"Schleierstreit" in Weinheim

"Islam gehört zu Deutschland, Vollverschleierung nicht"

Streit schlägt hohe Wellen - OB Bernhard verteidigt Vorgehen - "Wollte kein Exempel statuieren"

09.04.2018 UPDATE: 10.04.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 30 Sekunden

Mitarbeiter und Repräsentanten der Stadt Weinheim bestehen darauf, dass ihnen ihr jeweiliges Gegenüber ihr Gesicht zeigt. Dies gilt auch für Musliminnen mit Gesichtsschleier. Foto: dpa

Von Philipp Weber

Weinheim. Erst wollte sie einen Reisepass beantragen, dann am Empfang für Neubürger teilnehmen. Doch daraus wurde nichts: Mitarbeiter der Stadt Weinheim haben eine Muslimin, die in der Öffentlichkeit eine Vollverschleierung trägt, zweimal abgewiesen. "Ich bin der Meinung, dass der Islam zu Deutschland gehört", sagt Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) - auch um Applaus von der falschen Seite vorzubeugen: "Eine Vollverschleierung aber nicht."

Nach Verwaltungsangaben handelt es sich bei der Frau um eine deutsche Staatsbürgerin. Sie, ihr ausländischer Ehemann und die Kinder hatten bis Herbst 2017 in einem arabischen Land gelebt. Nach ihrer Einreise kam die sechsköpfige Familie nach Weinheim, wo sie in einem Notquartier unterkam. Nach Diskussionen um einen massiven Schimmelbefall in den Wohn- und Schlafräumen der Familie kam diese in ein anderes Quartier.

Der Streit um die Vollverschleierung hatte Mitte vergangener Woche seinen Anfang genommen. Die Frau hatte im Bürgeramt einen Reisepass für eines ihrer Kinder beantragt. Dazu sollte sie sich identifizieren und ihr Gesicht zeigen, was sie verweigerte. Die zuständige Mitarbeiterin wies die Frau daraufhin ab: Laut Gesetz sei ein Lichtbildabgleich nötig, begründete sie. Dieser sei mit Vollverschleierung jedoch nicht zu bewerkstelligen.

Weinheims Oberbürgermeister Heiner Bernhard. Foto: Kreutzer

Der Ehemann beschwerte sich daraufhin bei Verwaltungschef Bernhard. Der stellte sich vor seine Mitarbeiterin. Mehr noch: Er ließ allen Mitarbeitern mitteilen, dass Menschen mit Vollverschleierung in öffentlichen Dienststellen der Stadt abgewiesen werden können. "Der Vorfall zeigt, dass behördliche Vorgänge durch eine Vollverschleierung, die einer Identifizierungsverweigerung gleichkommt, nicht ordnungsgemäß umgesetzt werden können", so der OB. Eine Vollverschleierung widerspreche "unseren Grundregeln im persönlichen Umgang".

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Diesem Grundsatz blieb er auch am Samstag treu, als die Familie erneut vor "seiner" Tür stand. Dieses Mal, um an einem der vier Mal im Jahr stattfindenden Empfänge für Neubürger im Rathaus teilzunehmen. "Eingeladen sind meist um die 100 Neu-Zugezogene, unabhängig von Nationalität, Religion oder Aufenthaltsstatus", so Stadtsprecher Roland Kern. Es kämen aber meist nur um die 30 bis 50.

Wieder weigerte sich die Frau, ihr Gesicht zu zeigen, wieder wurde sie abgewiesen. "Bei Empfängen, zu denen ich einlade, möchte ich den Menschen ins Gesicht schauen ", sagte der OB. "Wenn ich offen auf Menschen zugehe, erwarte ich das als Einladender auch von meinem Gegenüber. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses Schleier, Motorradhelm oder Sturmhaube trägt." Weite Teile des politischen Spektrums in Weinheim stellten sich hinter Bernhard, dessen zweite und letzte Amtszeit Mitte August endet.

"Auch wir werben dafür, im wahrsten Sinne des Wortes Gesicht zu zeigen", sagte der Landtagsabgeordnete und Stadtrat Uli Sckerl (GAL) im Namen des überparteilichen Bündnisses "Weinheim bleibt bunt". Dessen Sprecherkreis gehören auch Vertreter von CDU, SPD und Freien Wählern an. Gesicht zu zeigen, gehöre zu den Grundregeln eines demokratischen Staats.

Der grundsätzliche Ton ist kein Zufall: Der Streit schlägt hohe Wellen. Allein OB Bernhard hat am Montag Anrufe von mehreren überregionalen Tageszeitungen und Rundfunksendern bekommen. "Dabei war es nie meine Absicht, ein Exempel zu statuieren. Aber was ich gesagt habe, entspricht meiner inneren Überzeugung." Er ist sich indessen sicher, dass der Weinheimer Fall nicht der erste dieser Art war. "Ich habe von einem früheren Amtskollegen erfahren, dass es bei ihm 2014 ein ähnliches Problem gab."

Ein Sprecher der nahegelegenen Großstadt Mannheim nennt keine konkreten Fälle. Er stellt aber klar: "Bei Verwaltungsvorgängen, in deren Rahmen die Notwendigkeit einer Identifizierung des jeweiligen Gegenübers besteht, muss dessen Gesicht erkennbar sein." Bei Bürger-Empfängen der Stadt Mannheim - die zum Teil in einem sehr großen Rahmen stattfinden - sei das Thema bislang nicht aufgekommen.

Auch in Heidelberg hat man bislang keinen derartigen Konflikt ausstehen müssen: "Wir hatten bisher keine Probleme mit vollverschleierten Personen. Deshalb sehen wir derzeit keine Notwendigkeit zum Handeln", so ein Sprecher.

In Weinheim hat sich der Ehemann der betroffenen Frau auch am Samstag beschwert - angeblich sehr energisch. So soll er ein persönliches Gespräch mit OB Bernhard verlangt haben. "Ich bin bereit, einen Termin mit ihm zu vereinbaren", so Bernhard, ebenso mit der Frau selbst: "Aber wenn sie kommt, muss sie ihr Gesicht zeigen", sagt er.

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