Niedrige Wahlbeteiligung schockiert (plus Video)
Christian Specht klopft am Chefbüro an: Der Erste Bürgermeister schrammt knapp an absoluter Mehrheit vorbei. Die Neuwahl ist am 9. Juli.

Von Olivia Kaiser und Alexander Albrecht
Mannheim. Als Christian Specht am Sonntag kurz vor 19 Uhr den Ratssaal im Stadthaus N1 betritt, brandet Applaus auf – auch wenn noch nicht alle Stimmbezirke ausgezählt sind. Doch die Tendenz ist eindeutig. Mit komfortablen 15 Prozent Vorsprung vor seinem SPD-Herausforderer Thorsten Riehle hat Specht, der von einem Bündnis aus CDU, FDP und Mannheimer Liste unterstützt wird, gute Aussichten, Mannheims neuer Oberbürgermeister zu werden. Das bejubeln seine Anhänger ausgiebig. Da er jedoch nicht die absolute Mehrheit für sich verbuchen kann, findet am Sonntag, 9. Juli, die Neuwahl statt.
Die Überraschung im konservativen Lager ist spürbar. Natürlich hat man gehofft, doch dass der Unterschied so deutlich ausfällt, damit haben viele nicht gerechnet – auch nicht Christian Specht: "Das hatte ich nicht erwartet", sagt er freudestrahlend und bekennt, dass er eher mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen gerechnet habe. Die Allianz der konservativen Kräfte hat sich bezahlt gemacht, aber auch der Amtsbonus. "Die Bürgerinnen und Bürger kennen mich und meine Arbeit seit 16 Jahren", betont der amtierende Erste Bürgermeister. Die Anspannung der letzten Tage fällt sichtlich von ihm ab. Aber er weiß: Das ist nur ein Etappensieg.
"Hinter uns liegt ein spannender Wahlabend, aber ohne Abschluss. Die nächsten drei Wochen werden spannend", prophezeit denn auch Oberbürgermeister Peter Kurz bei der Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses. "Nicht erfreulich ist jedoch die niedrige Wahlbeteiligung", konstatiert er. Die liegt bei 32,2 Prozent – nur knapp über ein Drittel der Mannheimerinnen und Mannheimer sind demnach zur Wahl gegangen.
Christian Specht spricht derweil von den großen Herausforderungen, die vor Mannheim liegen und die ihm besonders wichtig sind: "Wir wollen in den kommenden Jahren klimaneutral werden, aber müssen dabei unsere Wirtschaft erhalten", erklärt der 56-Jährige. Dafür brauche es "überlegte Konzepte". Zudem gelte es, künftig einen soliden Haushalt aufzustellen und trotzdem zu investieren. Dabei müsse man aber Prioritäten setzen. Will heißen: Vielleicht wird auch so manches Vorhaben gestrichen.
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Händchenhaltend mit seinem Mann Markus kommt Thorsten Riehle einige Minuten später als Specht ins Stadthaus, rund 40 Genossinnen und Genossen stehen schon vor dem Sitzungssaal, jubeln und beklatschen den SPD-Gemeinderatsfraktionschef wie einen Sieger. Ein Mutmacher. Doch den braucht der erstaunlich entspannt wirkende Riehle gar nicht. "Ich bin zufrieden", sagt der Zweitplatzierte etwas überraschend. Und behauptet, mit dem Ergebnis intern gerechnet zu haben. Im ersten Wahlgang sei es ihm und den Genossen "nur" darum gegangen, Specht als künftigen Oberbürgermeister zu verhindern.
Für den zweiten Urnengang in drei Wochen strebt er genau das an, was er bislang vermeiden wollte: Lagerbildung. SPD, Grüne und Linke müssten nun – wie im Gemeinderat – als "fortschrittliche" Allianz marschieren. Das heißt mobilisieren, kämpfen, zuspitzen. Dass die Genossen eine gefühlte Ewigkeit den Oberbürgermeister stellen und die Bürgerinnen und Bürger eventuell einen Farbenwechsel wünschten, glaubt Riehle nicht. "Bei der OB-Wahl geht es um Personen und nicht ums Parteibuch."
Im Vergleich zu Riehle gibt Grünen-Bewerber Raymond Fojkar zu, sich mehr Stimmen erhofft zu haben, "so um die 20 Prozent". Immerhin ist die Fraktion des Kinder- und Jugendpsychiaters die stärkste im Gemeinderat. Fojkar spricht von einem festgelegten Prozess, auf den sich die Grünen vorher geeinigt hätten. Dem wolle er nicht vorgreifen. Ob er noch einmal antritt? "Das sehen wir dann." Möglicherweise habe auch die Bundespolitik eine Rolle gespielt, in der die Grünen derzeit keine gute Figur abgeben. "Rückenwind hat uns das jedenfalls nicht gegeben", sagt Fojkar nüchtern. Besser gelaunt ist da Isabell Belser, die für Die Linke angetreten ist. "Ich bin sehr zufrieden", betont sie und dankt ihren Unterstützern von der Klimaliste und der Tierschutzpartei. Es sei ihr nicht darum gegangen, zu gewinnen. "Ich wollte ein Zeichen setzen und anderen Frauen zeigen, dass es sich lohnt, für Visionen einzustehen und diese zu artikulieren." Das habe sie getan.
