Siegfried Kollmar im Interview

"Ich kremple selbst gerne die Ärmel hoch"

Der neue Mannheimer Polizeipräsident sprach mit der RNZ über Aufstiege, die Neckarwiese, Poser und seine Ziele.

29.07.2021 UPDATE: 30.07.2021 06:00 Uhr 6 Minuten, 34 Sekunden
Siegfried Kollmar drückt beim Umzug der Kriminal- und Verkehrspolizei in die Heidelberger Campbell-Barracks aufs Tempo. Foto: Gerold

Von Alexander Albrecht

Rhein-Neckar. Siegfried Kollmar (59) ist vom Vizechef zum Präsidenten des auch für Heidelberg und Rhein-Neckar-Kreis zuständigen Polizeipräsidiums Mannheim aufgestiegen.

Herr Kollmar, Sie sind 1979 in den mittleren Polizeidienst eingetreten, 42 Jahre später haben Sie es zum Chef einer Megabehörde gebracht. Das klingt fast ein bisschen nach der Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär.

Ich würde eher vom Streifenwagen in den Chefsessel sprechen, und da bin ich auch stolz drauf. Sie sagen ja selbst, dass dazwischen vier Jahrzehnte liegen. Mein Aufstieg war keiner im Aufzug, sondern ich bin über die Treppe gegangen, musste einige Stufen nehmen und viele Funktionen ausüben. Ich habe vom Betrunkenen einsammeln, Unfälle aufnehmen und Hausstreit schlichten bis zur Bearbeitung von Sachbeschädigungen und später dann Ermittlungen bei der Organisierten Kriminalität oder Tötungsdelikten alles gemacht. Das hilft mir bis heute bei mancher Entscheidung in der Führungsebene.

Wer oder was hat Ihnen bei dieser Bilderbuchkarriere geholfen?

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Ich hatte in jungen Jahren das Riesenglück, von Beginn an gute Kollegen um mich herum gehabt zu haben. Die wussten, wie man Anzeigen schreibt, Vernehmungen macht und mit Menschen spricht. Später und zuletzt hatte ich als Leiter der Kriminalpolizeidirektion einen Stab mit leistungsstarken Beamten, die mir sehr gut zugearbeitet haben. Und auch jetzt ist es so, dass Sie eine Megabehörde mit über 2600 Mitarbeitern nicht führen können, indem Sie meinen, alles besser zu wissen. Und im Laufe der Karriere brauchen Sie natürlich auch Vorgesetzte, die Sie wertschätzen und gut beurteilen.

Sie müssen ja aber auch selbst hohen Einsatz gezeigt haben.

Ja, das gehört genauso dazu. Ich habe bei der Arbeit noch nie auf die Uhr geschaut. Mir war kein Einsatz und kein Vorgang zu viel. Und ich habe in den vergangenen zehn Jahren bei vielen regionalen und landesweiten Projekten mitgewirkt, so auch bei der Fusion des Präsidiums mit der Polizeidirektion Heidelberg.

Innenminister Thomas Strobl hat Sie einen Macher genannt. Trifft es das?

Ich habe so ein bisschen den Verdacht, dass der Minister einen Informanten in meinen Reihen hat. Mit dem Macher kann ich mich sehr gut identifizieren, ich kremple selbst gerne die Ärmel hoch und bin für mein Umfeld wohl eher ein Unruhegeist. Natürlich muss man die Probleme sorgfältig analysieren, aber am Ende des Tages auch anfangen, etwas zu tun. Ich hatte zum Beispiel die Idee für den Sicherheitstag, an dem wir alles, was wir haben, auf die Straße schicken. Das funktioniert super und ist landesweit von einigen Dienststellen übernommen worden. Ich will, dass wir vorwärts kommen. Wir hatten heute eine Besprechung und ein Kollege meinte, in einem Bereich seien wir doch gut. Darauf meinte ich: Super, und jetzt machen wir weiter und werden noch besser. Stillstand ist für mich auch immer ein Stück weit Rückschritt.

Ihr Vorgänger Andreas Stenger hat versucht, das Profil der Beamten als präsente und bürgernahe Dienstleister zu schärfen. Ist das auch Ihr Maßstab?

Absolut. Jede Initiative, die er diesbezüglich gestartet hat, wird fortgeführt und von mir unterstützt. Wir haben heute viele Probleme, nehmen Sie zum Beispiel die Respektlosigkeit gegenüber der Polizei und Rettungskräften. Wenn man aber Respekt erwartet, muss man sich auch respektvoll anderen gegenüber verhalten, also zum Beispiel bei einer Verkehrskontrolle mit den Bürgern freundlich und fair umgehen. Gleichzeitig gehört dazu, dass wir verstärkt präsent sind, ob auf der Neckarwiese in Heidelberg, den Mannheimer Planken oder der Eventmeile Jungbusch.

