"Wir müssen uns ändern"
Die Mobilitätswende hat nicht nur mit Technik zu tun, sondern auch mit einem Mentalitätswandel – Experten diskutierten in Bruchsal

Von Carsten Blaue
Bruchsal. Vor dem Bruchsaler Bürgerzentrum bauen Gaukler gerade ihren Mittelaltermarkt auf. Am Wochenende kann man sich hier zurückversetzen lassen in die Zeit der Ochsenkarren und Pferdefuhrwerke. Nur 100 Meter weiter, auf dem Marktplatz, das Kontrastprogramm des 21. Jahrhunderts: Hier sind E-Fahrzeuge mit zwei und vier Rädern ausgestellt, ebenso die Hightech des autonomen Fahrens. Die mobile Gegenwart und Zukunft für Bürger, Städte und Unternehmen. Darum geht es auch nebenan im Bürgerhaus bei der zweiten Regionalkonferenz zur Mobilitätswende. Rund 400 Experten und Gäste aus der Metropolregion Rhein-Neckar und der Technologieregion Karlsruhe machen sich Gedanken über den modernen Verkehr.
Was bei all den "Talkrunden" und "Fachforen" letztlich als Erkenntnis herauskommt, lässt sich in einem Zitat von Mohamed Mezghani, dem Generalsekretär des Internationalen Verbandes für das öffentliche Verkehrswesen, ganz schön zusammenfassen: "Das intelligente Auto braucht keinen Fahrer, der intelligente Fahrer braucht kein Auto. Er nutzt öffentliche Verkehrsmittel". Wenn das Angebot stimmt. Daran wird man arbeiten müssen. Darin sind sich letztlich alle einig, die auf der Bühne ein Mikrofon in die Hand nehmen. Dass sich Verkehrsplaner, Forscher und Entwickler in den nächsten Jahren mit E-Mobilität, Sharing-Modellen und dem Ausbau bestehender Verkehrsinfrastrukturen beschäftigen werden, sind auch nicht wirklich neue Erkenntnisse. Je erfolgreicher und schneller sie dabei sind, desto eher wird die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Mobilität von morgen steigen.
Verwaltung und Firmen müssten mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Fuhrparks mit Elektro-Fahrzeugen bestücken, die die Mitarbeiter nutzen können, fordert Bruchsals Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick. Zudem dürfe man das Umland der Innenstädte nicht vergessen, wenn es um Car-Sharing und den Ausbau der Lade-Infrastruktur für E-Fahrzeuge geht. Diese bereitet den Energieversorgern Kopfzerbrechen.
"Wir wissen nicht, wie viele Bürger wie schnell umsteigen", sagt Michael Gutjahr, Leiter des Regionalzentrums Baden-Franken der EnBW. Sein Beispiel: Wenn plötzlich zehn Autobesitzer in einer Straße gleichzeitig ihr Fahrzeug zum Stromtanken ans Netz stecken, geht der Trafo des Wohnquartiers in die Knie und schaltet sich ab. Zweite Herausforderung: Die Leistung beim Tanken steigt. Sprich: Die Autos können immer schneller geladen werden. Dafür will sich die EnBW wappnen und bis 2025 alleine rund 500 Millionen Euro alleine für den Ausbau der Verteilernetze ausgeben - ohne wirklich zu wissen, ob das reicht oder zu viel ist.
Auch interessant
Weniger schwer abzusehen ist für Gerd Hager, den Verbandsdirektor des Regionalverbands Mittlerer Oberrhein, welche Folgen die Knotenstudie zur Bahntrasse Mannheim/Frankfurt hat: "Nächstes Jahr wird sie vorliegen, und dann gibt es Diskussionen. Wir brauchen zwei neue Gleise für den Gütertransport. Das ist klar. Und jeder will die immissionsfreie Mobilität. Aber keiner will die Infrastruktur dafür." Für Hager ein grundsätzliches Problem. Und das Auto sei auch noch immer ein Statussymbol: "Da müssen wir uns ändern." Das sieht Bernd Kappenstein von der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH ähnlich: Es gehe in längst nicht mehr darum, ein Auto zu besitzen, sondern darum, zuverlässige Mobilität einzukaufen.
Für den öffentlichen Nahverkehr bedeutet das, regional zu denken: "Als Kunde will ich mir keine Gedanken über Verkehrsverbünde oder Abrechnungen machen", sagt Mannheims Erster Bürgermeister Christian Specht: "Wir müssen die Angebote attraktiv machen, damit die Menschen umsteigen." Diese Erfahrung hat auch Michael Heinz gemacht. Der Vorsitzende des Vereins Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar ist Vorstandsmitglied der BASF SE. Sein Unternehmen befragt regelmäßig die Mitarbeiter nach ihrem Weg zur Arbeit. Nie war die Teilnehmerquote so hoch wie zuletzt. 61 Prozent kommen mit dem Auto, zwölft Prozent mit Bus und Bahn. Davon sind 70 Prozent zufrieden mit den Verbindungen, und 40 Prozent würden umsteigen, wäre das Angebot besser. Zwei Mal umsteigen geht zum Beispiel gar nicht. Daher wird die BASF direkt ans Netz der S-Bahn Rhein-Neckar angeschlossen.
Heinz nennt auch die täglichen Zahlen des BASF-Güterverkehrs: 2100 Lkw fahren aus und ein, 40 Güterwaggons werden bewegt, und 20 Schiffe legen auf dem Rhein an und ab. Kein Wunder, dass Heinz die Bedeutung einer funktionierenden Verkehrsinfrastruktur im Rhein-Neckar-Raum hervorhebt - und zwar für alle Verkehrsträger. Investitionen seien hier in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden.
Investiert wurde in Karlsruhe. Anfang Mai hat das Testfeld für autonomes Fahren im Stadtgebiet den Betrieb aufgenommen. Es laufe beeindruckend unauffällig, sagt OB Frank Mentrup: "Es gibt viele Forschungsprojekte, die damit verknüpft sind. Aber die Nachfrage aus der Wirtschaft könnte besser sein." Mindestens fünf Jahre lang wird in Karlsruhe der Einsatz von Roboter-Autos im realen Verkehr erprobt. Mal sehen, was Mentrup nächstes Jahr bei der dritten Regionalkonferenz zur Mobilitätswende zu berichten hat. Am 14. Mai trifft man sich im Ludwigshafener Pfalzbau. Aber wahrscheinlich ohne Mittelaltermarkt vor der Tür.



