Um die Barrierefreiheit gibt's mächtig Zoff
Verkehrsclub Rhein-Neckar verteidigt sich gegen "Maximalforderungen" von Mannheimer Behindertenvertretern - Barrierefreiheit mit Augenmaß

Werden die neuen Niederflurbahnen des Herstellers Skoda, die ab 2021 durch die Region rollen, barrierefrei und behindertengerecht genug sein? Darüber sind eine Mannheimer Arbeitsgemeinschaft und der Verkehrsclub Rhein-Neckar unterschiedlicher Ansicht. Foto: Gerold
Von Carsten Blaue
Mannheim/Heidelberg. Sind die neuen Straßenbahnen, die ab 2021 durch die Region rollen sollen, nun barrierefrei genug oder nicht? Nein, meint die Mannheimer Arbeitsgemeinschaft (AG) Barrierefreiheit. Sehr wohl, entgegnet der hiesige Regionalverband des Verkehrsclubs Deutschlands (VCD). Angesichts der großen Investition der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (RNV) ist diese Diskussion nicht ganz unwichtig. Insgesamt 80 Niederflurbahnen hat die RNV beim Hersteller Skoda bestellt. Für 250 Millionen Euro.
"Mit ihren Maximalforderungen bringen die Behindertenvertreter unnötig die große Mehrheit der Fahrgäste gegen sich auf. Selbstverständlich ist Barrierefreiheit ein Gebot der Stunde", sagte der Vorstandssprecher des VCD Rhein-Neckar, Felix Berschin, der selbst schwerbehindert ist. Aber diese müsse allen nutzen und mit Augenmaß angestrebt werden.
Schiefe Ebenen contra Stufen
Die Arbeitsgemeinschaft hatte beim Praxistest an einem 1:1-Modell einiges an den neuen Bahnen bemängelt: zu steile und zu schmale Rampen, Stufen, keine Plätze für Blindenhunde, zu kleine Niederflurbereiche für Gehbehinderte oder Klappsitze, die Rollstuhlfahrern Platz wegnehmen, zum Beispiel. Das alles hat der VCD mit Befremden zur Kenntnis genommen. "Die Beschaffung der Straßenbahnen mit deutlich mehr Sitzplätzen ist ein Gebot der Stunde", so Berschin. Viele Sitzplätze seien doch gerade im Interesse der unsicheren und nicht mehr so standfesten älteren Fahrgäste und damit ein guter Beitrag zur Teilhabe.
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Es sei zudem absolut nachvollziehbar, wenn sich die RNV für Straßenbahnen mit Drehgestellen und damit für technisch unvermeidbare Stufen in den Fahrzeugen entschieden habe: "Denn nur diese bieten hohen Fahrkomfort und einen vertretbaren Gleisverschleiß." So hatte auch die RNV argumentiert. Niederflurbahnen mit fast starren Achsen würden in Kurven ruckeln und quietschen, und sie würden für eine höhere Abnutzung der Gleisanlagen sorgen.
Schiefe Ebenen anstatt der Stufen in den Fahrzeugen seien dagegen weder ein Beitrag zum sicheren Abstellen von Rollstühlen und Kinderwagen, noch für stehende Fahrgäste, so der VCD. Schon heute könnten außerdem weder Kinderwagen, noch Rollatoren durch die Bahnen bewegt werden. Geschweige denn Rollstühle. Denn dafür seien die Gänge viel zu schmal. Genau aus diesem Grund gebe es ja direkt an den Türen die sogenannten "Mehrzweckflächen". Und diese würden in den neuen Bahnen auch vollkommen ausreichend sein. Dagegen seien etwa Busse, die schon heute "mehr Tanzfläche als Sitzplätze" böten, ein Unding.
Auch zum Transport von Elektrorollstühlen, sogenannten "E-Mobilen", in Bussen und Bahnen äußerte sich der VCD im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion über die Barrierefreiheit. Der Verkehrsclub mit Sitz in Heidelberg sieht in den Elektrorollstühlen ein enormes Risiko für die Fahrgäste, weil sie umkippen könnten.
Daher ist der VCD der Meinung, es sei nicht möglich, dass Busse und Bahnen für jede behinderte Person zugänglich sind: Öffentlicher Nahverkehr müsse immer noch Massenbeförderung mit kurzen Haltestellenaufenthaltszeiten bleiben. Vielen wäre mehr geholfen, so der VCD, wenn es einen erschwinglichen Fahrdienst gäbe, der diese Fahrgäste vor der eigenen Haustür abholt und ihnen genug Zeit zum Einsteigen lässt: "Es ist ein Unding, dass in Deutschland nach wie vor solche Sammelfahrdienste weitgehend verboten sind", so Berschin.



