Kritk an Wuppertal-Studie

Klimaneutralität 2050 kommt zu spät (Update)

BUND und Kohlefrei-Initiativen kritisieren Wuppertalstudie und legen eigenes Gutachten vor

02.03.2021 UPDATE: 03.03.2021 20:31 Uhr 4 Minuten
Das Großkraftwerk Mannheim wird mit Steinkohle betrieben. Im Szenario von BUND und der Initiativen wird es spätestens im Jahr 2030 stillgelegt. Foto: Gerold

Von Harald Berlinghof

Mannheim/Heidelberg. Nachdem am Montag die Stadt Mannheim und die MVV Energie AG eine Studie des Wuppertal-Instituts zur Klimaneutralität in der regionalen Strom- und Wärmeerzeugung vorgestellt haben, stellten jetzt der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sowie die Initiativen "Heidelberg kohlefrei" und "Mannheim kohlefrei" eine eigene, beim Fraunhofer-Institut in Auftrag gegebene Studie "Klimafreundliche Fernwärme ohne GKM" vor und formulierten neue Maximalforderungen. "Klimaneutralität im Jahr 2050 ist kein Weg aus der Klimakrise", erklärte zu Beginn der digitalen Veranstaltung Fritz Mielert von Landesverband des BUND. Eine Klimaneutralität 2050 komme zu spät, ein Kohleausstieg 2038 ebenfalls.

Die Studie des Fraunhofer-Instituts konzentriert sich auf den Bereich der Fernwärme und lässt die Stromerzeugung weitestgehend außen vor. Im Strombereich sei ein Ersatz der bisherigen fossilen Erzeuger durch erneuerbare Energien einfacher zu bewerkstelligen als der Ersatz der fossilen Fernwärme. Denn Strom kann man über große Entfernungen aus Norddeutschland in die Region bringen. Fernwärme dagegen nicht. Die müsse regional erzeugt werden. Immerhin werden etwa 160.000 Haushalte vom Großkraftwerk Mannheim (GKM) mit Fernwärme versorgt. Auch in Heidelberg haben rund die Hälfte der Haushalte einen Fernwärmeanschluss, der großteils vom GKM bedient wird. Doch heute sind nach Berechnungen der Studie nur 11,5 Prozent der Fernwärme einer CO2-freien Erzeugung zuzurechnen, der Rest kommt vom GKM und einem rechnerischen Beitrag des Müllkraftwerks. Das soll sich ändern.

In einem "Klimaschutzszenario 2030" wird aufgezeigt, wie man es trotzdem schaffen könnte. In dem Szenario wird das GKM bereits 2028, spätestens 2030, stillgelegt. Hausdämmungen sollen den Bedarf an Fernwärme um 16 Prozent senken, beim Müllkraftwerk der MVV müsse eine Steigerung der Effizienz erfolgen, das Altholzkraftwerk in Mannheim müsse einen höheren Beitrag zur Wärmeerzeugung beisteuern.

Das Hauptaugenmerk der Studie richtet sich aber auf die Tiefengeothermie mit potenziellen Standorten in Mannheim, Brühl, Schwetzingen oder Eppelheim sowie neuartige Flusswärmepumpen. "Das sollte machbar sein", so Amany von Oehsen von "Heidelberg kohlefrei". Bis 2030 soll die Geothermie 29 Prozent der benötigten Fernwärme bereitstellen, die Flusswärmepumpen in Mannheim und Heidelberg etwa 26 Prozent und die Restmüllverbrennung 32 Prozent.

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In der Tiefengeothermie und den Flusswärmepumpen sehen die Auftraggeber der Studie ein großes Potenzial. Durch solche Maßnahmen könne der CO2-Ausstoß um zwei Millionen Tonnen jährlich reduziert werden, wobei der allergrößte Teil der Einsparung durch die Abschaltung des GKM erfolgen würde. Die steigenden Preise bei der Fernwärme und bei der Restmüllleerung würden, so die Studie, einen Haushalt mit 100 Quadratmetern Wohnfläche im Durchschnitt mit 240 Euro jährlich belasten. Zu den Aufwendungen und Kosten für die Endkunden macht die Wuppertalstudie aber überhaupt keine Angaben. Auch nicht zu den Berechnungsmethoden. So fiel Mielerts Bilanz äußerst kritisch aus: "Das geht so nicht. Ich behaupte, die Wuppertalstudie ist kläglich gescheitert."

Update: Mittwoch, 3. März 2021, 20.28 Uhr


So könnte Mannheim bis 2050 klimaneutral werden

Windkraft und Fotovoltaik sollen Defizit ausgleichen - Kohleausstieg ist der zentrale Faktor

Das Steinkohle-Großkraftwerk in Mannheim soll noch bis 2033 Strom produzieren. Foto: Gerold

Von Harald Berlinghof

Mannheim. "Mannheim kann bis 2050 klimaneutral werden und seine energiebedingten Kohlendioxid-Emissionen um 99 Prozent reduzieren. Das ist nahe null", betont Karin Arnold, die gemeinsam mit dem Leiter des Wuppertal-Instituts Professor Manfred Fischedick eine "Energierahmenstudie Mannheim – Mannheims Weg zur Klimaneutralität" erarbeitet hat. In Auftrag gegeben hatte die Studie, die am Montag vorgestellt wurde, die MVV Energie AG in Abstimmung mit der Stadt Mannheim.

