"Kostenloser Nahverkehr ist kein Allheilmittel"
Rathauschef über sein neues Amt als Städtetagspräsident und Herausforderungen in der Stadt

Peter Kurz blickt trotz vieler Baustellen optimistisch in die Zukunft. Foto: Gerold
Von Alexander Albrecht und Olivia Kaiser
Mannheim. Flüchtlinge, Kinderbetreuung, schwierige Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat, kostenloser Nahverkehr oder das Uniklinikum: Peter Kurz (55; SPD) steht als Oberbürgermeister wie als Städtetagschef vor großen Aufgaben.
Herr Kurz, Sie sind vor einigen Wochen zum Präsidenten des baden-württembergischen Städtetags gewählt worden. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Das große Thema, das in der Öffentlichkeit immer wieder dominiert, ist der Streit ums Geld zwischen dem Land und den Kommunen. Wir müssen deshalb mehr verdeutlichen, dass es inhaltlich um die Sache geht. Wir sind keine Lobbygruppe, die zusammenkommt und ständig jammert.
Sondern?
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Die Kommunen sind bei allen großen Themen zentrale Akteure: Wie gelingt Integration? Was können Städte zum Zusammenhalt von Gesellschaft beitragen? Wie schaffen wir bei der Flüchtlings- und Migrationspolitik den Spagat zwischen Offenheit und dem Einhalten von Regeln? Klima, saubere Luft, Diesel-Skandal, neue Mobilitätsformen, demografsicher Wandel, Bildung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf - bis auf Verteidigungspolitik fällt mir nichts ein, wo Kommunen keine Rolle spielen.
Was wünschen Sie sich von der großen Politik?
Pauschal gesagt: dass sie mehr auf die Kommunen hört und wir unsere Erfahrung einbringen können.
Ein Beispiel, bitte.
Die Kommunen haben am weitesten Bürgerbeteiligungsprozesse eingeführt und Erfahrungen mit direkter Demokratie gesammelt. Darauf sollte das Land schauen, bevor hier weitere Gesetze auf den Weg gebracht werden. Nehmen Sie das Thema Bebauungspläne. Hier sind die Bürgerentscheidungsmöglichkeiten ausgeweitet worden, obwohl Kommunalverbände davor gewarnt haben. Jetzt zeigt sich in kleineren Kommunen, dass die Zahl der Betroffenen von einem Bebauungsplan die gesamte Gemeinde erfassen kann. In diesen Städten sind Bebauungspläne für mehr Wohnraum, oder um Flüchtlinge unterzubringen, am Bürgervotum gescheitert.

Sie haben die Aufnahme von Flüchtlingen angesprochen. Wo sehen Sie Probleme?
Aus kommunaler Sicht halte ich es für schwierig, dass wir keinen Statuswechsel zulassen bei Menschen, die zu uns kommen. Wer als Flüchtling oder Asylbewerber registriert ist, kann nicht in die Arbeitsmigration umsteigen. Das führt natürlich dazu, dass diejenigen, die besondere Integrationsleistungen erbringen, keine Aussicht auf eine Belohnung haben. Das Gegenargument ist: Wer solche Anreize schafft, muss damit rechnen, dass noch mehr Menschen aus diesem Grund nach Deutschland kommen. Hart gesprochen: Hier wird die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit von Ausreisepflicht auf dem Rücken der Kommunen ausgetragen. Getreu dem Motto: Diejenigen, bei denen wir die Ausreise nicht durchsetzen können, dürft ihr aber auch nicht integrieren. Das ist keine sinnvolle Konzeption. Da sind wir ganz schnell bei der Frage, wie wir unser Ausländerrecht organisieren, und es ist es wert, die kommunalen Erfahrungen hier mit einfließen zu lassen.
Viele Diskussionen landen dann doch irgendwann beim lieben Geld. Kinderbetreuung zum Beispiel …
Ich sage ja nicht, dass wir nicht mehr Geld brauchen. Das wäre mal eine Schlagzeile … (lacht). Aktuell haben wir darüber mit dem Land eine Vereinbarung getroffen. Wir brauchten hier dringend eine Lösung, weil der Landeszuschuss nicht dynamisiert war und die Bedarfe qualitativ und quantitativ enorm gewachsen waren. Das hätte die Leistungsfähigkeit der Städte an anderer Stelle eingeschränkt und zur Verlangsamung wichtiger kommunaler Projekte geführt.
