"Das Virus wird nicht mehr verschwinden"
Im vierten Corona-Talk in der Schwetzinger Wollfabrik ging es um Aspekte aus Medizin und Pflege - Experten für weitere Lockerungen

Von Stefan Kern
Schwetzingen. Beim vierten "Talk aus der Wollfabrik" haben sich Moderator Rolf Kienle und seine Gäste der Medizin in der Coronakrise gewidmet. Am Ende stand die wenig überraschende Erkenntnis, dass die Menschen in Zukunft mit dem neuen Virus leben müssen. "Es wird nicht mehr verschwinden", sagte etwa Professor Daniel Rost, Chefarzt der Inneren Medizin 2 der GRN-Klinik Schwetzingen. Es sei vielmehr eine gesellschaftliche Realität, die alle zur Anpassung zwinge.
Sichtbares Symbol hierfür sei alleine der Mundschutz, so der Leiter im Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises, Rainer Schwertz. Dieser werde über die akute Krise hinaus zum Alltag der Menschen gehören. Eine Veränderung werde sich aber auch in der Wahrnehmung und Wertschätzung der Pflegeberufe einstellen müssen, wie Kienle mit der Geschäftsführerin der Alten- und Krankenpflege Oftersheim, Carmen Kurz-Ketterer, erörterte. In einem Brief hatte sie versucht, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für die Belange ihrer Berufsgruppe zu sensibilisieren. Es sei ja schön, dass man in Sonntagsreden als "systemrelevant" gelte und von Bürgern beklatscht werde. Doch am Ende gehe es um Wertschätzung, die sich etwa ganz praktisch auch darin ausdrücken müsse, dass ambulante Pflegedienste genug Schutzkleidung oder Desinfektionsmittel bekommen. Vorwürfe machte sie Spahn keine. Dieser kenne "diese Welt und ihre Nöte" einfach nicht.
Kurz-Ketterer war überzeugt, dass der Mangel an Pflegekräften auch mit der fehlenden Wertschätzung zusammenhängt. Und mit der Vergütung. Es sei schon eigentümlich, dass Menschen, die mit Maschinen arbeiten, stets deutlich mehr Geld verdienen als Menschen, die sich um Menschen kümmern.
Es gab so viel Gesprächsstoff in der Runde, dass die 60 Minuten schnell vorbei waren und Kienle mit seinen Gästen in die Verlängerung ging. Dabei war Schwertz nur kurz auf die Corona-Zahlen im Rhein-Neckar-Kreis eingegangen. Für ihn eine Erfolgsgeschichte der getroffenen Schutzmaßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung. Bis dato seien fast 8000 Menschen getestet worden, 1100 davon hätten einen positiven Befund gehabt. Über 900 seien wieder gesund, 35 leider an den Folgen verstorben.
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Im Vergleich zum Land stehe der Kreis gut da: "Auf 100.000 Menschen kommen in Baden-Württemberg 300 Infizierte, im Rhein-Neckar-Kreis sind es 150." Man habe früh und klar reagiert. Das zahle sich nun aus. Auch an der GRN-Klinik. Früh, so Rost, habe man sich vorbereitet, sich auf das Schlimmste eingestellt, aber sicher nicht "überreagiert". Italien war Warnung genug. Vergangene Woche lagen in der GRN-Klinik noch 60 Covid-19-Patienten. "Jetzt ist es noch einer". Es sei nicht so dramatisch gekommen, wie befürchtet. Besser so.
Kienles vierter Gast, der niedergelassene Facharzt für Allgemeinmedizin, Sportmedizin und Naturheilverfahren, Hans-Jürgen Scholz, teilte Rosts Ansichten. Auch die Einrichtung des Fieberzentrums sei eine gute Reaktion gewesen, etwa zum Schutz vor Infektionsrisiken für Arztpraxen. Verdachtsfälle seien an den Praxen vorbei hierher geleitet und untersucht worden. 90 Patienten wurde so getestet, wovon zwei das Virus hatten.
Einig war sich die Runde auch über die Wirksamkeit des Mundschutzes. Diesen in Geschäften oder öffentlichen Verkehrsmitteln zu tragen, sei "ganz klar sinnvoll", so Schwertz. In Kombination mit dem Abstandsgebot würden die Masken das Infektionsrisiko senken. Für Rost sind sie gar ein Symbol für die gelebte Verantwortung gegenüber dem Nächsten. Und sie seien wichtig für weitere notwendige Öffnungen. Rost sagte, wer jetzt Kitas und Schulen nicht unter Vorgaben öffnen wolle, der finde auch in vier Wochen keinen Grund dafür. Man könne die Subsysteme einer Gesellschaft nicht ewig geschlossen halten.
Info: Am Mittwoch, 6. Mai, 18 Uhr, ist das Thema im "Talk aus der Wollfabrik" die Bildung – und die Auswirkungen des Coronavirus auf die Schullandschaft.



