Viele Varianten, kaum Klarheit

Wie es um Hockenheims Kampf gegen Bahnlärm steht

Die Hockenheimer Bürgerinitiative kämpft weiter gegen Bahnlärm. Die Neubaustrecke könnte auch durch die Pfalz führen.

13.10.2021 UPDATE: 14.10.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 33 Sekunden
Seit mehr als 40 Jahren wehren sich die Hockenheimer gegen den Lärm der Güterzüge, die durch ihre Stadt fahren. Eine Einigung mit der Bahn ist noch immer nicht in Sicht. Foto: len

Von Harald Berlinghof

Hockenheim. Die Hockenheimer Bürgerinitiative Stille Schiene (BISS) hat noch immer ordentlich Biss. 93 Mitglieder zählt sie derzeit. Und die beiden Vorsitzenden Lothar Gotthardt und Konrad Sommer (Stellvertreter) kämpfen seit vielen Jahren gemeinsam für einen ausreichenden Lärmschutz in Hockenheim und Umgebung. Ganz zu Schweigen vom 88-jährigen Horst Waldmann, der den 40-jährigen Kampf der Stadt gegen die Bahn komplett miterlebt hat.

Im Jahr 1981 hatte die Bahn Lärmreduzierungen zugesagt, die bis heute nicht umgesetzt wurden. Bereits 1974 war Waldmann bei der Gründung einer Bürgerinitiative gegen Bahnlärm dabei. "Die Impertinenz und Arroganz der damals anwesenden Bahnvertreter war unerträglich", erinnert er sich. Doch seit dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim im Mai 2021 hat sich die juristische Situation der Stadt Hockenheim verbessert. "Wir haben bis heute allerdings keine Kontaktaufnahme der Bahn bei uns verzeichnet. Da werden wir mal einen freundlichen Brief schreiben müssen", so Oberbürgermeister Marcus Zeitler.

Doch die Stadt Hockenheim steht mit ihrem Anliegen nicht allein da. Von Hessen über Mannheim bis hinunter nach Karlsruhe fordern Bürgerinitiativen und Projektbeiräte von der Bahn bessere Schallschutzmaßnahmen zugunsten der Anwohner – an Bestandsstrecken, die für den Bahnverkehr der Zukunft ausgebaut werden sollen, und an Neubaustrecken.

"Aber wir stellen immer wieder fest, dass die Betroffenen nicht alle an einem Strang ziehen, sondern ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen. Diese Dramatik der Zerrissenheit war uns lange nicht klar", erklärt der stellvertretende BISS-Vorsitzende, Konrad Sommer, bei der Mitgliederversammlung der Bürgerinitiative im Restaurant Rondeau in der Stadthalle. Neben Neuwahlen geht es dabei auch um den aktuellen Stand der Ausbaupläne der Bahn. Früher habe man bei der Diskussion um den Verlauf der Neubaustrecke Frankfurt-Karlsruhe stets den Eindruck gehabt, hinter Mannheim höre die Welt auf, sagt Oberbürgermeister Marcus Zeitler, der die Sitzung als Gast verfolgt.

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BISS-Vorsitzender Lothar Gotthardt geht auf die in der vergangenen Woche veröffentlichten Linienkorridore zwischen Frankfurt und Karlsruhe ein. "Das, was da jetzt vorgelegt wurde, kann zutreffen, muss aber nicht", sagt er. Jede eingezeichnete Streckenführung habe eine Planungsbreite von 1000 Metern. "Wo genau das Gleis dann hinkommt, ist offen", betont Gotthardt.

Ganz zu schweigen davon, dass viele Alternativen aufgezeichnet seien. Die Bahn müsse vor allem sogenannte Raumwiderstände berücksichtigen. Ein Raumwiderstand ist ein Indikator dafür, wie schwierig es werden könnte, eine geplante Trasse zu realisieren. Der gesamte Bereich in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sei in Widerstandsklassen von 1 bis 5 eingeteilt. Planungsvarianten auf Pfälzer Seite hätten den Vorteil, dass die Siedlungsdichte dort wesentlich niedriger sei als auf baden-württembergischer Seite. Allerdings gebe es dort drei Naturschutzgebiete mit hoher Widerstandsklasse, die es zu überwinden gelte.

Eine "Pfalz-Variante" würde bedeuten, dass zwei lange Tunnel unter dem Rhein nötig wären. Einer davon bei Mannheim nach Rheinland-Pfalz und ein zweiter bei Karlsruhe mit einer Länge von 12 Kilometern, der wieder zurück nach Baden-Württemberg führt. "Das sind Kosten, die vermutlich nie beschlossen werden", so Sommer. Bei der Durchfahrung von Mannheim ist ebenfalls ein Tunnel geplant. Warum also nicht auch in Hockenheim?

"Die Lampertheimer haben es geschafft, einen langen Tunnel zu bekommen und den Lärm damit weit weg von ihrer Siedlung zu halten. Ein Beispiel, das Hoffnung macht", betont Sommer. Und dann bricht er sogar mit einem regionalen Tabu, indem er fragt, warum man alle Güterzüge durch Mannheim schicken muss. Nur 60 Prozent fahren den Rangierbahnhof an. Warum könne man da nicht einen Teil der Züge an Mannheim vorbeileiten? Seit Hartmut Mehdorns Vergleich der Quadratestadt mit einer Milchkanne hatte niemand mehr gewagt, diese Frage zu stellen.

Doch je weiter nördlich man die Trassenführung in Richtung Autobahn A5 im Sinne einer Verkehrsbündelung führen könne, umso besser für Hockenheim, Schwetzingen und Oftersheim. "Schwetzingen und Oftersheim haben eine noch höhere Lärmbelastung durch die Bahn als Hockenheim. Der Raumwiderstand wegen der Siedlungslage hat dort die höchste Kategorie erreicht. Da kommt man nicht durch", so Sommer. Auch Hockenheim sei in der höchsten Widerstandsklasse angesiedelt. Aber die Bahn fahre eben ganz dicht an diesem Gebiet vorbei.

Marcus Zeitler möchte die bisher eher am Rande betroffenen HORAN-Gemeinden Reilingen, Altlußheim und Neulußheim ins Boot holen.

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