Sie waren bis 2016 als Fußballtrainer tätig. Tickt der Coach anders als der Polizeipräsident oder gibt es da Parallelen?

Ich glaube schon, dass es die gibt. Bei meinen Fußballmannschaften war ich als einer bekannt, der viel abverlangt und ein gute Vorbereitung fordert. Meine Teams sind immer topfit in die Saison gegangen. Ich bin mit verschiedenen Mannschaften aufgestiegen. Das schaffen sie nicht, wenn sie schludern. Und ich will auch, dass wir uns bei der Polizei auf die Einsätze top vorbereiten. Ich verlange höchstmögliche Professionalität.

Welcher Fall in Ihrer Laufbahn ist Ihnen in besonderer Erinnerung?

Wenn ich da anfangen würde, zu erzählen, sitzen wir ein paar Stunden. Als ich noch im mittleren Dienst war, hatten wir einen Einsatz bei einem Brand mit zwei toten Kindern. Das werde ich nie vergessen, ebenso nicht den Amoklauf von Dossenheim, die Amokfahrt auf dem Heidelberger Bismarckplatz oder der Fall vor ein paar Wochen, als in Sinsheim ein 13-Jähriger erstochen wurde. Straftaten sind für den Betroffenen immer dramatisch. Das gilt auch für den Einbruch oder den Betrug, bei dem eine alte Frau ihr Erspartes verliert.

Die Heidelberger Neckarwiese ist zum Mekka von Krawalltouristen geworden. Wie konnte es so weit kommen und was haben Sie daraus gelernt?

Zunächst einmal muss man für die Jugendlichen und jungen Heranwachsenden Verständnis haben, dass sie feiern wollen. Ich denke, es gehört zum Jung sein dazu, dass man auch mal über die Stränge schlagen und seine Grenzen austesten darf. Die Grenze war für mich in einer nicht zu tolerierenden Art und Weise überschritten, als in der Krawallnacht an Pfingsten ein E-Scooter durch die Scheibe eines Testcenters geworfen wurde, man Sachen zerstörte und es zu Schlägereien kam. Wir brauchen für unsere Jugendlichen mehr Freiräume. Sie haben es im Moment sicher sehr schwer, weil die Diskotheken und Clubs zu sind, sie nicht tanzen oder "wild" sein können. Darauf müssen wir Antworten finden. Die Jugend ist nicht schlechter als früher. In der brenzligen Phase war es aber genauso wichtig, dass wir uns mit der Stadt an einen Tisch setzten und auch mal ein Zeichen gesetzt haben, wir die Neckarwiese um 21 Uhr sperrten und speziell geschulte Kommunikationsteams losschickten.

Der Heidelberger Ordnungsbürgermeister Wolfgang Erichson hat mit einer Aussage über die Herkunft der Jugendlichen auf der Neckarwiese für Wirbel gesorgt. Mit wem haben es Ihre Kollegen dort tatsächlich zu tun?

Junge Menschen, die feiern und auch mal die Grenzen austesten wollen. Bei den Gewalttaten waren es häufig junge Männer.

Das Präsidium ist in Mannheim, Sie sind ein Sohn Heidelbergs und leben in Schwetzingen. Werden Sie Signale setzen, damit sich Bürger und Politiker in Heidelberg und dem Rhein-Neckar mit ihren Sorgen noch ernster genommen fühlen?

Ich habe schon in den letzten dreieinhalb Monaten, seit ich die Verantwortung kommissarisch getragen habe, gezeigt, dass ich alle drei Bereiche gleichmäßig bedienen will und der Sicherheitsstandard überall gleich hoch sein muss. Wenn Heidelberg im Moment der Hotspot ist, dann stecke ich dort die Manpower rein, morgen vielleicht in Sinsheim und übermorgen im Jungbusch. Die Kunst ist, nicht starr ein Konzept zu fahren und eine Seite zu vernachlässigen. Ich weiß nicht, ob es jemals einen Polizeipräsidenten gab, der so mit der Region verbunden war wie ich. Ich bin in Heidelberg geboren und aufgewachsen, ich lebe in der Region, habe hier geheiratet und bin hier Vater geworden. Ich bin Kurpfälzer durch und durch. Der Nachteil ist: Ich werde ständig angesprochen und habe nie Feierabend. Jedenfalls werde ich den gesamten Zuständigkeitsbereich Heidelberg, Mannheim und den Rhein-Neckar-Kreis mit gleicher Professionalität und Intensität durch unser Präsidium betreuen lassen.