Wechseln wir vom Städtetagspräsidenten zum Oberbürgermeister. Das Land will das zentrale Registrierungszentrum für Flüchtlinge vom Heidelberger Patrick Henry Village auf das Coleman-Gelände nach Sandhofen verlegen. Dazwischen funkt aber der Bund, der Ankerzentren errichten will, vielleicht ja auch in Mannheim. Wie ist der aktuelle Stand?
Das Land und wir haben große Zweifel an der Anker-Konzeption. Zentren, in denen sich viele Menschen sammeln, die vor der Abschiebung stehen, bergen ein hohes Risiko. Perspektivlosigkeit ist ein Nährboden für Auseinandersetzungen. Auch für die neu Ankommenden mit Bleibeperspektive halte ich das für keine gute Situation. Bei allem Verständnis dafür, dass man die Effizienz erhöhen will: Für Mannheim ist dieses Modell schlicht nicht vorstellbar. Aber noch wissen wir nichts Genaueres.
Welche Vorteile hätte das Registrierungszentrum?
Man muss sehen, dass mehr als zehntausend Menschen aus Bulgarien und Rumänien nach Mannheim gekommen sind. Das wird in Nordrhein-Westfalen bei der Aufnahme von Flüchtlingen berücksichtigt und angerechnet, in Baden-Württemberg jedoch nicht. Trotz mehrerer Versuche sind wir hier in Stuttgart nicht durchgedrungen. Wir sagen: Eine wie auch immer geartete Landeseinrichtung ist für uns tragbar - aber nur dann, wenn wir von der dauerhaften Zuweisung von Flüchtlingen befreit werden. Die Integrationsleistung der Stadt ist nicht beliebig steigerbar. Ich gebe Ihnen ein ganz konkretes Beispiel: Ohne die starke Zuwanderung aus Südosteuropa wären wir heute mit unserem Ziel, Familien früher und erfolgreicher mit Blick auf den Bildungserfolg ihrer Kinder zu erreichen, wesentlich weiter. Unsere Ambition war, mehr Kindern einen guten Start ins Schulsystem zu ermöglichen. Da sind wir in Mannheim zwar nicht schlechter, aber eben auch nicht wesentlich besser geworden, als wir uns das vorgenommen hatten.
Die Mannheimer CDU lehnt sowohl das Anker- als auch das Registrierungszentrum ab. Und hat zuletzt mit anderen Fraktionen einen "Trinkertreff" verhindert. Wie schwierig werden die nächsten Monate für Sie, insbesondere mit Blick auf die Kommunalwahl 2019?
Durch Parteiübertritte gibt es jetzt eine Mehrheit rechts von Grünen und SPD, die spürbar ist. Und es dürfte nach der Kommunalwahl und der durch das Auszählverfahren begünstigten Zersplitterung insgesamt nicht einfacher werden.

Gemeinderäte sind laut Gemeindeordnung Teil der Verwaltung. Zumindest formal gibt es also keine Opposition.
Es gibt das Phänomen, dass Parteien und andere politische Kräfte zunehmend weniger bereit sind, Positionen auch gegen öffentlichen Protest zu verteidigen, und sich im Gegenteil Einwände von Gruppen schnell zu eigen machen. Zudem wird eine Begleitmusik angestimmt, die im Gegensatz zu früher auch im Gemeinderat Resonanz oder gar Verstärker findet, wonach Konzepten der Verwaltung jegliche Fundierung und Fachlichkeit abgesprochen werden.
Lässt sich das ändern?
Schwierig. Ein Gemeinderat hat heute eine derartige Informationsflut zu bewältigen, dass er an die Grenzen des ehrenamtlich Machbaren stößt. Aus diesem Grund muss die Verwaltung immer wieder aufs Neue die einzelnen Entscheidungsschritte von ja oftmals lang laufenden Prozessen dokumentieren und an sie erinnern. Dennoch fühlt sich der Gemeinderat zum Teil selbst nicht mehr ausreichend informiert und distanziert sich auch deshalb schneller. Inzwischen drehen sich viele öffentliche Diskussionen mehr darum, wer, wann und von wem informiert worden ist.
Thema Uniklinikum: Die Umstrukturierung und Altlasten gehen an die Substanz, die Stadt musste das Haus finanziell verarzten. Wie lange macht das der Gemeinderat noch mit?
