Flüchtlinge im Rhein-Neckar-Kreis: Warum helfen nur 29 Kommunen?

Die RNZ hat bei Städten und Gemeinden nachgefragt - Landrat Dallinger mahnt Solidarität an

23.10.2015 UPDATE: 24.10.2015 06:00 Uhr 4 Minuten, 58 Sekunden

So wie in dieser Halle im nordrhein-westfälischen Hamm soll es nirgendwo im Rhein-Neckar-Kreis aussehen. Quer durch die Republik gibt es Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Foto: Fassbender

Rhein-Neckar. (sha/alb/cab/cm/kel/rö/stu) Ist für 25 Städte und Gemeinden im Rhein-Neckar-Kreis "Solidarität" ein Fremdwort? Uli Sckerl, Parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion der Grünen, hatte jüngst beklagt, dass zu wenige Kommunen den Landkreis bei der Unterbringung von Flüchtlingen unterstützen. Laut Faktenblatt des Rhein-Neckar-Kreises (Stand: 30. September) sind es 27. Darin nicht aufgeführt sind allerdings Wilhelmsfeld und Heiligkreuzsteinach, die eine "Sonderstellung" einnehmen und dem Kreis "Hilfestellung" geben. Wie auch immer: Es werde auf Dauer nicht funktionieren, dass insbesondere die Großen Kreisstädte die Unterbringung für andere Gemeinden quasi stellvertretend übernähmen, zürnte Sckerl.

Hintergrund

Städte und Gemeinden, in denen der Rhein-Neckar-Kreis Flüchtlinge untergebracht hat oder in absehbarer Zeit unterbringen wird:

Altlußheim, Bammental, Dossenheim, Eberbach, Edingen-Neckarhausen, Eppelheim, Helmstadt-Bargen, Hemsbach, Hockenheim,

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Städte und Gemeinden, in denen der Rhein-Neckar-Kreis Flüchtlinge untergebracht hat oder in absehbarer Zeit unterbringen wird:

Altlußheim, Bammental, Dossenheim, Eberbach, Edingen-Neckarhausen, Eppelheim, Helmstadt-Bargen, Hemsbach, Hockenheim, Laudenbach, Leimen, Meckesheim, Mühlhausen, Neckarbischofsheim, Neckargemünd, Oftersheim, Reichartshausen, Reilingen, Sandhausen, Schriesheim, Schwetzingen, Sinsheim, Spechbach, Waibstadt, Walldorf, Weinheim und Wiesloch.

Städte und Gemeinden, in denen der Rhein-Neckar-Kreis bislang keine Flüchtlinge untergebracht hat:

Angelbachtal, Brühl, Dielheim, Epfenbach, Eschelbronn, Gaiberg, Heddesbach, Heddesheim, Heiligkreuzsteinach, Hirschberg, Ilvesheim, Ketsch, Ladenburg, Lobbach, Malsch, Mauer, Neidenstein, Neulußheim, Nußloch, Plankstadt, Rauenberg, Schönau, Schönbrunn, St. Leon-Rot, Wiesenbach, Wilhelmsfeld und Zuzenhausen.

Quelle: Faktenblatt des Rhein-Neckar-Kreises zur Flüchtlingsunterbringung, Stand: 30. September 2015.

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Auch Landrat Stefan Dallinger hatte vor rund zwei Wochen sämtliche Bürgermeister der Kreiskommunen zu einer Art "Krisengipfel" ins Landratsamt geladen und Solidarität angemahnt. "Nur wenn Kreis und Kommunen gemeinsam an einem Strang ziehen, wird es gelingen, diese große Herausforderung zu stemmen", sagte der CDU-Politiker und bat die Vertreter der Städte und Gemeinden zum wiederholten Male, geeignete Unterkünfte zu melden.

Eine "Umfrage" in den Gemeinden hatte zuvor jedenfalls nicht den erhofften Erfolg gebracht. Die Bereitschaft seitens der Kommunen, Objekte zu melden, war nach RNZ-Informationen nicht sehr ausgeprägt.

Doch der Kreis steht unter permanenten Druck - allein im Oktober müssen 1138 Flüchtlinge auf die Städte und Gemeinden im Rahmen der sogenannten Erstunterbringung verteilt werden. Dafür ist der Kreis höchstens 24 Monate lang zuständig.

