Rhein-Neckar

Geflüchtete in Sporthallen wäre "fatal"

Bei der Frage, bald wieder Unterkünfte im Rhein-Neckar-Kreis einzurichten, nimmt die Schärfe der Diskussion zu.

11.10.2022 UPDATE: 11.10.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 24 Sekunden
Im März wurden die ersten Geflüchteten aus der Ukraine in der Kreissporthalle Weinheim, in der mittlerweile wieder Sport getrieben wird, untergebracht. Foto: Landratsamt

Von Stefan Hagen

Rhein-Neckar. Werden angesichts stark steigender Zahlen von Geflüchteten im Rhein-Neckar-Kreis schon bald wieder Unterkünfte benötigt, in denen man schnell viele Menschen unterbringen kann? "Es könnte wieder in Richtung Sporthallen gehen", befürchtet Frank Werner, Bürgermeister von Angelbachtal und Vorsitzender der CDU-Fraktion im Kreistag. "Und das wäre fatal." Denn das würde einer ohnehin schon durch Corona geschädigten Vereins- beziehungsweise Ehrenamtslandschaft in der örtlichen Gemeinschaft weitere Schäden mit entsprechenden Folgen zufügen.

Blick auf einige Container der geplanten Gemeinschaftsunterkunft in Reilingen. Foto: Lenhardt

> Werden bald wieder Sporthallen belegt? Derzeit sei dies nicht konkret geplant, sagt Kreissprecherin Silke Hartmann dazu auf RNZ-Anfrage. "Indes kann mit Blick auf die sehr dynamische Entwicklung der Zugangszahlen die Belegung einer Halle nicht ausgeschlossen werden", hält sie diese Option offen. Fest steht: Dass der Kreis fast schon verzweifelt nach Unterkünften für geflüchtete Menschen sucht, ist ein klares Indiz dafür, dass sich die derzeitige Situation wohl noch dramatisch zuspitzen könnte.

> Das Beispiel Reilingen: Einen Vorgeschmack darauf lieferte bereits die Diskussion um eine geplante Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Reilingen, die der Rhein-Neckar-Kreis ab 1. November von einem privaten Investor anmieten möchte. Bürgermeister Stefan Weisbrod hatte sich mit einer kleinen Delegation mit Stop-Schildern vor die bereits angelieferten Container gestellt, um so auf die seiner Meinung nach fehlende Baufreigabe hinzuweisen. Seither wird Reilingen im Internet massiv als "fremdenfeindlich" kritisiert. Weisbrod hatte auch betont, dass das Verhältnis von 350 Geflüchteten auf knapp 6700 Einwohner "einfach nicht passt". Die Folgen einer derartigen Konzentration von Geflüchteten auf die örtlichen Schulen und Kindergärten seien für die Gemeinde nicht zu stemmen.

> Das sagt der Rhein-Neckar-Kreis zu Reilingen: "Natürlich kann der Rhein-Neckar-Kreis die von Herrn Bürgermeister Weisbrod geäußerten Bedenken grundsätzlich nachvollziehen", sagt die im Landratsamt für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständige Dezernentin, Doreen Kuss. Aktuell sehe man sich mit einem deutlich erhöhten Zustrom Geflüchteter konfrontiert, weshalb die Schaffung von Plätzen in der vorläufigen Unterbringung auch in entsprechender Größe unumgänglich sei. "Selbstverständlich wird der Kreis zunächst alle zur Verfügung stehenden Reserven belegen", versichert Kuss. "Jedoch können wir davon ausgehen, dass weder zur Unterbringung der Menschen aus der Ukraine noch zur Unterbringung der Geflüchteten aus weiteren Ländern die vorhandenen Kapazitäten ausreichen. Wir sind daher gezwungen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die rechtlich machbar sind, um weitere Unterkünfte zu generieren. Ansonsten müssten alternativ wieder Sporthallen belegt werden." Was die Auswirkungen auf Kindergärten und Schulen in Reilingen betrifft, sei zu bedenken, dass es sich lediglich um eine Unterkunft im Rahmen der vorläufigen Unterbringung handele; im Moment sei zudem noch nicht absehbar, welche Geflüchteten in der Unterkunft vorläufig untergebracht werden.

