Wo Rodungen zur Artenvielfalt beitragen
Naturschutzgebiet Hirschacker und Dossenwald entwickelt sich

Informationen über seltene Tiere und Pflanzen bekamen die Teilnehmer beim Vorort-Termin. Foto: Lenhardt
Von Stefan Kern
Schwetzingen. Trotz seiner stattlichen Größe von fast 130 Hektar kommt das Naturschutzgebiet Hirschacker und Dossenwald eher unscheinbar daher - zumindest auf den ersten Blick. Eher karg und dürr wirkt die Vegetation. Der Eindruck täuscht, wie die Katrin Fritzsch und Anja Lehmann vom Nabu gleich zu Beginn des Pressegesprächs betonen. Vielmehr sei das Gebiet, das von dem Umweltverband und dem Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe gemeinsam betreut wird, ein kostbares Refugium für seltene und lichtliebende Pflanzen und Tiere.
In den vergangenen Jahren sind auf dem Areal umfangreiche Maßnahmen zur Entwicklung des Sandrasens durchgeführt worden. Dabei ging es vor allem darum, Platz zu schaffen für Pflanzen wie die Sandkornblume und Tiere wie den Dünen-Sandlaufkäfer.
Dafür wurde unter anderem ein Hügel, rund 0,4 Hektar groß und nicht allzu weit entfernt von den ehemaligen amerikanischen Kasernen auf Schwetzinger Gemarkung, mit einem halben Meter Flugsand aufgeschüttet. Dort können sich nun die an Trockenheit und Hitze gewöhnten Spezialisten ansiedeln. Die Arbeiten dienen dem ökologischen Ausgleich für den Bau der B535 vor etwa 30 Jahren. Eigentlich sollte damals die parallel zur Bundesstraße verlaufende Landesstraße L600 als Ausgleich zurückgebaut werden. Doch dazu kam es nie, weshalb vor einigen Jahren Alternativen gesucht und gefunden wurden. Deutlich umfangreicher sind die Maßnahmen des Nabu in Kooperation mit dem Regierungspräsidium in diesem Gebiet.
Unter dem Projektnamen "Lebensader Oberrhein" wurden Teile des Fichtenwalds gerodet, um die ursprüngliche Sanddünen-Vegetation mit ihren stolzen, alten Solitäreichen wieder zur Geltung zu bringen. Diese Arbeiten laufen seit vielen Jahren, werden aber noch einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen, teilten Fritzsch, Lehmann und Daniel Raddatz, Leiter des Referats Umweltschutz und Landschaftspflege beim RP, mit. Denn der Natur wird weitgehend freie Hand gelassen.
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"Unsere Zielarten wie das Kali-Salzkraut sollen eigenständig und von den Rändern her ihr Gebiet erobern", sagte Lehmann. Die Pflegetrupps kümmern sich nur um einzelne Bereiche, wie das Ziehen von Nachtkerzen oder das Hacken von Brombeersträuchern. In einem fünf Hektar großen Teilgebiet werden die Arbeiten von 25 Ziegen und 60 Schafen übernommen.
"Sie sind enorm effizient bei der Aufgabe, den Wald zurückzudrängen. Es dauert nur einfach etwas länger", erklärte Fritzsch. Wirksamer Natur- und Landschaftsschutz gleiche daher eher einem Marathon als einem Sprint. Eindringlich dokumentiert wird der Prozess mit einer kleinen Bilderreihe des Gebiets seit 1944. Damals ein militärisches Übungsgebiet für die Nationalsozialisten übernahmen es nach 1945 die Amerikaner zum gleichen Zweck. Mit der Zeit, so Lehmann, verwaiste das Areal, sodass sich vor allem Kiefern breitmachten und die ursprüngliche Kulturlandschaft verdrängten. Letztere liegt besonders Raddatz am Herzen. Denn das alles sei vom Menschen geschaffen. "Wenn der Mensch nicht wäre, gebe es hier nur Wald und undurchdringliches Gestrüpp."
Die Eingriffe, der Wandel von Kieferforst zu Sanddünen, diene der Artenvielfalt. "Das mussten wir der Öffentlichkeit erst mühsam nahebringen", erinnerte sich Fritzsch. "Zu Beginn der Rodungen ernteten wir fast nur Unverständnis und Protest." Dass Bäume der Artenvielfalt auch im Wege stehen können, sei schwer zu vermitteln gewesen.
Inzwischen scheint die Bevölkerung die Maßnahmen zu verstehen. Beeindruckend sind zumindest die vielen umherschwirrenden Insekten, vor allem Wildbienen. Für Fritzsch und Lehmann ist das Naturschutzgebiet gar ein "Paradies". Und auf dieses sollte Rücksicht genommen werden. Heißt: Besucher werden darum gebeten, auf den Wegen zu bleiben, Hunde gehören auf jeden Fall an die Leine.



