Rhein-Neckar

"Zivile Helden" sollen ins Netz gehen

Projekt untersucht, ob sich junge Menschen digital leichter für Bürgermut begeistern lassen - Gespräch mit Günther Bubenitschek

25.02.2019 UPDATE: 26.02.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden

Brenzlige Situation: In einem Video auf der Homepage des Projekts kommt es zu einem Gerangel zwischen jungen Leuten. Der Beobachter wird zum Handeln aufgefordert und kann so den weiteren Verlauf des Clips beeinflussen. Screenshot: Zivile Helden/RNZ-Repro

Von Alexander Albrecht

Rhein-Neckar. Eine dunkle Tiefgarage irgendwo in Deutschland. Zwei zwielichtige Typen machen sich über einen jungen Mann lustig, der seinen Mercedes nur mit Schwierigkeiten einparken kann. Als der Fahrer aussteigt und mit seiner Freundin an dem Duo vorbeigeht, kommt es zum Wortgefecht und zu Provokationen. Die Frau zeigt den beiden den Mittelfinger. Die Stimmung schaukelt sich auf, die vier liefern sich einen markigen "Battle-Rap" und beschimpfen sich gegenseitig. Der Fahrer wird schließlich zusammengeschlagen.

Die Szenen spielen sich in einem professionell gemachten Videoclip ab, zeichnen aber auf sehr anschauliche Weise die traurige Realität nach. Jeder junge Mensch kann in diese Situation kommen, sei es als Opfer oder als Zuschauer. In der Beobachterrolle drängt sich eine Frage geradezu auf: Wie hätte ich mich verhalten? Zuschauen? Weglaufen? Die Polizei rufen? Dazwischen gehen?

Ortswechsel: ein "echtes" Café in Heidelberg. Günther Bubenitschek nippt an einer Tasse Cappuccino und schaut sich um. Sieht, wie junge Besucher tief in ihren Smartphones, Laptops und Tablets versunken sind. "Denen brauchen wir mit Broschüren nicht kommen", sagt er und lacht. Und doch hofft der Polizist, dass die Besucher im entscheidenden Moment, in Situationen wie der in der Tiefgarage, Zivilcourage an den Tag legen. Die helfen statt wegsehen.

Das ist die Mission von Bubenitschek, der Ende vergangenen Jahres für sein Engagement als langjähriger ehrenamtlicher Geschäftsführer des Vereins Kommunalprävention Rhein-Neckar und Mitbegründer der Aktion "Beistehen statt Rumstehen" mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden ist. Die Berufung ist auch Beruf. Bubenitschek spielt eine wichtige Rolle im bundesweiten Projekt "Zivile Helden", das Zivilcourage gegen Gewalt im öffentlichen Raum, gegen Hass im Netz und gegen Radikalisierung voranbringen soll. Digital statt analog. Mit einer Homepage, auf Facebook, Twitter, Instagram, Youtube sowie über die in Stuttgart und Berlin angesagte Social-Media-App "Jodel".

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"Erfunden" hat das vom Bundesbildungsministerium mit 1,8 Millionen Euro geförderte Projekt der Forschungsverbund "Prädisiko" (Präventive Digitale Sicherheitskommunikation), an dem sich neben polizeilichen Institutionen auch die Hochschule der Medien Stuttgart, die Universität Hannover und eine Marketingagentur beteiligen. Die Geschäftsstelle ist in Stuttgart, wo sich Bubenitschek mit der Social-Media-Redakteurin Sophie von Bissingen ein Büro teilt.

Von Kommunikationswissenschaftlern, Juristen sowie Kriminologen begleitet und über das Internet im Dialog mit der Zielgruppe - junge Menschen ab 15 Jahren - soll das noch bis Ende Oktober laufende Projekt untersuchen, ob die Polizei via Facebook und Co. mehr "Zivile Helden" erreicht als auf bisherige Weise. Und, das ist das Besondere, ob sich der digitale Einsatz im Vergleich zur klassischen Prävention auch wirtschaftlich lohnt. Die Inhalte sind nicht neu. Die Polizei baut auf den sechs Regeln der Aktion "Tu was" auf:

> 1. Hilf, aber bring Dich nicht in Gefahr.

> 2. Ruf die Polizei.

> 3. Bitte andere um Mithilfe.

> 4. Präg Dir Tätermerkmale ein.

> 5. Kümmer Dich um Opfer.

> 6. Sag als Zeuge aus.

"Über Flyer, Aufkleber oder Infoveranstaltungen lassen sich gerade Jugendliche heute nur schwer erreichen", weiß Bubenitschek, der mit seiner Kollegin Sophie von Bissingen auf sämtlichen digitalen Kanälen funkt und sich mit der Zielgruppe austauscht. "Ohne Hemmschwellen und auf Augenhöhe", weiß der Erste Kriminalhauptkommissar und Präventionsexperte.

Täglich beantwortet das Team die Fragen der User und gibt konkrete Hilfestellung. Die Beamten stellen sich aber auch kritischen Fragen - kontroverse Diskussionen zwischen ihnen und der Bevölkerung sind ausdrücklich erwünscht. Durch den unterhaltsamen Einstieg mit den Videos steigt die Chance, dass die jungen Nutzer sich intensiver mit den Tipps der Polizei zur Zivilcourage beschäftigen.

"Unserer Erfahrung nach möchten die meisten Menschen anderen in ernsten Situationen helfen. Und wir zeigen, wie das geht, ohne den Helden zu spielen", sagt Kriminaloberrat Harald Schmidt, Leiter der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes. Der "Tiefgaragen-Film" auf der Homepage www.zivile-helden.de stellt den Usern zwischendurch immer wieder die Frage, wie sie sich verhalten würden. Die Antwort muss binnen fünf Sekunden erfolgen, mehr Zeit ist auch in der Realität nicht.

Die interaktiven Elemente forderten die Nutzer zu Handlungen auf, die den Verlauf der Videos lenken, oder ließen sie andere Perspektiven einer Situation einnehmen, sagt die Professorin Gabriele Kille von der Hochschule der Medien in Stuttgart. Dadurch werde Nutzern die Folge ihrer Handlungen vor Augen geführt. "Entscheidend ist, dass Video und Musik als Einstieg in eine Auseinandersetzung mit dem persönlichen Verhalten im Ernstfall gesehen werden", so Kille.

Anschließend gibt das Programm eine Einschätzung, wie niedrig oder hoch die Zivilcourage ausgeprägt ist, dazu noch ein Quiz, Tipps und Beiträge aus den Sozialen Medien. Einen interaktiven Clip gibt es auch zum Thema "Hass im Netz", ein weiterer zu Radikalisierung geht am 13. März an den Start.

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