Und täglich grüßt das Stau-Murmeltier
Warum die A6 auch dem besten Zeitmanagement einen Strich durch die Rechnung macht - Eine Pendlerin berichtet

Von Vanessa Dietz
Heilbronn/Heidelberg. 11 Uhr am Vormittag. Noch zwei Stunden bis zum Schichtbeginn. Die Sonne über Heilbronn lacht, der Kaffee schmeckt heute besonders gut. Noch ein kurzer Blick auf die aktuellen Staumeldungen: Freie Fahrt in Richtung Mannheim! Die besten Voraussetzungen für einen angenehmen Arbeitstag. Übermotiviert setze ich mich hinter das Steuer mit Kurs auf die Autobahn A6.
Das Radio spielt gerade die letzten Töne von Louis Armstrongs "What A Wonderful World". Dann läuft "The Eye Of The Tiger". Und da passiert es. Schon wieder. Kurz nachdem ich auf die A6 bei Untereisesheim aufgefahren bin, sehe ich bereits auf der rechten Fahrbahn eine kilometerlange Lastwagen-Kolonne. Vor mir der erste Warnblinker. Neben mir ein zweiter. Stau. Und täglich grüßt das Murmeltier.
Mein Bremspedal halbiert den Tachostand von 100 Kilometern pro Stunde auf rund 50. Ping! Eine WhatsApp-Nachricht des RNZ-Newsletters poppt auf dem Display meines Smartphones auf, das auf der Handyablage geparkt ist: "Schwerer Unfall: Die A6 bei Bad Rappenau ist derzeit in beide Richtungen gesperrt", heißt es da. Die Fahrzeuge vor mir haben nun den kompletten Stillstand erreicht. Nichts geht mehr.
>>> Lesen Sie hier den RNZ-Faktencheck zur Situation auf unseren Autobahnen <<<
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Zwischen meinem Zuhause im Heilbronner Stadtteil Böckingen und dem Parkhaus in der Heidelberger Poststraße liegen genau 70 Kilometer, die über die viel befahrenen Autobahnen A6 und A5 führen. Eine Strecke, die für geübte Fahrer in 45 Minuten zu meistern ist. Wären da nicht die Dauerbaustellen zwischen Untereisesheim und Bad Rappenau sowie zwischen Sinsheim und Wiesloch/Rauenberg. Und das sind nur die aktuellen. Die A5 ist derzeit – zumindest auf meinem Arbeitsweg – frei. Das war im vergangenen Jahr anders. Und hat mich so manchen Anruf beim Chef gekostet und in Erklärungsnot gebracht.
Wer von Heilbronn nach Heidelberg pendelt und sich gegen die Landstraße entscheidet, der sollte nicht nur eine Lebensversicherung abgeschlossen haben, der muss sich auch in Geduld üben. Denn spätestens ab Kilometer 9 – nach dem Warm-Up auf der Neckartalstraße – beginnt der tägliche Verkehrswahnsinn. Vor allem dann, wenn sich die Pendlerlawine durch die Autobahnbaustellen wälzt oder es wieder mal einen Unfall gab. Ein A6-Pendler weiß längst die Stoßzeiten im Berufsverkehr zu meiden.
Wohlwollend nimmt man dafür gerne mal ein oder zwei Überstunden in Kauf oder schleicht sich anderntags etwas früher aus der Redaktion, nur um nicht in das tägliche Stau-Chaos zu geraten. Dennoch passiert es auch einem erfahrenen Berufspendler ganz selten, dass er es zeitlich nicht schafft, sich zwei Stunden vor Arbeitsbeginn in die Blechkiste zu schwingen. Die Folge dieser Leichtsinnigkeit: verschwendete Lebenszeit auf der Straße. Staumelder, moderne Navigationsgeräte und Push-Nachrichten durch diverse Apps und Nachrichtendienste gehören deswegen zum Survival-Kit eines staugeplagten Pendlers. Auch wichtig: ein Wasservorrat für mehrere Stunden. Nur für alle Fälle. Wenn sich gar nichts mehr bewegt.
Wenn einer dieser Fälle eintritt, hilft nur eine Überlebensstrategie, um nicht vor Langeweile ins Lenkrad zu beißen: Ablenkung. Zum Beispiel, indem man andere Verkehrsteilnehmer beobachtet. Ein freundliches Nicken nach links, ein Augendrehen zum Nachbar nach rechts. Schon kommt man ins Gespräch und klagt sich gegenseitig sein Leid. Man versteht sich einfach. Pendler der A5 und der A6 sind sowieso solidarisch. Man sitzt im selbem Boot, wenn auch nicht im selben Auto. Auf der verhassten Autobahn.
14 Uhr. Der Stau löst sich langsam auf, der Verkehr rollt wieder. Aus den Lautsprecher-Boxen des Radios tönt mittlerweile Bobby McFerrins "Don’t Worry, Be Happy". Meine Laune ist im Keller. Mit rund 60 Minuten Verspätung erreiche ich abgehetzt und völlig entnervt die Redaktion. Mein Chef setzt dieses wohlbekannte, mitleidsvolle "Du-arme-Pendlerin"-Schmunzeln auf, das mich mit großer Wahrscheinlichkeit auch am nächsten Tag wieder begrüßen wird.