Ob sie ihre Kandidatur für den zweiten Wahlgang zurückzieht, hat sie noch nicht entschieden. "Jetzt möchte ich erst einmal zu meiner Wahlparty und mit meinen Unterstützern feiern."
Das vorläufige Endergebnis der OB-Wahl stand kurz nach 19.30 Uhr fest:
Christian Specht (CDU): 45,64 Prozent der abgegebenen Stimmen
Thorsten Riehle (SPD): 30,24 Prozent
Raymond Fojkar (Grüne): 13,80 Prozent
Isabell Belser (Die Linke): 4,98 Prozent
Die unabhängigen Kandidaten:
Thomas Bischoff: 1,81 Prozent
David Frey: 1,44 Prozent
Tanja Krone: 1,20 Prozent
Ugur Çakir: 0,85 Prozent
"Freie Zeile": 45 Wähler haben andere Namen auf ihre Stimmzettel geschrieben.
"Die Mehrheit will einen Wechsel"
Freude beim bürgerlichen Lager, SPD gibt sich kämpferisch
Vor allem die Stadträtinnen und Stadträte zieht es am Sonntagabend in den Ratssaal im Stadthaus N 1, wo sie die Veröffentlichung der Ergebnisse in den Wahlbezirken verfolgen. Die RNZ hat Vertreter der im Gemeinderat vertretenen Parteien gefragt, wie sie das Wahlergebnis und die Beteiligung kommentieren:
> Claudius Kranz (CDU) ist hoch erfreut über den Wahlausgang: "Das ist besser als erwartet. Ich hatte im Vorfeld gewettet, dass Christian Specht 43 bis 44 Prozent holt, dass es jetzt über 45 Prozent geworden sind, ist toll." Noch nie habe ein Kandidat der Mitte in Mannheim bei einer Oberbürgermeisterwahl in der ersten Runde so weit vorne gelegen. "Das haben wir auch unseren Partnern, der Mannheimer Liste und der FDP zu verdanken."
> Achim Weizel (Mannheimer Liste) sieht das genauso: "Dass sich die konservativen Kräfte zusammen getan haben, war völlig richtig. Das ist ein großer Erfolg." Nicht freuen kann sich Weizel allerdings über die niedrige Wahlbeteiligung von etwas mehr als 32 Prozent. "Das kann nicht nur am guten Wetter liegen", bedauert er, richtet aber auch den Blick nach vorne, zur Neuwahl am 9. Juli. Bis dahin müsse man noch einmal richtig Gas geben. Überrascht habe ihn, dass Specht "doch so deutlich in Führung liegt".
> Birgit Reinemund (FDP/MfM) dagegen sagt: "Ich habe gewusst, dass es so kommt. Mit diesem Abstand lässt sich arbeiten. Die Mehrheit der Mannheimerinnen und Mannheimer will den Wechsel." Sie ist allerdings schockiert über die niedrige Wahlbeteiligung: "Das hätte ich mir so nicht ausgemalt, das ist in der Tat dramatisch." Man könne nur spekulieren, dass viele Menschen eine OB-Wahl wohl nicht für so wichtig halten, was natürlich falsch sei.
> Stefan Fulst-Blei (SPD) ist nicht enttäuscht über das Abschneiden von Thorsten Riehle, der mehr als 15 Prozentpunkte hinter Christian Specht liegt. "Wenn Sie sich die Balken der einzelnen Kandidaten anschauen, dann sehen Sie, dass die Fortschrittsparteien im Gemeinderat eine Mehrheit haben", gibt er sich optimistisch. In den nächsten drei Wochen heiße es zu mobilisieren. "Wenn die Mannheimer SPD eines kann, dann kämpfen", so der Stadtrat und Landtagsabgeordnete. Acht Jahre Specht würden "acht Jahre Stillstand" bedeuten.
> Stefanie Heß (Grüne) nennt die Wahlbeteiligung "erschreckend" und rätselt, woran das gelegen haben mag. Bei den Veranstaltungen mit Kandidat Raymond Fojkar sei das Interesse regelmäßig hoch gewesen. Nun müssten sich die Grünen erst einmal sortieren. Für diesen Montagabend ist bei ihnen – und allen anderen Parteien – eine Sitzung zur Diskussion über den Wahlausgang angesetzt. Heß vermeidet ein Bekenntnis zu Riehle und gibt sich allgemein gesprächsbereit.
> Dennis Ulas (Li.Par.Tie) ist zufrieden: "Wir haben um die fünf Prozent angepeilt, und das haben wir geschafft. Wir haben gut mit unseren Partnern zusammengearbeitet." Leider sei die Zeit für eine Frau an der Spitze der Stadt noch nicht reif. "Aber vielleicht ja dann in acht Jahren", betont er. Sorgen macht aber auch ihm, dass nur so wenig Bürgerinnen und Bürger den Weg an die Wahlurne gefunden haben. "Da müssen wir uns alle fragen, wie wir die Menschen zur Wahl animieren können."











