NS-Terror-Zeitzeugin Karla Spagerer erhielt Bundesverdienstkreuz
Aus der Geschichte für die Zukunft lernen: Sie erzählt Jugendlichen als Zeitzeugin über den Nazi-Terror.

Von Volker Endres
Mannheim. Hinter Karla Spagerer liegt ein ereignisreiches Jahr: Im Januar war die 92-Jährige in der Bundesversammlung für die SPD die älteste Wahlfrau für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewesen. Und am Freitag erhielt sie aus den Händen von Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) das ihr vom Bundespräsidenten verliehene Bundesverdienstkreuzesrund – eine Woche vor ihrem 93. Geburtstag. Da verfiel die Mannheimerin vor Freude in breites Kurpfälzisch: "Um des alles zu verkrafte - do braucht e aldi Fraa viel Kraft!"
Karla Spagerer ist eine waschechte Waldhöferin, sie ist im Stadtteil geboren und aufgewachsen. Die Seniorin ist eine der letzten Zeitzeuginnen, die die Schrecken des Nazi-Regimes nicht nur miterlebt hat, sondern auch im Widerstand aktiv war. Ihre Großmutter wurde als überzeugte Kommunistin von der Gestapo verhaftet. Über die Gaststätte der Eltern hatte sie Kontakt zur Widerstandsgruppe rund um Georg Lechleiter, musste den Verwandten die Nachricht vom Tod der Mitglieder überbringen. Nach der Reichspogromnacht im November 1938 suchte sie mit ihrem Vater vergebens nach den jüdischen Besitzerinnen der Sack- und Deckenfabrik im Quadrat F 3.
Über ihre Erlebnisse erzählt Karla Spagerer, die seit 1969 SPD-Mitglied ist und dafür vor fünf Jahren mit der Willy-Brandt-Medaille die höchste Auszeichnung erhielt, seit vier Jahren in Schulen. Auf Anregung des SPD-Landtagsabgeordneten Stefan Fulst-Blei besuchte sie mittlerweile über 20 Schulen, kam mit Schülern und Lehrern direkt ins Gespräch und vermittelte damit ungeschönt die Schrecken der Nazi-Vergangenheit. Sie lebt damit vor, was Peter Kurz als "relevanten Beitrag" bezeichnete: "Man muss sich mit den Mechanismen befassen, um eine Abwehr gegen rechtsradikales Gedankengut aufzubauen." Denn es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen historischem Bewusstsein und Lehren für die Gegenwart, so der Oberbürgermeister. Deshalb habe sich Karla Spagerer für Diskussionsrunden in Schulen entschieden. "Wir haben unser Leben gelebt, aber die Jugend hat ihres noch vor sich."
Angesichts der aktuellen Situation ist auch Karla Spagerer hin und wieder sprachlos. Nur wenige Tage nachdem sie sich als "wohl glücklichsten Menschen" bezeichnete, nach der Bundeswahlversammlung für den Bundespräsidenten, kam die Nachricht des russischen Überfalls auf die Ukraine. "Und plötzlich war mir der Zweite Weltkrieg wieder ganz nah." Bei den Bildern von flüchtenden Menschen seien die Empfindungen einer überwunden geglaubten Zeit direkt wieder präsent gewesen. "Ich weiß genau wie sich die Menschen aus der Ukraine fühlen", sagt sie.
Auch interessant
Empathie und Bescheidenheit seien nur zwei ihrer herausragenden Eigenschaften, betonte deshalb Peter Kurz in seiner Laudatio. Dafür und für ihren Einsatz gegen das Vergessen überreichte er ihr im Namen des Bundespräsidenten deshalb die höchste Auszeichnung des Staates – den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland als sichtbares Zeichen des Danks und der Anerkennung. "Und Karla Spagerer hat das Bundesverdienstkreuz in besonderer Weise verdient."