Welche drei Themen stehen ganz oben auf Ihrer Agenda?

Erstens dort kontinuierlich weiterarbeiten, wo wir gut sind. Ich meine damit zum Beispiel die Ermittlungsgruppen Eigentum, Rauschgift und Poser, die sich bewährt haben. Zweitens will ich Projekte zu Ende bringen. Ich denke an den Umzug der Kriminal- und Verkehrspolizei in die Campbell-Barracks. Das ist ultrawichtig für mich und ich hoffe, dass wir das im nächsten Jahr angehen können. Ähnliches gilt für das Führungs- und Lagezentrum im obersten Geschoss des Mannheimer Präsidiums, das sich derzeit noch im Bau befindet. Der dritte Punkt ist, in angepasster Form neue Projekte zu initiieren. Ich habe mir für das nächste Jahr vorgenommen, ein Haus des Jugendrechts in Heidelberg zu prüfen, das auch den Rhein-Neckar-Kreis betreut, und werde dazu eine kleine Arbeitsgruppe einsetzen. Außerdem würde ich gerne 2023 als Pendant zu Mannheim auch eine Ermittlungsgruppe Rauschgift in Heidelberg gründen.

Durch Corona und die Folgen hat die Polizei Rückgänge bei vielen klassischen Kriminalitätsdelikten verzeichnet. Fürchten Sie einen großen Anstieg, wenn alles wieder weitgehend "normal" wird? Ist die Polizei darauf vorbereitet?

Wir haben viel gelernt. Die Kriminalität hat sich tatsächlich etwas verlagert von Kontaktdelikten wie Einbruch, Raub und Diebstahl hin zu Distanzdelikten, zum Beispiel neue Betrugsmaschen im Internet. Eine unserer Abteilungen mit IT-Spezialisten ist da gut aufgestellt. Und genauso flexibel können wir reagieren, wenn "draußen" wieder mehr los ist.

Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die richtige Polizei wieder vor falschen Kollegen, Enkeltrickbetrügern oder angeblichen Mitarbeitern von Behörden oder Firmen warnt. Wie lange wird das noch weitergehen?

Wir tun sehr viel und es gab auch einige Festnahmen. Manchmal ist es allerdings nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Wichtig ist, dass wir die Prävention weiter ausbauen und die Angebote von den Menschen noch stärker angenommen werden. Wir informieren über die Presse, gehen zu alten Leuten nach Hause oder setzen Infobroschüren ein – trotzdem haben die Betrüger immer wieder mal Erfolg. Dann bekommen Sie den Fall höchstens retrograd aufgeklärt, das Geld ist dann aber in vielen Fällen bereits weg.

Ab Ende August werden in der Mannheimer City neuralgische Punkte wie an der Fressgasse oder Kunststraße für den Autoverkehr gesperrt. Glauben Sie, dass man dadurch der Poser-Szene den Garaus machen kann oder wird sie sich lediglich verlagern?

Zunächst wird sie sich verlagern, da bin ich mir ziemlich sicher. Ich wundere mich ja immer, wie die jungen Männer zu den Autos kommen.

Sagen Sie es uns.

Viele leasen die Fahrzeuge und sind durchaus bereit, Hunderte Euro im Monat dafür auszugeben, gleichzeitig aber wohnen sie noch bei den Eltern. Bei anderen gönnen die Eltern dem Nachwuchs ein solches Auto. Und dann gibt es welche, die tatsächlich Geld haben, das ist aber die Ausnahme. Die Szene verschwindet ja nicht. Wir versuchen, das Phänomen einzudämmen und stellen relativ viele Führerscheine und Fahrzeuge sicher. Als wir in Mannheim die Schranke in der Fressgasse zugemacht haben, tauchten die Poser teilweise in Heidelberg in der Ziegelhäuser Landstraße, am Bismarckplatz und zuletzt in der Uferstraße auf. Irgendwann waren sie dann in Neckargemünd. Die Sperrungen in Mannheim helfen trotzdem, denn die Poser wollen vor Publikum und bestimmten Lokalen Eindruck schinden. Wir müssen geduldig bleiben, immer wieder Nadelstiche setzen – und dann wird es auch besser. Es gibt in Mannheim und in Heidelberg je eine Ermittlungsgruppe Poser. Falls wir aber noch eine dritte brauchen, führen wir die zusätzlich ein.

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