Rhein-Neckar-Kreis

Deutschland ist "Entwicklungsland" in Sachen Inklusion

Es gibt einen Aktionstag anlässlich des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.

10.05.2022 UPDATE: 11.05.2022 06:00 Uhr 1 Minute, 57 Sekunden
An verschiedenen Ständen gab es im Rahmen des Aktionstags Infomaterial für die Besucher.  Fotos: lra/heb

Von Sabine Hebbelmann

Heidelberg/Rhein-Neckar. "Es gibt unglaublich viele Hürden, die wir oft gar nicht wahrnehmen", bemerkt Silke Ssymank. Seit sie Kommunale Behindertenbeauftragte des Rhein-Neckar-Kreises ist, geht sie mit anderen Augen durch die Welt. "Ich staune immer wieder, wie viel nicht barrierefrei ist."

Unter dem Motto "Barrierefrei durchstarten – gemeinsam Teilhabe-Barrieren abbauen" hatte sie zusammen mit Mitgliedern des Inklusionsbeirats, dem Verein BiBeZ sowie der Rheuma-Liga Baden-Württemberg zu einem Aktionstag nach Heidelberg eingeladen. Am Infostand vor dem Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis konnten sich Interessierte über verschiedenartige Barrieren informieren, diskutieren und gemeinsam Ideen entwickeln.

Silke Ssymank, Kommunale Behindertenbeauftragte des Rhein-Neckar-Kreises, war vor Ort. Fotos: lra/heb

Rollstuhl und Langstock stehen für die Besucher im Foyer bereit. In ihren Gebrauch führen Esma Köse und Nicoletta Rapetti vom Verein "BiBeZ – Ganzheitliches Bildungs- und Beratungszentrum zur Förderung und Integration behinderter/chronisch erkrankter Frauen und Mädchen" ein. Auch einen Rheumahandschuh, der die Handbewegungen stark einschränkt, kann man anziehen oder Brillen testen, die ein Sehvermögen von zehn oder fünf Prozent simulieren. Ziel ist, durch Information und selbst erlebte Erfahrung von Einschränkungen, Verständnis und Unterstützungsbereitschaft für Menschen mit Behinderungen zu entwickeln.

Behinderte Menschen unterliegen einem deutlich höheren Risiko, zu verarmen und isoliert zu leben, weiß Ssymank und macht deutlich, dass es nicht um eine kleine Zielgruppe geht. In Deutschland lebten im Jahr 2019 über 9,6 Millionen behinderte Menschen, darunter 7,9 Millionen Schwerbehinderte. Nur drei Prozent der Behinderungen sind angeboren, ein Prozent unfallbedingt, der Rest ist erworben, vor allem durch Krankheit. "Das heißt: Die Wahrscheinlichkeit, dass es auch mich trifft, ist hoch", betont Ssymank.

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Brühl und Schriesheim seien die einzigen Gemeinden im Rhein-Neckar-Kreis, die Behindertenbeauftragte haben, berichtet sie. Einer von ihnen ist Rudi Bamberger. Der Behindertenbeauftragte der Gemeinde Brühl ist Rollstuhlfahrer und bringt jungen Leuten den Umgang mit behinderten Menschen nahe. Wie spreche ich jemand an? Wann sollte ich helfen? Für ihn ist wichtig, dass die Barrieren in den Köpfen verschwinden.

"Beim Thema Inklusion ist Deutschland immer noch Entwicklungsland", bemerkt er. Noch immer gebe es viele öffentliche Gebäude ohne barrierefreien Zugang und Bushaltestellen, die nicht barrierefrei sind. Und in Schwimmbädern fehle ein Lift, um ins Wasser zu gelangen. Er mache viel Öffentlichkeitsarbeit und arbeite eng mit der Landesbehindertenbeauftragten Simone Fischer zusammen. Im Inklusionsbeirat engagiert er sich in der Arbeitsgemeinschaft Mobilität.

Laut Ssymank ist es landesweit einmalig, dass der Inklusionsbeirat des Rhein-Neckar-Kreises nur aus behinderten Menschen und engen Angehörigen besteht. Rund 20 Mitglieder arbeiten aktiv in Arbeitsgruppen zu Themenbereichen wie Mobilität, Freizeitgestaltung, Nahverkehr, Schule/Bildung oder Arbeit und tauschen sich untereinander aus. Auch zwei Gehörlose sind mit Dolmetschern vertreten. "So ist gewährleistet, dass jede Perspektive berücksichtigt wird", sagt die Behindertenbeauftragte.

Anders als der Beirat von Menschen mit Behinderungen in Heidelberg, sei der Inklusionsbeirat des Rhein-Neckar-Kreises unselbstständig und berate die Kommunale Behindertenbeauftragte, welche die Belange der Mitglieder in die politischen Gremien und Ausschüsse trägt.

Bei jeder Stellungnahme binde sie außerdem Betroffenenverbände wie den Badischen Blinden- und Sehbehindertenverein ein. Oft sei es eine Herausforderung, gemeinsame Lösungen zu finden, die für alle passen. Wichtig ist es ihr, das Interesse in der Bevölkerung für die Belange der behinderten Menschen zu wecken und dem Einzelnen bewusst zu machen: "Das kann mich auch jederzeit treffen."

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