Corona-Krise

Für die  Schausteller ist es "der blanke Horror"

Mannheimer Schaustellerverband warnt vor Insolvenzen und fordert ein Ende des Stillstands für seine Betriebe

24.06.2020 UPDATE: 25.06.2020 12:00 Uhr 3 Minuten, 24 Sekunden
Wann dürfen Buden wieder ihre Produkte und Spiele anbieten? Wann dürfen sich die Fahrgeschäfte wieder drehen? Für die Schausteller hängt ihre Zukunft von den Antworten auf diese Fragen ab. Foto: Dorn

Von Carsten Blaue

Mannheim. Bei der 185. Hauptvorstandssitzung des Deutschen Schaustellerbundes mit Sitz in Berlin wird es an diesem Donnerstag nur um das eine gehen: um die dramatische Lage der Branche nach der Absage von Volksfesten aller Art im Zuge der Corona-Krise. Die Interessenvertreter wollen, dass die Schausteller wieder ihrer Arbeit nachgehen können – zumal in Fußgängerzonen und Biergärten wieder Betrieb herrscht und vor allem auch Freizeitparks wieder geöffnet sind. Auch ein Anschlussprogramm zu den bestehenden Konjunkturpaketen fordert das Gewerbe, das keine Aussichten auf Besserung sieht. Weil auch schon die meisten Herbstvolksfeste auf der Kippe stehen und selbst die diesjährigen Weihnachtsmärkte. "Es ist der blanke Horror", sagt Stephan Schuster, der Vorsitzende des Mannheimer Schaustellerverbandes.

Für viele Beschicker auch in der Region waren die Weihnachtsmärkte des vergangenen Jahres die letzte Einnahmequelle. 42 von ihnen machten noch etwas Geschäft beim ersten Wochenende des Schriesheimer Mathaisemarkts im März, bevor auch dieser vorzeitig abgebrochen wurde. Seitdem stehen die Fahrgeschäfte still, die Grills sind kalt und die Tombola-Gewinne eingemottet. "Verzweiflung macht sich breit", sagt Schuster zur Stimmung unter den knapp 100 Mitgliedern seines Verbandes, den es seit über einem Jahrhundert gibt.

Insolvenzen würden drohen, sagt der Verbandschef: "Und wenn es so weitergeht, dann werden es viele sein. Dann ist keiner mehr von uns da." Denn wie solle man denn die Einnahmeausfälle kompensieren, fragt er. Die in der Saison beschäftigten Mitarbeiter – der größte Teil davon laut Schuster aus Polen und Rumänien – sei dieses Jahr gar nicht erst angereist. "Und wir hängen völlig in der Luft. Keiner traut sich mehr, irgendwas zu tun. Wir sind nur noch Passagiere."

Doch ganz so tatenlos wollen sich die Schausteller dann doch nicht in ihr Schicksal ergeben. Auch Schuster nicht. Denn er sieht durchaus Chancen, für seine Branche faire Perspektiven zu erreichen: "Wir finden den momentanen Stillstand nicht mehr nachvollziehbar", sagt Schuster. Es sei schon eigenartig und fragwürdig, dass Bäder und Freizeitparks hierzulande wieder Gäste begrüßen, es aber im Schaustellergewerbe nicht weitergehe. Selbst im benachbarten Ausland würden schon wieder die ersten Volksfeste gefeiert, "und da erreichen mich Bilder, da sehen Sie nichts von Masken oder Abstand."

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Schuster will an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden: "Wir wollen und würden unsere Besucher nie gefährden. Wir könnten Hygiene- und Abstandskonzepte umsetzen." Was er sich also wünscht, ist gleiches Recht für alle. Und offenbar soll es nicht beim Wunsch bleiben. Laut Schuster erwäge die Branche in den Bundesländern Klagen auf Gleichbehandlung. Denn am wichtigsten ist den Schaustellern, endlich wieder selbst Geld zu verdienen, um überleben zu können. Deshalb klammert sich die Branche noch an die Hoffnung auf die Weihnachtsmärkte in diesem Winter.

Zumindest eine Chance würde Schuster auch in zeitlich befristeten Freizeit- und Vergnügungsparks sehen. So einen Rummel hat unlängst die Mannheimer SPD für den Neuen Messplatz der Quadratestadt vorgeschlagen. Zuvor hatte schon die CDU-Fraktion die Mannheimer Stadtverwaltung zum Handeln aufgefordert, um Einnahmeausfälle der Branche zu kompensieren. Verkaufsflächen auf Wochenmärkten oder Jahrmärkte mit begrenzter Besucherzahl müssten geprüft werden. Die Volksfestkultur müsse schrittweise neu belebt werden. Die Union empfiehlt hier auch einen Blick in andere Städte. "Paradebeispiel" sei Worms. An der Rheinpromenade dreht sich seit 11. Juni über den gesamten Sommer hinweg ein 35 Meter hohes Riesenrad der Schaustellerfamilie Göbel, die auch den Schriesheimer Mathaisemarkt beschickt und hier Gastgeber der beliebten RNZ-Riesenradweinproben ist.

Trotz der politischen Unterstützung und aller damit verbundenen Hoffnung ist Verbandschef Schuster auch Realist. Selbst wenn es die Möglichkeit gäbe, seinem Gewerbe durch einzelne Aktionen oder Vergnügungsparks unter Auflagen einen Lichtblick zu geben, so sei damit noch lange nicht sicher, dass auch Umsätze erlöst werden, die zumindest die Kosten decken: "Es gibt ja viele Gäste, die aufgrund der aktuellen Situation gar nicht erst kommen. Für uns ist also die Frage, ob wir genug verdienen würden." Daher bedarf es zusätzlich auch der staatlichen Unterstützung für einen Geschäftszweig, der besonders saisonabhängig ist.

Die Fahrgeschäft- und Budenbetreiber verdienen in der Zeit der Volksfeste auch das sogenannte "Wintergeld", mit dem sie die einkommensschwachen Monate überbrücken. Das fällt jetzt weg, was die Lage zusätzlich verschärft. Zumal es November werden könne, so Schuster, bis überhaupt Geld aus dem Konjunkturprogramm ausgezahlt wird. Auch deshalb fordert der Deutsche Schaustellerbund ein Folgeprogramm, das unter anderem die laufenden Zahlungsverpflichtungen seiner Betriebe berücksichtigt. Noch wichtiger als die Förderung ist aber die Aussicht darauf, dass die Schausteller wieder ihrer Arbeit nachgehen können. Auch deshalb positioniert sich der Verband entsprechend.

Schuster will sich gar nicht ausmalen, was passiert, wenn auch die Weihnachtsmärkte in der Region ausfallen. Er wird sich mit diesem Szenario beschäftigen müssen. Als erste Stadt in der Region hat Sinsheim am Mittwoch ihren Budenzauber am ersten Adventswochenende abgesagt. Die Planung müsse schon jetzt beginnen und binde zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen. Und weil weder der Verlauf der Corona-Pandemie noch mögliche Verlängerungen von Veranstaltungsverboten gar nicht absehbar seien, werde der Planungsaufwand zum Risiko.

Bei der für die Mannheimer Weihnachtsmärkte zuständigen Event & Promotion Mannheim GmbH, einer Tochtergesellschaft der Stadt, gibt man die Hoffnung derweil noch nicht auf: "So lange es geht, wollen wir an unseren Plänen festhalten und haben auch noch nichts abgesagt, denn wir wissen um die Lage der Beschicker. Wir werden versuchen, das Beste aus der Situation und unter den dann geltenden Verordnungen und Bedingungen zu machen", sagt Geschäftsführerin Christine Igel.

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