Solange das Steinkohle-Großkraftwerk Mannheim (GKM) bis 2033 Strom produziert, ist die Stadt ein Stromexporteur. Das heißt, es wird mehr Strom in Mannheim erzeugt als verbraucht. Wenn das Großkraftwerk allerdings vom Netz genommen ist, entsteht ein Stromdefizit, das durch Import von Strom ausgeglichen werden muss. Damit nicht teurer und letztlich gefährlicher Atomstrom aus Frankreich importiert werden muss, ist es nötig, den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland und der Region zu beschleunigen.

Der ländliche Raum soll mithilfe von Windkraft und Fotovoltaik das Stromdefizit ausgleichen. Beim Thema Windkraft spielen die künftigen Stromautobahnen, die den Offshore-Windstrom aus Norddeutschland nach Süddeutschland transportieren sollen, eine wesentliche Rolle. Damit würde die Stadt einen erheblichen Schritt in Richtung Klimaneutralität machen, denn etwa 89 Prozent der CO2-Emissionen Mannheims werden gegenwärtig vom Großkraftwerk verursacht. Müller betonte aber, dass eine Autarkie-Diskussion nicht zielführend sei. "Nur ein Gesamtsystem kann erfolgreich sein. Mannheim mit der Region".

In der Studie werden nicht nur gegenwärtige und künftige Entwicklungen im Energiesektor aufgezeigt. Vielmehr werden Wege aufgezeigt, wie Mannheim als Industriestandort klimaneutral werden kann. Ein wichtiger Faktor ist dabei der Kohleausstieg, der letztlich die Stilllegung des GKM bedeutet. "Die zentrale Botschaft der Studie besagt: Ja, Klimaneutralität ist machbar, auch in Mannheim", so Oberbürgermeister Peter Kurz. Eine erwartete landesweite Vorschrift für kommerzielle Neubauten in Sachen Fotovoltaik könnte durch ökonomische Anreize lokal ergänzt werden, so Kurz. "Allerdings wäre dazu ein enormer finanzieller Aufwand nötig", glaubt er. Zur finanziellen, ökonomischen Umsetzung der Ergebnisse äußert sich die Studie im Übrigen nicht. Aber es gelte darüber hinaus, auch die soziale Frage zu bewerten. "Wer kann die von uns gesetzten Anreize auch umsetzen? Da müssen wir noch besser werden", so Kurz.

"Es gibt kein Königsinstrument. Wir brauchen einen ganzheitlichen Wechsel des gesamten Portfolios", betont Fischedick. Ganz wichtig sei dabei die Erhöhung der Ausbaugeschwindigkeit bei den erneuerbaren Energien. Die Studie spricht von einer Vervierfachung der Geschwindigkeit. Andere Städte wie Ulm haben vorgemacht, dass das möglich ist. Und MVV-Vorstandschef Georg Müller ergänzt: "Es handelt sich um einen umfassenden Systemwechsel bis in viele gesellschaftliche Bereiche hinein. Und der Energiewechsel ist nicht kostenlos zu haben". Konkret sollte in Mannheim ein Vorrang von Fotovoltaik vor Dachbegrünungen eingeräumt werden. Auch an Fassaden sollte Fotovoltaik erlaubt sein. Zudem sollt die Prüfung einer kommunalen Fotovoltaik-Nutzungspflicht auf Dächern bei Neubauten ins Auge gefasst werden.

Die Stadt Mannheim habe bereits seit 1999 das erste Klimaschutzkonzept auf den Weg gebracht und es 2009 weiter entwickelt. 2019 folgte das Leitbild "Mannheim 2030". Die Stadt habe rechtzeitig die Dringlichkeit erkannt und Konzepte entwickelt, erklärte Peter Kurz. Im Wärmebereich möchte die Studie die Tiefengeothermie, trotz weitverbreiteter Skepsis in der Bevölkerung, nicht außer acht lassen.

Die Mannheimer Fernwärme, die bis vor wenigen Jahren ausschließlich vom GKM gespeist wurde, wird in Zukunft vielfältiger und ökologischer. Bis hin zu Flusswärmepumpen reicht das Spektrum dessen, was im Kampf um die Klimaneutralität aufgeboten wird. Die Verkehrswende hin zum Elektroauto und zum Wasserstoff, aber auch der Umstieg auf Fahrrad und ÖPNV, sollen wesentlich zur CO2-Vermeidung beitragen. "Ohne eine Verkehrswende ist Klimaneutralität für Mannheim trotz Kohleausstieg nicht erreichbar", so die Studie.

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