Tierische Einwanderer sind ein Zeichen des Klimawandels
Halsbandsittiche, Rotwangenschildkröten, Wollhandkrabben: Viele Arten aus aller Herren Länder sind in der Region heimisch geworden und überleben die milden Winter

Von Harald Berlinghof
Rhein-Neckar. In Heidelberg - und nicht nur dort auf der Neckarwiese - machen sich Nilgänse breit. Ursprungsland: Ägypten. In der gesamten Rhein-Neckar-Region leben Kolonien der grünen Halsbandsittiche. Herkunft: Südostasien. Entlang des Neckars breitet sich der Japanische Knöterich aus. In Bächen der Region schwimmen nordamerikanische Bachforellen, und in der Elsenz findet sich der nordamerikanische Signalkrebs. Natur ist stets ein dynamischer Prozess und sucht sich die geeignetsten Bedingungen. Ohne Rücksicht auf bereits besetzte Lebensräume und deren ursprüngliche Bewohner. Nichts bleibt in der Natur deshalb, wie es ist. Und doch hat der Mensch mit seinem Verhalten einen entscheidenden Einfluss auf die Zusammensetzung von Flora und Fauna seiner Umwelt.
Auch Pflanzen eingeschleppt
Mit seinem globalen Mobilitätsverhalten verschleppt der Mensch Tierarten, vor allem Insekten, die unbemerkt in Flugzeugkabinen mitreisen oder in wassergefüllten Altreifen als zappelnde Larven die Ozeane überqueren. Letzteren Schleichweg benutzte auch der Tigermoskito als Larve und kam so bis Italien. Doch ohne den Menschen würde das Alpenmassiv in Richtung Deutschland eine Klimabarriere für Insekten bedeuten.
Deshalb schaffte es die Rosskastanien-Miniermotte auch nicht zu uns ohne Hilfe des Menschen. In Autos und Wohnmobilen von Mittelmeerurlauben reist es sich nämlich auch für Insekten ganz bequem. Und einmal in Deutschland angekommen, spielt den wärmeliebenden Sechsbeinern der menschengemachte Klimawandel auch bei uns in der Region in die Karten.
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Trockene und heiße Sommer begünstigen ihre Ansiedlung und Etablierung. Der Tigermoskito muss deshalb bei Freiburg, in Heidelberg oder auch Weinheim sowie dem weiteren Rhein-Neckar-Raum von der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (Kabs) bekämpft werden. Schließlich kann er gefährliche Krankheiten übertragen.
Einst gab es in der Rheinebene bekanntlich sogar die Malaria und deren Überträger. Friedrich Schiller erkrankte daran. Ambrosia aus Nordamerika löst Allergien aus, der Riesen-Bärenklau ruft Verbrennungen auf der Haut hervor, die Mehlmotte verdirbt Vorräte, der Kartoffelkäfer vernichtet Ernten, und die Varroa-Milbe tötet Bienenstöcke.
Auch Krankheiten in Form von Bakterien, Protozoen und Viren werden vom Menschen verschleppt. Pest, Pocken, Aids und auch Corona benutzen den Menschen als Transportmittel. Allerdings wählt für Corona niemand den Begriff des tierischen Einwanderers, wird einem Virus doch von vielen Wissenschaftlern der Status des "Lebens" abgesprochen.
Die Hausmaus wurde bereits vor 9000 Jahren durch menschliche Wanderungen in unsere Heimat verschleppt. Kein Mensch würde sie heute noch als invasiven Eindringling bezeichnen. Die Wissenschaft hat für solche historischen Arten den Begriff Archäozoe reserviert. Besonders häufig sind tierische (Neozoen) und pflanzliche (Neophyten) Einwanderer aus Regionen, deren Klimabedingungen den mitteleuropäischen inzwischen ähneln. Vor allem Nordamerika ist hier zu nennen, aber auch weite Teile von China und Japan.
Seit jedoch die Winter in unserer Region immer milder werden, können sich bei uns auch Tierarten behaupten und teilweise mit eigenen Populationen etablieren, die früher die strengen Winter nicht überlebt hätten. Dazu gehören Wasserschildkröten, die bis vor ein paar Jahren noch in vielen Aquariengeschäften als putzige, fünf Zentimeter große Jungtiere in Verkaufsbecken paddelten. Günstig von professionellen Züchtereien auf den Markt geworfen, landeten sie zu Weihnachten oder Geburtstag schnell in kleinen Zimmeraquarien. Dass die Rotwangenschildkröten, die aus dem Süden der USA stammen, aber schnell 30 Zentimeter groß werden, sagte den Käufern kaum jemand. Und so landeten die Schildkröten irgendwann im Baggersee oder Altrheinarm, wo sie sich pudelwohl fühlen und teilweise sogar die Winter überleben. Weil sie viel aggressiver sind als die seltene, vom Aussterben bedrohte Europäische Sumpfschildkröte und außerdem ein Konkurrent um die Nahrungsgrundlage der heimischen Art darstellen, gerät die heimische Sumpfschildkröte immer stärker unter Druck.
"Ich habe vor 40 Jahren bei Philippsburg-Reinsheim eine Wollhandkrabbe aus dem Rhein gezogen, die ursprünglich aus China stammt", kann Schnaken-Experte Norbert Becker eigene Erfahrungen zum Thema beisteuern. "Seit es den Rhein-Main-Donau-Kanal gibt, findet man auch viele Organismen aus dem Schwarzen Meer in der Donau", sagt er. Auch menschliche Veränderungen der Landschaft können so zu Wanderungen von Arten beitragen.
Heimische Arten in Gefahr
Insgesamt betrachtet, verändert der Mensch seine Umwelt durch Mobilität, Landschaftsgestaltung und Klimaveränderung. Gegenwärtig ist die Verschleppung von Arten durch sein Mobilitätsverhalten das offensichtlichste. Auf lange Sicht könnte aber die Klimaveränderung zu viel weitreichenderen Veränderungen des Ökosystems führen.
Der Autor dieses Berichts hat mit Freunden vor Jahrzehnten 3000 Jungbäume, primär Eichen, auf einem Wiesengrundstück gepflanzt. Die Ausfallrate ist riesig bis total. "Vielleicht hätten wir lieber Olivenbäume pflanzen sollen", so die sarkastische Einschätzung des Initiators und Grundbesitzers. Auch die Forstämter in unserer Region passen inzwischen ihre Neupflanzungen an trockene Sommer an. Allerdings pflanzen sie keine Olivenbäume, sondern Hainbuchen, den Feldahorn, aber auch Roteichen, die Baumhasel und Zedern.