Bergstraße

Weinlese begann so früh wie noch nie

Auch die Winzer an der Hessischen Bergstraße müssen sich über den Klimawandel und Schädlinge Gedanken machen

21.08.2018 UPDATE: 22.08.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 34 Sekunden

Am Ende droht Fäulnis: Eine Wespe frisst eine Beere an einer Weintraube an. Fotos: Stein

Von Ira Schaible und Thomas Maier

Heppenheim/Geisenheim. Die hessischen Winzer haben am gestrigen Dienstag an der Hessischen Bergstraße mit der Weinlese begonnen. "Wir sind so früh dran, wie noch nie", sagte der Geschäftsführer der Bergsträßer Winzergenossenschaft, Otto Guthier. Einige Betriebe hätten schon in der vergangenen Woche frühe Trauben für Sektgrundwein geerntet. Vereinzelt hat die Lese auch schon im Rheingau begonnen. Derweil machen sich die Winzer in den Weinbaugebieten der Region so ihre Gedanken über einen Schädling, der schon "vor den Toren" stehe, wie Annette Reineke sagt. Die Professorin, die das Institut für Phytomedizin an der Weinbau-Hochschule in Geisenheim im Rheingau leitet, spricht von der Amerikanischen Rebzikade.

Im Elsass, in der Schweiz und in Österreich hat sie sich schon breitgemacht und gewütet. Jetzt sollen spezielle Fallen in den Weinbergen und ein strenges Monitoring verhindern, dass sie auch hierzulande Schaden anrichtet. In Frankreich wird die Zikade schon mit der Reblaus verglichen, die dem Weinbau Anfang des 19. Jahrhunderts in vielen Landstrichen Europas den Garaus machte. Dabei ist es nicht das Insekt selbst, sondern ein von ihm übertragenes Bakterium, das den Weinstock befällt. Ist dieser erkrankt, muss er komplett vernichtet werden.

Annette Reineke

Die Wärme liebende Rebzikade wurde schon vor 60 Jahren in Südeuropa nachgewiesen. Ihren anscheinend unaufhaltsamen Vormarsch nach Norden verdankt sie dem Klimawandel. Sie zeigt, dass die höheren Temperaturen an Rhein, Main, Neckar oder Mosel auch den Rebschutz vor ganz neue Herausforderungen stellt. Die nach Mitteleuropa eingeschleppten Insekten vermehren sich in wärmeren Gefilden in der Regel stärker und haben höhere Populationen.

Das gilt auch für die Kirschessigfliege, die von Asien nach Europa eingewandert ist und den Winzern und Obstbauern seit Jahren schwer zu schaffen macht. In den milden Wintern kann sie gut überleben und sich in feucht-warmen Sommern stark vermehren. Daher gibt es dieses Jahr Entwarnung. In den vergangenen Monaten sei es der Kirschessigfliege einfach zu heiß gewesen, sagt Reinhard Antes, Vorsitzender der Bergsträßer Winzergenossenschaft. "Da wird nichts mehr anbrennen", glaubt er. "Wir wissen nicht, was noch kommt", gibt sich Peter Seyffardt, Präsident des Rheingauer Weinbauverband, etwas zurückhaltender. Außerdem sind es auch Wespen und Bienen, die die Trauben nur zu gerne anfressen, sodass sie faulen.

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Zusammen mit dem Deutschen Wetterdienst und dem Weinbauamt Eltville gibt die Hochschule Geisenheim den Winzern im Rheingau und an der Hessischen Bergstraße Empfehlungen, wie sich die Schädlinge im Weinberg entwickeln und was gespritzt werden muss. Generell werden nur wenig Insektizide im Weinberg eingesetzt. Der Anteil der Fungizide, die gegen Pilze wirken, ist weit höher.

Neben Insekten kommen noch zwei weitere Probleme hinzu: Das Klima und Wildschweine. Deren Populationen sind für den Winzer eine immer größere Gefahr: "Denn sie haben sich dramatisch ausgeweitet", sagt Antes. Die Schweine wühlen im Boden nach Engerlingen und halten sich auch an Trauben gütlich. Im Rheingau werden Spätburgunder-Parzellen deshalb eingezäunt. "Wildschweine sind Feinschmecker", witzelt Seyffardt. Der Klimawandel ist es, der nicht nur invasive Arten begünstigt, sondern die Trauben auch schneller reifen lässt - mit der Folge, dass sie immer früher gelesen werden. Ein Forschungsprojekt in Geisenheim untersucht außerdem, wie der steigende Kohlendioxid-Gehalt in der Luft auf die Reben wirkt.

Eines steht für die Forscher fest: In einigen Jahrzehnten wird der Wein anders schmecken. Schon jetzt steigt der Zuckergehalt in den Trauben - bei verminderter Säure. Davon profitieren Rotweinsorten, die bisher in Deutschland nicht angebaut wurden. Doch beim Riesling, dem deutschen Vorzeigeprodukt auch in Übersee, ist diese Entwicklung nicht erwünscht. Er könnte zu den Verlierern gehören. Doch die Winzer beschäftigt zunächst der aktuelle Jahrgang.

An der Bergstraße wurden gestern in der Lage Heppenheimer Stemmler rund 3200 Kilogramm der pilzwiderstandsfähigen Solaris-Traube geerntet - mit einem Mostgewicht von 112 Grad Oechsle. Normal seien 80 bis 100: "Das spricht für einen guten Jahrgang", sagte Guthier. Anschließend wurden schätzungsweise 6000 Kilo Frühburgunder-Trauben in den Keller gebracht. Der Oechsle-Grad betrug mehr als 90. Beim Rotwein sei eine "super Ernte" zu erwarten. Beim Weißwein hänge es wegen der lang anhaltenden Trockenheit sehr vom Standort und dem Alter der Reben ab, so Guthier. Bei jüngeren Anlagen insbesondere mit Sandböden gebe es deutliche Trockenschäden.

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