Weniger Verbindungen

Wie die Bahn Pendler zwischen Stuttgart und Rhein-Neckar ausbremst

Bahn streicht drei IC-Züge, die Pendler zwischen Stuttgart und Heidelberg nutzen - Auch Elke Weichsel ist davon betroffen

12.11.2020 UPDATE: 13.11.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 1 Sekunde
Elke Weichsel muss am Donnerstag im Heidelberger Hauptbahnhof den IC 1291 nehmen, um nach Hause zu fahren. Die Pendlerin aus Stuttgart hat sich bei der Bahn beschwert, dass drei IC-Züge gekappt werden. Konkrete Antworten auf ihre Fragen bekam sie kaum. Foto: Dorn

Von Carsten Blaue

Stuttgart/Heidelberg. Elke Weichsel ist erzürnt. Seit zehn Jahren pendelt sie mit dem Zug von Stuttgart nach Heidelberg zur Arbeit. Auch ihr hat die Zeit der Sanierung auf der Schnellfahrstrecke Stuttgart-Mannheim viel Geduld, Umwege und zusätzliche Fahrzeiten abverlangt. Daher war sie froh, als die Bauarbeiten zum 1. November abgeschlossen waren. Doch: "Die Freude ist von kurzer Dauer", sagt Weichsel. Denn die Deutsche Bahn (DB) kappt jetzt drei Intercity-Züge, die Weichsels Arbeitsweg tangieren – zwei morgens von der Landeshauptstadt aus, eine nachmittags ab Heidelberg. Entsetzt schrieb sie schon Mitte Oktober an die Bahn. Auch das Verkehrsministerium in Stuttgart schaltete sie ein. Es war ein zäher, nerviger Schriftwechsel per E-Mail, welcher der RNZ vorliegt. Viel schlauer war Weichsel danach aber nicht. Es ist eine Geschichte über abgehängte Pendler und den Umgang der Bahn mit Kunden.

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Die Bahn war stolz auf die Sanierung der 99 Kilometer langen Strecke mit ihren 90 Brücken und 15 Tunneln. Zumal man nach 205 Tagen Bauzeit meinte, eine "Punktlandung" hingelegt zu haben. 183 Millionen Euro kostete das alles. Und Steffen Bilger, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, frohlockte in einer Mitteilung: "Die Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart ist nun wieder voll leistungsfähig. Pendler und Reisende erhalten wieder beste Bahn-Qualität, kommen pünktlich und schnell an ihr Ziel." Dumm nur, wenn nicht mehr alle Züge fahren.

Der IC 2010 von Stuttgart aus um 7.14 Uhr sei nach der Baustelle schon gar nicht mehr angeboten worden, so Weichsel. Dabei sei diese Verbindung (Ankunft in Heidelberg um 7.53 Uhr) die schnellste gewesen. Auch den IC 2011, der in Heidelberg um 18.06 Uhr abfährt, habe die Bahn schon gestrichen. Ab dem Fahrplanwechsel im Dezember gibt es in der Frühe auch den IC 1510 (ab Stuttgart um 6.26 Uhr) nicht mehr. Den hätten SAP-Mitarbeiter gerne genutzt, weil er auch in Wiesloch/Walldorf hält, so Weichsel. In den zehn Jahren hat sie viele "Mitpendler" kennengelernt, "die jetzt wie ich vor dem großen Problem stehen, nicht mehr rechtzeitig zur Arbeit fahren zu können oder schon viel zu früh dort zu sein." Denn im Fahrplan zwischen Stuttgart und Heidelberg klafft dann ein Loch zwischen 6.04 und 7.36 Uhr. Außer montags. Da fährt laut einer Bahn-Pressesprecherin um 7.17 Uhr noch der IC 1996. Für Weichsel ändert das nichts: "Es ist wirklich schade, dass Heidelberg langsam vom Fernverkehr abgehängt wird." Sie fürchtet, dass mancher Pendler "in den sauren Apfel beißen und auf das Auto umsteigen" wird. Der neue Fahrplan werde jedenfalls für viele noch eine böse Überraschung.

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Am 16. Oktober schrieb Weichsel ihre ersten E-Mails an den "Kundendialog" und die Adresse "Abo-Firmenkunden" der Bahn und wollte wissen, ob es wirklich dabei bleibt, dass morgens ab Stuttgart die Züge um 6.04 und 7.36 Uhr die einzigen Direktverbindungen nach Heidelberg sind. Und ob es jetzt ein Sonderkündigungsrecht für das Abo gebe. Durch die Baustelle habe man schon einiges mitgemacht, aber der neue Fahrplan sei jetzt wirklich der Gipfel.

