Deportation aus Mannheim: Eine Zeitzeugin erinnert sich
Amira Gezow lebt heute in Israel: Ihr Vater stieß sie aus dem Zug von GUrs nach Auschwitz und rettete ihr damit das Leben

Amira Gezows Vater betrieb damals einen Waschsalon in der Mittelstraße. 2010 besuchte die mittlerweile 86-jährige Holocaust-Überlebende ihre alte Heimat. Foto: Stadtarchiv Mannheim
Von Harald Berlinghof
Amira Gezow gilt als die letzte überlebende Mannheimer Jüdin, die vor 75 Jahren als Elfjährige in das Konzentrationslager Gurs in Südfrankreich verschleppt wurde. Heute lebt Gezow, die als Charlotte Siesel in Deutschland geboren wurde, in Israel. Dort hatte sie in einem Kibbuz ein neues Leben begonnen.
Es war keine Nacht-und-Nebel-Aktion als am 22. Oktober 1940 die Mannheimer Juden nach Gurs, den "Vorhof zur Hölle Auschwitz", deportiert wurden. "In einem prozessionsähnlichen Fußmarsch wurden sie zum Hauptbahnhof gebracht", sagt Dr. Ulrich Nieß, Leiter des Mannheimer Stadtarchivs in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung "75 Jahre Deportation nach Gurs".
Natürlich hat man es gewusst. Auch in Mannheim. "Wegschauen, schweigen, applaudieren" gehörten auch hier zum Repertoire. "Wir gingen durch Mannheim und da standen die Leute. Einige haben sich umgewandt. Manche haben applaudiert. Sie haben sich gefreut, dass man die Juden wegschickt. Andere haben sich geschämt", erinnert sich Amira Gezow.
"In einer Stadtgesellschaft wie Mannheim muss man diese Bruchstellen und tiefsten Verwundungen der Vergangenheit ansprechen. Ich erinnere hier ganz bewusst auch an den ehemaligen Bürgermeister und Dezernenten Mannheims Karl-Otto Watzinger, der die Judenverfolgung in Mannheim zwischen 1933 und 1945 aufgearbeitet hat", so Nieß. Diese Ausstellung, die bereits 2005 in Zusammenarbeit des Stadtjugendrings und des Stadtarchivs einmal gezeigt wurde, gehöre zu dieser Aufarbeitung.
Die Entfernung nach Gurs zeigt ein "Ortsschild" am Hauptbahnhof mit 1170 Kilometern an. Im Süden von Frankreich, nahe der spanischen Grenze gelegen, ist der christliche Wallfahrtsort Lourdes keine 100 Kilometer von Gurs entfernt, doch die Vernichtungslager Auschwitz/Birkenau und Majdanek waren den Häftlingen näher. Dort sollten viele der rund 6500 nach Gurs verschleppten badischen und pfälzischen Juden schließlich den Tod finden.
Für Amira Gezow war es eine Horrorfahrt. "Wir wussten nicht, was los war. Wir wurden nur angeschrien. Dann wurden wir auf Lastwagen geschoben. Wir waren in Frankreich. Was sollten wir in Frankreich?" Ihr Vater, der einen Waschsalon in der Mittelstraße in der Neckarstadt betrieben hatte, glaubte lange, dass es sich nur um ein paar Tage Zwangsarbeit handelte. "Er trug ja das Eiserne Kreuz, das er als deutscher Frontsoldat erworben hatte. Deutschland würde ihm und seiner Familie niemals etwas Böses antun, glaubte er."
Die Realität, die die Verschleppten dann in Gurs und in Auschwitz erlebten, war eine andere. "Heute Abend werden sie mich verbrennen", hatte ein Weinheimer Jude, der nach Auschwitz musste, einst in einem Abschiedsbrief geschrieben. Amira Gezow berichtet aus Gurs, dass die Männer von den Frauen und Kindern getrennt wurden. "Wir weinten unseren Vätern nach und viele Frauen sahen ihre Männer nie mehr", berichtet die inzwischen 86-Jährige. Später wurde sie auch von ihrer Mutter getrennt.
Sie findet ihre Eltern dann aber in einem sogenannten Familienlager wieder. Beim Abtransport nach Auschwitz beweist ihr Vater Geistesgegenwart und stößt das Kind aus dem Zug - er rettet ihr damit das Leben. Mit Hilfe von Juden der französischen Résistance, die sich als "Rotes Kreuz" ausgeben, gelingt einigen Kindern, darunter Amira Gezow die Flucht. In einem kleinen Katalog zur Ausstellung in der Abendakademie ist dies alles nachzulesen.
Info: Die Ausstellung ist bis 25. November im Foyer der Abendakademie zu sehen. Am heutigen Donnerstagabend ab 17 Uhr hält die Stadt mit der Jüdischen Gemeinde Mannheim in der Synagoge eine Gedenkveranstaltung ab. Ab 18 Uhr ist ein gemeinsamer Gang zum Gedenkkubus auf den Planken geplant.