Nach dieser Zeit greift die "kommunale Anschlussunterbringung", bei der die Städte und Gemeinden - anders als bei der Erstunterbringung - verpflichtet sind, Wohnraum in Relation zur Einwohnerschaft zur Verfügung zu stellen.

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Es leben also auch Flüchtlinge in denjenigen Gemeinden, die dem Kreis bislang keine Liegenschaften in Aussicht gestellt haben. Warum wird kein Wohnraum gemeldet? Die RNZ hat sich bei Vertretern einiger Gemeinden umgehört.

Brühl: "Es hat sich schlicht und einfach noch keine Liegenschaft angeboten", sagt Bürgermeister Ralf Göck. Brühl sei eine Zuzugsgemeinde, der Wohnraum begehrt, und deshalb habe man kaum Leerstände. "Im Moment gibt es einfach nichts", betont Göck. Allerdings habe man im Rahmen der Anschlussunterbringung mehr Menschen aufgenommen, als man nach dem Kontingent müsste. Damit habe man den Kreis ein Stück weit entlastet.

Dielheim: "Wir haben momentan über 30 Flüchtlinge in vier Objekten im Rahmen der Anschlussunterbringung untergebracht und sind dabei, weitere Wohnungen von privat anzumieten. Und wir waren auch schon immer bemüht, Flüchtlinge bei uns unterzubringen", sagt Bürgermeister Hans-Dieter Weis. "Ich finde es dann ein bisschen ungerecht und auch schade, wenn Gemeinden an den Pranger gestellt werden, weil sich bei ihnen noch nichts in Sachen Gemeinschaftsunterkunft ergeben hat. Wir können da nicht mehr tun, als zu vermitteln, aber es war bisher noch keine Möglichkeit gegeben. Eine Containerlösung kommt für uns nicht in Frage, mittelfristig gibt es Planungen für ein Objekt, das wir bauen werden."

Heddesheim: "Um dem Kreis helfen zu können, braucht man Gebäude mit einer entsprechenden Größe. Die haben wir in Heddesheim leider nicht, obwohl wir intensiv nach Objekten Ausschau gehalten haben", sagt Bürgermeister Michael Kessler. "Es gibt Gemeinden, in denen Hotels oder Einkaufsmärkte leer stehen - in Heddesheim ist das nicht der Fall." Im Übrigen liege die vorläufige Unterbringung in der Verantwortung des Kreises - die Kommunen hätten schon genug zu tun, ihrer Verpflichtung bei der Anschlussunterbringung nachzukommen. "Ich lasse mir kein schlechtes Gewissen einreden, weil wir dem Kreis in diesem Fall nicht helfen können, aber es ist klar, dass sich Heddesheim seiner Verantwortung bewusst ist."

Heiligkreuzsteinach: Auch in der Odenwaldgemeinde gibt es keine große Unterkunft des Kreises, allerdings lebt dort eine achtköpfige Familie, die nicht in einer größeren Gruppe untergebracht werden könnte, wie Bürgermeisterin Sieglinde Pfahl sagt. Ansonsten gebe es in der Gemeinde keine großen offenkundigen Leerstände. Jetzt mache man sich aber Gedanken über Plätze, an denen Wohncontainer aufgestellt werden können. Problematisch sei aber, dass zum Beispiel in den Ortsteilen nur wenige Busse am Tag fahren und die Flüchtlinge dann dort "festsitzen" würden. Und die Turnhalle könne man nicht bereitstellen, weil es nur eine für alle Ortsteile gebe. "Wir wollen den Landkreis weiter unterstützen, es ist uns aber bisher noch nicht gelungen", räumt Pfahl ein. Für die Anschlussunterbringung finde man jedoch Wohnungen.

Hirschberg: "Wir haben keine leer stehenden Hotels und auch keine größeren privaten Gebäude. Diese Ausgangssituation können wir nicht leugnen", sagt Bürgermeister Manuel Just. Die Mutmaßung, Landrat Stefan Dallinger schone seine Heimatgemeinde bei der Zuweisung, weist Just zurück: "Das Gegenteil ist der Fall. Hirschberg fühlt sich dadurch eher verpflichtet." Ein gemeindeeigenes Gebäude habe die Verwaltung bereits nach dem ersten Appell des Landrats angeboten: "Aber diese Option hat sich aufgrund des baulichen Zustands der Immobilie zerschlagen." Just hofft jedoch, noch im November ein Konzept für eine "größere Einheit" zur Unterbringung von Flüchtlingen vorstellen zu können: "Wir arbeiten hinter den Kulissen an einer Vielzahl von Ideen und Möglichkeiten." Doch es gebe noch offene Fragen.

