierer nutzen persönliche Merkmale, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen, danach wenden sie sich klassischen Politikfeldern wie zum Beispiel der Finanzpolitik zu.

Nur gut elf Prozent der Abgeordneten haben einen Migrationshintergrund. Ihr Anteil an der Bevölkerung ist mehr als doppelt so groß. Auch bei den Berufsgruppen gibt es Missverhältnisse: So gibt es deutlich mehr Juristen im Parlament als Handwerker. Ist das aus Ihrer Sicht ein Problem?

Warken: Im Vergleich zur letzten Legislaturperiode ist der Anteil an Abgeordneten mit Migrationshintergrund leicht gestiegen. Es ist sehr erfreulich, dass eine Entwicklung nach oben zu verzeichnen ist. Natürlich ist es wichtig, dass eine Stimme aller Bevölkerungsgruppen auch im Parlament repräsentiert ist und die Gesellschaft dort in ihrer Breite abgebildet ist.

Breunig: Jedes Mitglied des Bundestags bringt eine ganze Reihe von Eigenschaften und sozialen Hintergründen mit. Zum Beispiel ist Frau Warken eine Rechtsanwältin, eine Frau aus Tauberfranken und noch neu im Bundestag. Die spannende Frage ist deshalb: Sind diese Eigenschaften damit verknüpft, was Frau Wanken zum Beispiel politisch vertritt und tut?

... und die Antwort?

Breunig: Generell gilt, dass alle Bürger gleich sind und dadurch auch das gleiche Recht besitzen am politischen Prozess teilzunehmen. Eine Möglichkeit ist dann, dass unsere Abgeordneten die wichtigen Merkmale unserer Gesellschaft widerspiegeln. Insbesondere, wenn bestimmte Gruppen benachteiligt sind oder wenig Vertrauen zwischen Gruppen besteht, ist dies wichtig. Bekannte Beispiele dafür sind die Frauenquote für börsennotierte Unternehmen und das Verlangen nach ostdeutschen Abgeordneten in den Jahren nach der Wiedervereinigung. Ein zweiter Weg konzentriert sich auf die inhaltliche Vertretung bestimmter Gruppen. Das heißt, bestimmte Parteien wenden sich den Bedürfnissen einer Gruppe zu, wie zum Beispiel der Gruppe der Handwerker, um deren Stimme zu gewinnen. Falls diese Parteien dafür an der Wahlurne belohnt werden, versuchen sie, ihre Versprechen umzusetzen. Durch die inhaltliche Vertretung tritt dann die tatsächliche politische Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund, Handwerkern oder Frauen in den Hintergrund.

Reicht diese inhaltliche Vertretung aus?

Breunig: Da unsere Gesellschaft in den letzten 20 Jahren diverser und wirtschaftlich ungleicher geworden ist, stellt sich die Frage, ob und wie die Politik darauf reagiert hat. Hierzu hat die Forschung festgestellt, dass immer mehr unterrepräsentierte Gruppen im Bundestag vertreten sind, aber auch, dass man dadurch noch nicht die Gesellschaft abbildet. Die Zahlen zu Migranten sind ein Beispiel davon. Gleichzeitig gibt es immer mehr Anhaltspunkte – sowohl für Deutschland als auch international –, dass Abgeordnete eher den Präferenzen der wohlhabenden Bürger folgen und die der Arbeiter und Handwerker vernachlässigen. Falls sich diese Evidenz verhärtet, kann man die Meinung vertreten, dass es zu wenige Handwerker im Bundestag gibt. Aktuell waren die meisten Abgeordneten zuvor in Unternehmensführung und -organisation tätig und nur noch ungefähr drei Prozent stammen aus handwerklichen Berufen.

Nina Warken. Foto: Tobias Koch/RNZ

Frau Warken, Sie sind selbst Rechtsanwältin: Haben wir zu viele Juristen im Parlament und zu wenig Handwerker?