Auf beide E-Mails antwortete die Leiterin des "Kundendialogs" am 18. Oktober. Die erste war eine Standard-Mail, die überhaupt nicht auf Weichsels Frage einging, aber auf regelmäßige Kundenbefragungen verwies und mit dem schönen Satz endete: "Wir stehen gern mit unseren Kunden im Dialog und freuen uns, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, uns zu schreiben." So stand es auch am Ende der zweiten E-Mail. Diese gab zwischen vielen allgemeinen Erläuterungen zur Gestaltung der Fahrpläne aber zumindest einen Hinweis auf Gründe. Verbindungen, die sich als unwirtschaftlich erweisen würden, hieß es, könne die Bahn nicht dauerhaft anbieten, auch wenn sie "vielleicht auf einigen Teilstrecken gerne genutzt werden". Und immerhin wird Bedauern für Weichsels Nachteile geäußert.

Weichsel ließ nicht locker und schrieb noch am gleichen Abend zurück an den "Kundendialog". Es sei ein Unding, ohne Vorankündigung die zwei Hauptverbindungen für Pendler am Vormittag zu streichen. Gerade den Zug um 6.26 Uhr hätten auch viele genutzt, die in Vaihingen/Enz zusteigen. Sie schließt die E-Mail an die Bahn mit den Worten: "Die Abokunden sind Ihnen nicht wichtig."

"Nicht komplett gestrichen"

Der Vorwurf perlte unkommentiert an der Leiterin des "Kundendialogs" ab. Sie brachte in ihrer Antwort zwei Tage später allgemein und etwas irreführend die "Belange der Bundesländer" als "Besteller" von Verbindungen ins Spiel. Werde eine "bestimmte Verbindung nur mit bestimmten Prämissen bestellt, dann wird dies auch so umgesetzt". Kein Unternehmen werde ein hochwertiges Produkt anbieten und einsetzen, wenn nur ein "Standard"-Produkt bestellt sei und bezahlt werde. Hat also das Land Baden-Württemberg mit dem Aus der drei Verbindungen zu tun? Weichsel schrieb am 26. Oktober an das Verkehrsministerium. Dessen Bürgerreferentin teilte zwei Tage darauf mit: "Auf Verbindungen im Fernverkehr der DB-AG haben wir keinen Einfluss." Nach ihrem Kenntnisstand handele es sich beim Ausfall der drei Züge aber nur um vorübergehende, coronabedingte Einschränkungen: "Sie sind nicht komplett gestrichen, sondern sollen wieder fahren, sobald sich die Pandemielage gebessert hat." Das klang für die Stuttgarterin nun ganz anders als die bisherigen Antworten der Bahn. Also wieder eine E-Mail an den "Kundendialog" mit konkreten Fragen und dem Hinweis, der neue Fahrplan sei für sie und andere Pendler, mit denen sie gesprochen habe, nicht mehr mit dem Beruf vereinbar.

Nach einer weiteren Standardantwort und einem weiteren Versuch, bekam Weichsel am 3. November immerhin diese Auskunft: "Der IC 2010 soll ab Mitte 2021 wieder fahren, allerdings nur unter Vorbehalt." Über den IC 1510 gebe es noch keine genauen Informationen. Der IC 2011 ab Heidelberg wird allerdings schon gar nicht mehr erwähnt. Die Leiterin des "Kundendialogs" schreibt zudem an Weichsel: "Wir bedauern, dass Sie mit unseren Antworten nicht zufrieden sind" und schließt die E-Mail mit dem Satz: "Ihren zukünftigen Bahnfahrten wünschen wir einen angenehmen Verlauf." Die RNZ konfrontierte die Bahn mit dem Vorgang und wollte unter anderem wissen, was es mit den wirtschaftlichen Gründen auf sich hat, warum gerade diese Linien gestrichen wurden (und nicht andere) und warum indirekt das Land ins Spiel gebracht wurde. Zumal die Bahn ihren Fernverkehr eigenwirtschaftlich im Rahmen ihres operativen Geschäfts anbietet und die Länder lediglich "Besteller" im Nahverkehr auf der Schiene sind.

Konkrete Antworten gab es kaum von einer Sprecherin der Bahn. Sie nannte vier Verbindungen ab Stuttgart morgens zwischen 6.04 und 8.05 Uhr und nachmittags ab Heidelberg zwischen 15.13 und 17.36 Uhr als "Alternative für Pendler". Zudem verwies sie auf ein Interview der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit Personenverkehrsvorstand Berthold Huber. Darin spricht er von eingebrochenen Fahrgastzahlen. So seien auch in IC-Zügen im Schnitt nur noch 30 bis 35 Prozent der Sitzplätze besetzt. Vor Corona habe die Auslastung bei 56 Prozent gelegen. Es sollte wohl auch das vorläufige Ende der drei Züge begründen.

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