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> Das sagen Kreispolitiker zur derzeitigen Lage: "Niemand wünscht sich überfüllte Sporthallen – schon gar nicht wünschen wir das denjenigen, die darin leben müssten", betont Ralf Frühwirt, Fraktionschef der Grünen im Kreistag. "Aber die Menschen, die zu uns kommen, sind die Opfer, und sie brauchen Hilfe", sagt der Grüne. "Egal ob es ukrainische Familien sind, die vor Raketen auf ihre Wohnungen fliehen, oder junge Männer aus Russland, die sich weigern, in Putins verbrecherischem Krieg mitzumachen. Aus diesem Grund sind Aktionen wie in Reilingen, sich mit Stop-Schildern vor eine Unterkunft im Bau zu stellen, völlig fehl am Platz. Den Applaus von ganz Rechts und die vergiftete Stimmung hat man sich selbst zuzuschreiben", wird Frühwirt deutlich.

"Im Moment wird die Belastbarkeit der Kommunen auf eine harte Probe gestellt", sagt Ralf Göck, Bürgermeister von Brühl und Fraktionschef der SPD-Kreistagsfraktion. Reilingen gelte als durchaus flüchtlingsfreundlich, habe man doch neben den allgemeinen Geflüchteten seit Jahresbeginn auch über 100 ukrainische Flüchtlinge und fast 80 afghanische Ortskräfte zusätzlich aufgenommen. Ein Containerdorf mit weiteren 200 Geflüchteten für die vorläufige Unterbringung des Kreises werde dort kritisch gesehen. Umgekehrt sei die Kreisverwaltung auf jede Unterkunft angewiesen, die ihr angeboten werde, "wenn sie die aus der Erstaufnahme des Landes zugewiesenen Menschen unterbringen will, ohne allzu viele Sporthallen dauerhaft belegen zu müssen", ergänzt der Sozialdemokrat. Die SPD-Kreistagsfraktion habe Verständnis für beide Sichtweisen.

"Die Kommunen haben bei der Flüchtlingsunterbringung enorm viel geleistet", lobt Christdemokrat Werner. Nahezu überall gebe es vorbildliches bürgerschaftliches Engagement. "Unter den schrecklichen Eindrücken des Krieges in der Ukraine haben überdies viele Bürgerinnen und Bürger ihren Gemeinden Wohnraum für die Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung gestellt, die Kommunen haben Häuser gekauft und Wohnungen angemietet", zählt Werner auf. Klar sei aber auch, dass in Zeiten großer Wohnungsknappheit weiterer Wohnraum nicht quasi automatisch aus einer unerschöpflichen Quelle geschöpft werden könnte. "Irgendwann sind die Kapazitäten für Wohnraum in den Gemeinden erschöpft."

Hans Zellner, früherer Bürgermeister von Wilhelmsfeld und Fraktionschef der Freien Wähler im Kreistag, befürchtet Konkurrenzsituationen in Bezug auf den Wohnungsmarkt. "Da mache ich mir wirklich Sorgen", sagt Zellner. "Wir brauchen mehr Flächen für Wohnraum", appelliert er an Land und Bund.

Kreisrat Dietrich Herold (FDP), stellvertretender Bürgermeister von Edingen-Neckarhausen, weist zudem noch darauf hin, dass die Kommunen auch noch Wohnraum für obdachlose Menschen bereithalten müssten. Die Wohnraumsituation werde sich verschärfen, da mache er sich keine Illusionen. Er sehe "von oben" kein Verständnis für die Basis.

"Da müssen wir ohne Wenn und Aber durch. Wer nicht alles unternimmt, um diese vor dem Krieg fliehenden Menschen zu unterstützen, macht sich schuldig", merkt Edgar Wunder, Fraktionschef der Linken im Kreistag, kurz und bündig an.

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