Kulturschaffende gingen in Mannheim auf die Straße
Club-Betreiber, DJs, Stammgäste, Musiker, Konzertveranstalter: Rund 800 Teilnehmer schließen sich der friedlichen Parade durch die City an

Von Marco Partner
Mannheim. Bunt, laut, kreativ: Mit einem schillernden und unüberhörbaren Demo-Umzug macht Mannheims Kulturszene am Samstag auf sich aufmerksam. Club-Betreiber, DJs, Stammgäste, Musiker, Konzertveranstalter: rund 800 Teilnehmer schließen sich der friedlichen Parade durch die City an. "Kulturelle (Frei-)Räume erhalten – Auf die Straße für Kultur!", lautet das Motto. Es ist ein Feier- statt ein Trauermarsch. Für einen kurzen Augenblick wird die ganze Lebenslust und schöpferische Kraft einer Branche sichtbar, die sich in ihrer Existenz immer mehr bedroht fühlt.
Die Cafés und Geschäfte sind am Samstagnachmittag so voll wie in alten Zeiten. Nur im Kulturbetrieb stehen die Uhren seit dem Lockdown im März immer noch still. Für gewöhnlich machen sie die Nacht zum Tag, jetzt weisen Club-Besitzer bei Sonnenschein auf ihre Notlage hin: "Ohne uns wird’s still", "Die Insolvenzwelle rollt", "Live-Events kennen kein Home-Office" oder "Please don’t stop the music" ist auf den Bannern und Transparenten am Hauptbahnhof zu lesen. Angeführt von einer jungen Frau mit Totenkopf-Maske, kommt der Zug um kurz nach 16 Uhr ins Rollen. "Disco is dead. We killed it", hält sie passend ein Schild nach oben.
Techno-Klänge dröhnen aus den Boxen des Wagens der "Disco Zwei", einem der Nachtclubs, die seit vier Monaten geschlossen sind. Ohne Perspektive, wie und ob es weitergeht. Ähnlich sieht es bei den Veranstaltern vom "Stoffwechsel Kollektiv" aus. Das Schlusslicht des Umzugs sticht mit seinen in orientalischen Gewändern gekleideten Teilnehmern besonders hervor. Erst auf der Straße wird sichtbar, was sich sonst so abseits der kommerziellen Kulturwiese an subkultureller Vielfalt in Mannheim abspielt. Wie ein fahrendes Zirkusvolk wirkt der Trupp. "Wir machen Schneckno, das ist Bummeltechno", sagt DJ Sebastian, und kriecht mit seiner Meute langsam hinterher.
Nicht nur Technojünger nehmen an der Aktion des aus der Corona-Not geborenen "Bündnisses Kulturschaffender Mannheims" teil. Auch Klaus Tschirner, der 2010 den Weltrekord im Dauermusizieren bei einem 33-Stunden-Konzert aufstellte, marschiert als One-Man-Band mit. "Ich bin ein Nischenprodukt, ein kleines Licht", erklärt er. Sein letztes Konzert gab er im Februar, als Rentner komme er gut über die Runden. "Aber ich kenne viele Profimusiker, die seit Monaten ohne Einkommen sind", betont er.
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Beats statt Parolen: Bei den DJs ist die Freude spürbar, endlich mal wieder vor echtem Publikum auflegen zu dürfen. Schnell überträgt sich dieses Gefühl auf die Teilnehmer – und spätestens beim Einbiegen in die Breite Straße auch auf das "normale Volk". Am Paradeplatz wippen Passanten mit ihren Einkaufstaschen, ein Eisverkäufer tanzt spontan mit. Die meisten zücken ihre Smartphones, halten den besonderen Moment fest. Im Jungbusch winken Omas aus dem Fenster, Kinder und Jugendliche klinken sich kurz ein. Egal in welche Straße der wummernde Korso einbiegt, zaubert er ein Lächeln ins Gesicht. Doch kommt die Botschaft auch an? Auf viele wirkt die Demonstration eher wie eine Party, nicht wie ein Protestmarsch. Worum es genau geht, verstehen nur wenige.
Erst bei der Kundgebung am Alten Messplatz wird die musikalische Lebensfreude in klare Forderungen umgewandelt. Deutschlandweit seien 385.000 Menschen in der Kulturbranche tätig – bei einer Wertschöpfung von 22 Milliarden Euro, zeigt Charlotte Christ, die Initiatorin vom Bündnis der Kulturschaffenden auf. Zum Vergleich: Bei der Luftfahrt seien es 300.000 Beschäftigte und 29 Milliarden Euro. "Was uns fehlt, ist die Lobby", sagt sie angesichts eines Neun-Milliarden-Pakets für die Luftfahrt, während der Kulturbetrieb mit einer Milliarde Euro "abgespeist" wird.
Meist landet das Geld in der oberen Kultur-Etage. "Aber in diesen Zeiten darf kein Unterschied zwischen Hoch-, Sub- und Popkultur gemacht werden", malt sie ein Bild von einem Mannheim ohne kulturelle Vielfalt. Gerade die kleinen Kinos, Clubs und Theater machten meist den identitätsstiftenden Charme einer Stadt aus. Carolin Ott, Inhaberin der "Disco Zwei", fordert Planungssicherheit und Überbrückungshilfen. Stand jetzt müsse sie den Club noch mindestens bis November geschlossen lassen.
Ihre Mini-Jobber musste sie schon längst vor die Tür setzen, Kurzarbeitergeld konnte sie nicht beantragen. Monat für Monat gehen die Rücklagen zuneige. "Ohne eigenes Verschulden werden wir zu Bittstellern degradiert", erklärt sie.
Auch Jens Wienand wundert sich über die "absurde" Ungleichbehandlung. 60 Besucher finden in seinem Improvisationstheater Platz. "Nach aktuellen Vorlagen wären es 12. Würde ich aber Pommes verkaufen, dürften schon 20 Personen rein. Würde ich die Location für eine Hochzeit vermieten, könnten ohne gesetzliche Bedenken 100 Menschen feiern. Aber ein Theater ist nicht unsicherer als eine Pommesbude oder der Bus" richtet er einen Appell an die Stadt, bei der Unterstützung nicht nur an "Leuchttürme" wie das Nationaltheater zu denken. "Es gibt viele kleine kulturelle Lagerfeuer, dort lässt man die Menschen erfrieren."
Beim Sit-in ist auch Klaus Tschirner nach dem knapp dreistündigen Marsch immer noch dabei. "Es ist nicht meine Musik, aber es ist wichtig, sich gemeinsam Gehör zu verschaffen", betont er. Glücklich wirkt er, und wie die anderen Betroffenen trotz der misslichen Lage endlich wieder euphorisiert. Somit erinnert die Demo ein bisschen an die Anfänge der Love Parade. "Friede, Freude, Eierkuchen" lautete 1989 das Motto. Diesmal ist die Lage ernster. Damals wurde einfach in einem der vielen Berliner Clubs weitergefeiert. Doch als in Mannheim am Samstag die Sonne untergeht ist klar, dass die Nächte noch auf lange Sicht in keiner Disco weitergehen.