Warken: Wie oben beschrieben, ist es grundsätzlich wichtig, dass das Parlament breit aufgestellt ist – allerdings ist wissenschaftlich belegt, dass es leider nie gelingen wird, die Bevölkerung mit ihrer vielschichtigen Demografie – vor allem auch was Herkunft und Berufsgruppen angeht – genau im Parlament abzubilden. Ich persönlich halte eine gute Mischung für wünschenswert, auch um unterschiedliche Blickwinkel in der parlamentarischen Arbeit zu erhalten und verschiedene Kompetenzen zu nutzen. Allerdings möchte ich dem etwaig entstandenen Eindruck widersprechen, dass Juristen keine pragmatische, bürgernahe Politik machen könnten: Es kommt auf den persönlichen Einsatz eines jeden Abgeordneten an, sich für die Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis zu engagieren, die Anliegen zu hören und mit starker Stimme zu vertreten und sich ein Bild von den Sorgen und Herausforderungen der Menschen in der Heimat zu machen. Ich spreche hierbei nicht nur von Bürgersprechstunden, sondern auch von einem stetigen Austausch beispielsweise mit den Kreishandwerkerschaften, deren Probleme und Nöte ich kenne und mich mit gesundem Menschenverstand daran mache, hierfür Lösungen zu finden und diese umzusetzen.

Hintergrund

Nina Warken

> Geboren am 15. Mai 1979 in Bad Mergentheim. 1998 legte sie das Abitur am Matthias-Grünewald-Gymnasium in Tauberbischofsheim ab.

> Von 1998 bis 2002 Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Heidelberg, 2003 Erstes

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Nina Warken

> Geboren am 15. Mai 1979 in Bad Mergentheim. 1998 legte sie das Abitur am Matthias-Grünewald-Gymnasium in Tauberbischofsheim ab.

> Von 1998 bis 2002 Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Heidelberg, 2003 Erstes Juristisches Staatsexamen; anschließend Rechtsreferendariat am Landgericht Mosbach. Seit 2006 Tätigkeit als Rechtsanwältin.

> Nina Warken war von 2006 bis 2014 stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union. 2013 bis 2017 war die CDU-Politikerin erstmals Mitglied des Bundestags. 2018 rückte sie für den ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Stephan Harbarth nach. 2021 wurde sie als Nachfolgerin von Alois Gerig als Direktkandidatin für den Wahlkreis Odenwald-Tauber in den Bundestag gewählt.

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Auch Frauen sind unterrepräsentiert: Nur 35 Prozent der 736 Abgeordneten des neuen Bundestags sind Frauen. Belegt das, dass die Politik noch immer ein Männergeschäft ist?

Warken: Jedenfalls zeigt es, dass es zu wenige Frauen sind. Es zeigt aber auch, dass sich Frauen leider immer noch weniger in der Politik und in Parteien engagieren und dass sie oft die Auseinandersetzung um ein politisches Mandat scheuen. Auch ausgewogen die weibliche Perspektive auf alle Bereiche der Politik zu hören, ist meines Erachtens enorm wichtig. Einiges hat sich aber auch in diesem Bereich getan und es ist weiterhin die Aufgabe der Parteien, ein attraktives Angebot für Frauen zu machen und ihnen die Möglichkeit zur Mitgestaltung zu bieten. Das muss im Sinne aller sein.

Breunig: Wie auch in großen Unternehmen ist die Politik in der Spitze noch immer ein Männergeschäft. Dies zeigt unter anderem auch die aktuelle Diskussion um die geschlechtliche Zusammensetzung der neuen Bundesregierung. Dass dies so ist, liegt nicht daran, dass Frauen sich nicht politisch engagieren wollen. Entscheidender ist, dass es für Frauen schwieriger ist – neben Familie und Beruf –, die lokale Parteiarbeit, die sogenannte "Ochsentour", zu leisten, um eine politische Karriere zu starten. Außerdem gibt die von Männern dominierte Parteielite die attraktiven Listenplätze und Posten dann doch lieber ihresgleichen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Im Parlament gehen Männer und Frauen anders miteinander um. Frauen werden bei ihren Reden öfter unterbrochen, sie werden gegängelt und durch Zwischenrufe bevormundet. Außerdem trifft es Abgeordnete mit Familien durch die oft bis spät in den Abend dauernde Sitzungszeit besonders hart.