Ketsch: "Wir haben derzeit einfach keine Grundstücke oder geeigneten Liegenschaften, die wir dem Kreis anbieten könnten", sagt Hauptamtsleiter Ulrich Knörzer. Dies habe zum Teil auch baurechtliche Gründe. Natürlich sei man eine Solidargemeinschaft, das wisse man auch in Ketsch. "Deshalb stehen wir mit dem Kreis in Verbindung, um Alternativen zu prüfen."

Ladenburg: Zur Lösung des Problems will auch die Römerstadt einen Beitrag leisten. Erst vor wenigen Tagen fanden wieder Gespräche mit den zuständigen Stellen im Landratsamt statt, um eine Option zu prüfen. Nach RNZ-Informationen besteht die Möglichkeit, dass auch Ladenburg schon bald Unterkünfte zur Verfügung stellen kann. "Wir dürfen und wir werden uns nicht verwehren", sagt Bürgermeister Rainer Ziegler.

Mauer: "Wir haben einfach keine leer stehenden großen Hallen, solche Industriebrachen gibt es in kleinen Gemeinden nicht", sagt Hauptamtsleiter Mathias Schmalzhaf. Für die Anschlussunterbringung hat die Kommune allerdings im Sommer ein Haus gekauft. Derzeit leben acht Flüchtlinge in der Elsenztalgemeinde, nächstes Jahr sollen 17 weitere kommen.

Neidenstein/Zuzenhausen: "Das ist natürlich auch ein Thema für uns", sagen die Bürgermeister Frank Gobernatz (Neidenstein) und Dieter Steinbrenner (Zuzenhausen) übereinstimmend und fast stellvertretend für die Repräsentanten kleinerer Gemeinden. Allein: Es fehlt an freien kommunalen Räumlichkeiten. Deshalb kommen allenfalls Angebote aus dem privaten Wohnungsmarkt und eventuell für leer stehende Hallen infrage. Aufgetan hat sich bislang aber nichts.

Rauenberg: "Wir haben aktuell für die Erstaufnahme von Flüchtlingen keinerlei geeignete Objekte. Für die Anschlussunterbringung sind wir dabei, bestehenden Wohnraum herzurichten, und weitere Wohnungen in Augenschein zu nehmen - allerdings ist hier noch nichts endgültig spruchreif", sagt Kämmerer Thomas Dewald.

Wiesenbach: Die Gemeinde habe dem Rhein-Neckar-Kreis alle Immobilien auf dem Markt gemeldet, betont Eric Grabenbauer. Der Bürgermeister räumt aber ein: Diese haben alle nicht die geforderte Größe und frei seien nur wenige. Derzeit leben fünf Flüchtlinge in der Anschlussunterbringung in der Gemeinde, nächstes Jahr sind zwölf weitere im Gespräch.

Wilhelmsfeld: Zwar betreibt der Landkreis im Luftkurort keine große Unterkunft, dass aber gar keine Flüchtlinge dort leben, stimme nicht, unterstreicht Bürgermeister Hans Zellner. Die Gemeinde habe als "Hilfestellung" dem Kreis 22 Flüchtlinge "abgenommen", die zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht in einer großen Unterkunft leben könnten. Die Syrer und Albaner leben nun in Wohnungen. Hinzu kommen sechs minderjährige Flüchtlinge ohne Eltern, die in der Jugendhilfeeinrichtung "Orthos" am Ort leben. In der Anschlussunterbringung werden nächstes Jahr 30 bis 40 Flüchtlinge erwartet. In den 90er-Jahren habe Wilhelmsfeld 120 Flüchtlinge untergebracht, erinnert Zellner. Die damaligen Immobilien würden inzwischen aber anderweitig genutzt.

Info: Der Kreis sucht weiter nach Unterkünften. Gefragt sind größere leerstehende Objekte, die schnell bezogen und nicht aufwendig umgebaut oder saniert werden müssen. Dazu gehören Hallen, Gewerbeobjekte, Hotels oder Gaststätten. Um darüber Informationen zu erhalten, hat das Landratsamt die E-Mail-Adresse fluechtlinge@rhein-neckar-kreis.de eingerichtet. Die Adresse ist auch für Anregungen, Fragen und Beschwerden aus der Bevölkerung zum Thema Flüchtlinge gedacht.

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