Ein Zuschuss von 78 Millionen Euro ist natürlich gewaltig. Er ist aber verbunden mit der klaren Erwartung, dass die Klinik wieder ein betriebswirtschaftliches Ergebnis erzielt, das auskömmlich ist und keiner weiteren großen finanziellen Unterstützung bedarf. Das vergangene Jahr hat das Krankenhaus mit einem Minus von 30 Millionen Euro abgeschlossen. Für 2019 erwarten wir, dass der Fehlbetrag deutlich niedriger ausfällt, und für 2020 peilen wir eine schwarze Null an. An diesem Ziel wird hart gearbeitet.
Der frühere kaufmännische Geschäftsführer Jörg Blattmann war bei der Konsolidierung offenbar nicht schnell genug und ist gegangen.
Richtig ist, dass die einzelnen Schritte nicht mit der Geschwindigkeit umgesetzt wurden, wie wir uns das alle erhofft hatten.
Die Hoffnung ruht auf dem Megaprojekt "Neue Mitte".
Ja, das wird die nächsten Jahre prägen. Wir stehen jetzt mit unserem Masterplan am Anfang einer Entwurfsplanung. Die Investition liegt - Stand heute - bei rund 320 bis 350 Millionen Euro. Ohne sie ist eine nachhaltige Konsolidierung nicht möglich. Wenn im Einzelfall ein Patient 21 Minuten durchs Haus geschoben werden muss, dann ist das überhaupt nicht effizient. Deshalb wollen wir Kernfunktionen wie Operation, Intensivmedizin und den Weg zu den Stationen zentraler bündeln. Dies birgt enorme Potenziale. Und wir wollen uns stärker als echte Universitätsmedizin profilieren, das heißt mehr Schwer- und Schwerstkranke behandeln.
Auch die Verkehrssituation wird die nächsten Jahre prägen. Setzen Sie hier auf eine eigene Konzeption oder wollen Sie Ludwigshafen und Heidelberg mit einbeziehen?
Natürlich wollen wir die beiden anderen Städte mit einbinden, wobei dies für Ludwigshafen vor dem Hintergrund der Sanierung der Hochstraßen noch viel stärker gilt. Wenn wir aktuell über ein Cityticket diskutieren, dann darf das natürlich nicht an der Rheinbrücke enden. Genau das haben wird gegenüber dem Bund auch zum Ausdruck gebracht. Wir rechnen nach der Sommerpause mit einer Entscheidung.
Der kostenlose Nahverkehr könnte deutlich mehr Menschen in Busse und Bahnen bringen.
Ich warne davor, das als Allheilmittel zu sehen. Es geht immer um die Stärkung des gesamten Umweltverbunds. Wenn ich nur auf einen Aspekt setze und den kostenlosen Nahverkehr einführe, dann muss ich einen extrem hohen Aufwand betreiben, obwohl ich viele Mitnahmeeffekte und nicht ausreichend Entlastung auf den Straßen erziele. Wenn Radfahrer und Fußgänger die Straßenbahn nehmen, hat die Umwelt zunächst einmal nichts gewonnen.
Welche Anstrengungen unternehmen Sie noch?
Wir haben in Mannheim einen relativ hohen Anteil des Fußgängerverkehrs. Beim Fahrradanteil machen wir Fortschritte, sind aber bei Weitem noch nicht am Ziel. Das ist ein Prozess, der Jahrzehnte weitergehen wird. Wenn wir wollen, dass sich die Frequenzen im Einzelhandel und in der Gastronomie erhöhen, werden wir dies über zusätzlichen Autoverkehr gar nicht abwickeln können. Deshalb müssen wir auf andere Verkehrsträger setzen, das heißt zum Beispiel den ÖPNV und die S-Bahn ausbauen.
Die Stadt will mehr sozialen Wohnraum schaffen, gleichzeitig muss sie sich darum bemühen, einkommensstärkere Menschen zu halten. Wie soll das gelingen?
Wir haben das Glück, dass wir auch dank der Konversion auf den ehemaligen US-Geländen bis 2025 insgesamt 10.000 Wohnungen schaffen können - in allen Bereichen. Traditionell ist das Wohnen zwar in Mannheim günstiger als in vielen anderen Städten, aber auch wir spüren die Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt. Wir versuchen, mit der 30-prozentigen Sozialquote und einer verbesserten Förderung mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Ich bin recht optimistisch, dass uns das auch gelingen wird.