Im Wahlkreis Odenwald-Tauber sieht die Situation anders aus: Beide Vertreter – Nina Warken (CDU) und Christina Baum (AfD) – sind Frauen. Sind wir hier zwischen Odenwald und Tauber besonders fortschrittlich?

Breunig: Die Statistik zum aktuellen Bundestag deutet auf einen Fehlschluss hin. Bei der CDU sind ungefähr 27 Prozent der Abgeordneten weiblich und bei der AfD voraussichtlich gar nur 13 Prozent. Worauf es wirklich ankommt, ist aber: Wie gut vertreten die beiden Abgeordneten die Interessen der Odenwälder und kümmern sich um die Bedürfnisse der Wähler?

Ist es aus Ihrer Sicht eigentlich ein Muss, aus der Region zu kommen, um einen solch großen Wahlkreis zu repräsentieren, der fast der Fläche des Saarlands entspricht? Oder spielt die Herkunft in unserer heutigen Welt keine große Rolle mehr?

Warken: Ich bin hier aufgewachsen, habe mich viele Jahre in Vereinen und in der Politik ehrenamtlich engagiert und den Wahlkreis, Land und Leute auch durch meine berufliche Tätigkeit kennengelernt – das alles ist von Vorteil, wenn man vernetzt und mit den örtlichen Gegebenheiten und Herausforderungen vertraut ist. Es kommt aber in Odenwald-Tauber darauf an, dass man bereit ist, den Wahlkreis in seiner ganzen Größe und Diversität mit allen Besonderheiten und auch den Eigenheiten der Menschen in den 45 Kommunen zu vertreten. Das bedeutet in diesem speziellen Fall – Sie haben es angesprochen, Odenwald-Tauber umfasst knapp die Fläche des Saarlands –, dass man vor Ort bei den Menschen ist und zwangsläufig auch viel Zeit auf der Straße verbringt.

Abschließend: Welche Frage würden Sie dem Politikwissenschaftler Christian Breunig gerne stellen?

Warken: Welche drei Dinge würden Sie zuerst in Angriff nehmen, wenn Sie Bundestagsabgeordneter wären?

Breunig:Ich würde mich von meiner eigenen Forschung leiten lassen und dabei zuerst die Haushaltspolitik angehen, weil der Haushalt ein mächtiges Werkzeug ist, um Probleme zu adressieren und Deutschland zukunftssicher zu gestalten. Zweitens zeigt unsere Forschung, dass viele Probleme lange vernachlässigt werden, um dann überproportional viel politische Aufmerksamkeit zu erhalten. Aktuell sind Digitalisierung und Migration gute Beispiele dafür. Ich würde mich deshalb Themen widmen, die noch nicht so viel Beachtung finden, aber das Potenzial besitzen, dies in naher Zukunft zu tun. Dies wären technische Infrastruktur und Gesundheitsversorgung. Beides sind Themen, die auch zwischen Odenwald und Tauber immer wichtiger werden.

Abschließend: Welche Frage würden Sie Nina Warken gerne stellen?

Breunig: Falls die CDU die nächste Bundestagswahl gewinnt und wieder Teil der Regierung ist, um welchen Ministerposten würden Sie sich bemühen?

Warken: Wir als Union werden zeigen, dass wir gute Konzepte und Ideen für unser Land haben. Wir werden eine starke Opposition sein. Politik bedeutet nicht, den Menschen zu sagen, was der Staat will, sondern dem Staat zu sagen, was die Menschen wollen. Hierzu werde ich in meinen Themenbereichen einen Beitrag leisten. Darum geht es jetzt, und nicht um Personalfragen der Zukunft.

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