Zwischen Hoffen und Bangen
Beim Jahresmeeting des Verbands herrschte gedrückte Stimmung.

Von Alexander Albrecht
Mannheim/Heidelberg. Im obersten Stock des Hotels Raddison Blu über den Dächern Mannheims lässt es sich eigentlich prima feiern. Die Stimmung unter den Gästen beim Jahresmeeting des Handelsverbands Nordbaden könnte vor dem gemeinsamen "Get-together" am Buffet freilich besser sein.
"Miserabel" nennt Vizepräsident Sahin Karaaslan gar die Gefühlslage der Branche im Dauer-Krisenmodus und reiht die Mosaiksteine eines Teufelskreises aneinander. Erst Corona, dann der Krieg in der Ukraine: Energiepreise explodieren, Speditionskosten steigen deutlich, die Inflation frisst einen Teil des verfügbaren Einkommens der Kundschaft auf, die übt sich in Verzicht, der Umsatz schwächelt. "Eine riesige Herausforderung, die noch mal ein neues Level erreicht hat", so Karaaslan, der mehrere Supermärkte betreibt und sich politisch für die Grünen im Heidelberger Gemeinderat engagiert.
Hendrik Hoffmann, ein weiterer von drei Vizepräsidenten und Geschäftsführer des Quartiers Q 6/Q 7, will im Gespräch mit der RNZ trotzdem nicht schwarzmalen. Optimistisch stimmt ihn, dass es nicht die erste Krise ist, durch welche die Händler gehen. Und dass sie stets sehr anpassungsfähig reagiert hätten. "Das wird auch jetzt wieder funktionieren", glaubt Hoffmann. Dazu müssen aber in den nächsten Monaten die Kassen klingeln.
Hoffmann schielt bereits auf den verkaufsoffenen Sonntag am 2. Oktober in Mannheim und vor allem das im Vorjahr eher enttäuschend verlaufene Weihnachtsgeschäft. Die Hoffnung auf höhere Umsätze verknüpft er mit Bedingungen an die Politik. Die Geschäfte wollten die weihnachtliche Stimmung in den Innenstädten mit festlichen Dekorationen heben, und trotz Energiekrise solle es auch wieder die traditionelle Beleuchtung geben. Und natürlich die Weihnachtsmärkte.
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Die Politik solle den Menschen nicht durch symbolische Maßnahmen wie einen Beleuchtungsstopp die Freude am Einkaufen nehmen. "Dann kommen wir gestärkt aus dieser Zeit heraus", sagt Hoffmann. Wobei auch er überzeugt ist, dass manche Geschäfte am Ende werden schließen müssen. "Das ist unausweichlich."
Jene Betriebe hätten es aber selbst ohne Krisen schwer gehabt, meint Karaaslan. Und betont: "Es wird eine Marktbereinigung geben." Schaffen würden es Unternehmen, die nachhaltig zum Beispiel in LED oder Fotovoltaikanlagen investiert und gutes Personal eingestellt hätten. Ein heißes Thema beim Jahrestreffen ist der Mannheimer Verkehrsversuch. Seit März wird der Durchgangsverkehr an neuralgischen Punkten der City wie der Kunststraße oder der Fressgasse mindestens ein Jahr lang verbannt.
Dadurch soll nach dem Wunsch der Stadt und einer Mehrheit im Gemeinderat die Aufenthaltsqualität steigen. Ein Teil der Einzelhändler sieht darin allerdings eine Gängelung von Autofahrern – und damit Kunden aus der Stadt und dem Umland. Hoffmann drängt darauf, dass die Stadt möglichst rasch Ergebnisse von projektbegleitenden Untersuchungen vorlegt, "damit wir gegebenenfalls nachjustieren können". Über allem stehe für den Handel: "Wir wollen und wir brauchen mehr Kunden." Aktuell ärgert sich Hoffmann über einen Antrag der Grünen-Gemeinderatsfraktion in Mannheim. Sie fordert für das kommende Jahr vier autofreie Sonntage, unter anderem während der Bundesgartenschau.
In dem Antrag heiße es, der Vorstoß erfolge in Kooperation mit den Geschäftsleuten. Nur: "Mit uns hat überhaupt niemand geredet", brummt Hoffmann. Auch Karaaslan wundert sich über seine Parteifreunde: "Das können wir in Heidelberg nicht nachvollziehen." Mannheim werde aber auf jeden Fall die Einkaufsstadt in der Region bleiben. "Schon alleine im Textilbereich können wir da nicht mithalten", sagt der Unternehmer. Dafür sei Heidelberg "smarter".
Hoffmann hebt weitere Vorteile Mannheims hervor: die gute Erreichbarkeit, kurze Wege, viele Parkhäuser. Und demnächst würden Filialen namhafter Unternehmen ("Flagship-Stores") in der Stadt eröffnen, "die sind wirklich top". Vor dem Hintergrund der Verkehrswende fordert die Präsidentin Petra Lorenz eine Angebots- statt Verbotskultur. Der Handel stehe unter enormem Druck, die Stimmung unter den Geschäftsleuten habe sich im ersten Halbjahr spürbar eingetrübt. Nur noch ein Fünftel der Händler gehe bis zum Jahresende von steigenden Umsätzen aus.
Nach einer Mitteilung des baden-württembergischen Landesverbands sind die Energiepreise bei den Händlern um durchschnittlich 138 Prozent in Höhe geschossen. Die Gewerbetreibenden hätten es aktuell schwer, neue Strom- oder Gasverträge abzuschließen, weil es oft keine Anbieter mehr gebe. Und falls doch, dann zu horrenden Konditionen. Helfen sollen einmal mehr die Regierungen, ob in Berlin oder in Stuttgart.
Der Festredner stellt der Politik kein gutes Zeugnis aus. Erich Harsch, Vorstandsvorsitzender der Hornbach Baumarkt AG, kritisiert, dass Betroffene – wie eben die Händler – nicht zu Akteuren gemacht würden. Die Politik müsse sich unters Volk mischen, von "außen nach innen" denken. Stattdessen erlebe er häufig eine elitärpolitische Ignoranz an vielen Stellen. Viele nicken im Saal.
Doch aufgeben gilt nicht. Und kämpfen können die Selbstständigen. Deshalb ist sich Sahin Karaaslan ganz sicher: "Der stationäre Handel wird nicht sterben."




