Verkehrspädagoge mahnt Rücksicht im Verkehr an
Michael Fröhlich spricht über die Jahreskampagne des ADFC Rhein-Neckar.

Von Carsten Blaue
Heidelberg. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Rhein-Neckar widmet der gegenseitigen Rücksicht im Verkehr seine Jahreskampagne mit verschiedenen Aktionen. Hintergrund ist die "Vision Zero", ein Verkehr ohne Todesopfer und Verletzte.
Zudem ist der ADFC der Überzeugung, dass sich viel mehr Verkehrsteilnehmende aufs Rad setzten, würden sie sich dabei nur sicher fühlen. Michael Fröhlich ist Leiter der Verkehrspädagogik des ADFC Rhein-Neckar. Er sieht ein erhöhtes Unfallrisiko, weil Unaufmerksamkeiten und Aggressionen im Straßenverkehr zunehmen.
Im RNZ-Interview spricht er über die Jahreskampagne, Rücksichtslosigkeit im Verkehr und darüber, warum ein Perspektivwechsel allen mal guttun würde.

Herr Fröhlich, Sie fahren immer besonders vorsichtig, halten sich immer an alle Verkehrsregeln, sind die Ruhe selbst und auch sonst stets ein Vorbild im Straßenverkehr?
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Falsch! Ich bin auch kein Engel. Ich vergesse gerne mal die Zeit. Dann habe ich Druck und fahre schnell. Oder Abkürzungen. Bei Rot fahre ich aber nie! Eine rote Ampel ist eine rote Ampel. Auch nachts um zwei. Da könnte man sie übrigens ruhig mal ausschalten.
Was ist für Sie Rücksicht im Straßenverkehr?
Sich rücksichtsvoll zu bewegen, heißt, auch mal zurückzuziehen, andere vorzulassen, auch wenn ich "im Recht" bin. Wenn das Auto für mich als Radfahrer stehen bleibt, wenn ich vorbeirausche. Dann sage ich "Danke!". Es geht um gegenseitige Wertschätzung und Verständnis füreinander. Und ein Perspektivwechsel wäre auch mal nicht schlecht.
Das heißt?
Wissen, was die anderen Verkehrsteilnehmer beschäftigt, welche Sorgen und Nöte sie im Verkehr haben. Fußgänger haben andere als Autofahrer und die wieder andere als Fahrradfahrer. Das gegenseitige Verständnis kann viel bewirken. Ich würde ja gerne mal eine Radtour durch die Stadt gestalten – ausschließlich für Autofahrer. Aber ein Perspektivwechsel würde allen mal guttun.
Zur Realität gehören aber Fußgänger, die aus der Bahn aussteigen und direkt auf den Radweg marschieren, ohne nach links und rechts zu schauen. Oder Lieferanten, die mal eben den Radweg und den Fußweg komplett versperren. Oder Radfahrer, die denken, sie hätten zwei Leben.
Ja, es gibt sie alle. Und Rücksichtslosigkeit beginnt ja immer da, wo ich andere mit meinem Verhalten in eine schwierige Lage bringe. Alle müssen für das gute Miteinander ein Stück nachgeben. Da muss jeder bei sich selbst anfangen: Der Lieferant, der morgens im wildesten Berufsverkehr seinen Transporter mitten auf den Radweg stellt. Der träumende Fußgänger. Der schnelle Radfahrer.
Der nie mit Licht fährt.
Sehen Sie? Da haben wir es schon! Wir haben mal auf Höhe der Heidelberger Unibibliothek abends gezählt. 225 Fahrradfahrer. Wie viele waren ohne Licht?
50.
25! Rund zehn Prozent. Das heißt: Die breite Masse fährt mit Licht! Und nur die wenigen erzeugen in Ihnen den Eindruck, dass viel mehr ohne Licht fahren. Vor allem die Rücksichtslosen. Die erschrecken Sie, und so entsteht Aggression. Abgesehen davon, wie gefährlich das Radfahren ohne Licht ist. Übrigens parken auch nicht alle Autos auf Rad- und Fußwegen.
Im Herbst werden Sie im Rahmen der ADFC-Jahreskampagne auch wieder "Mehr Licht"-Aktionen starten. Packen Sie wieder die Grablichter aus?
Ja, denjenigen ohne Beleuchtung am Fahrrad wollen wir eines schenken. Wer es nicht annehmen mag, bekommt zumindest einen Denkanstoß. Wer mit Licht fährt, bekommt eine Danke-Postkarte von uns.
Eine "Dankeschön-Aktion" machen Sie auch im Sommer.
Richtig. Wer sich im Verkehr rücksichtsvoll verhält, bekommt von uns ein Dankeschön, wahrscheinlich wieder mit einer extra gestalteten Postkarte und einer kleinen Aufmerksamkeit.
Wo in der Region werden Sie im Rahmen der Jahreskampagne auf Ihr Anliegen aufmerksam machen?
Mal sehen. Im Moment geplant sind Aktionen in Heidelberg, Mannheim und Schwetzingen – hier beim Spargelsamstag am 7. Mai zum Auftakt des "Stadtradelns". Aber auch in Weinheim, Wiesloch-Walldorf und vielleicht in Sinsheim und Eberbach. Es werden punktuelle Aktionen sein. In Mannheim zum Beispiel am 25. Juni im Rahmen des "Monnem Bike"-Festes.
Wie steht es mit den geplanten Neugründungen der ADFC-Ortsgruppen?
Gut. Die Ortsgruppe Unterer Neckar mit Ladenburg, Dossenheim und Ilvesheim gründen wir am 14. Mai. In Heidelberg hatten wir ein erstes Treffen von Interessierten. In Sinsheim und Eberbach haben wir Ansprechpartner. Aber da ist noch nichts in Richtung Ortsgruppe beschlossen.
Was hat es mit der Abstandsmessung im Rahmen der Jahreskampagne auf sich?
Wir verfügen für etwa drei Monate über zehn sogenannte "Open Bike Sensoren". Das sind Überholabstandsmesser für das Fahrrad. Innerorts muss man ja 1,50 Meter Abstand halten beim Überholen eines Fahrrads, außerhalb sogar zwei Meter. Das ist viel! Der Sensor misst den Abstand minus Lenkerbreite und zeichnet die Fahrt über GPS auf. An der Aktion beteiligen sich auch die Ortsgruppen. Danach schauen wir nach Problemstellen, schnallen uns 1,50 Meter lange Schwimmnudeln auf die Gepäckträger und fahren dort. Das mit dem Abstand ist ja immer ein subjektives Empfinden. Wir holen uns die Fakten.
Zum Schluss ein Wort zur Podiumsdiskussion des ADFC am Montag.
Mit Ihnen und unseren Gästen wollen wir zum Perspektivwechsel anregen. Wir wollen auf der Grundlage des Fachvortrags von Kai Schulte vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat darüber diskutieren, wie wir mehr Rücksicht auf der Straße erzeugen können, mehr Verständnis und Miteinander. Um gemeinsam für mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu sorgen – natürlich damit auch mehr Verkehrsteilnehmende in Zukunft aufs Fahrrad steigen. Das Sicherheitsempfinden ist für viele hemmend. Und am Ende ist es doch so: Der Verkehr ist ein Abbild der Gesellschaft. Und die Frage ist, wie wir leben wollen: in einem freundlichen Miteinander oder als Ego-Shooter?



