Anträge gefälscht, Sozialleistungen erschlichen

Razzia in Problem-Immobilien in der Mannheimer Neckarstadt (Update)

Vier Männer sollen schwierige Situation von Südosteuropäern skrupellos ausgenutzt haben. Der Schaden geht in die Hunderttausende.

01.07.2020 UPDATE: 01.07.2020 19:30 Uhr 2 Minuten, 8 Sekunden
Razzia der Polizei in Mannheim Neckarstadt.
Foto: PR Video

Von Alexander Albrecht

Mannheim. So sieht es aus, wenn die geballte Staatsmacht anrückt: Ein Dutzend Polizeitransporter stehen in der Käfertaler Straße und der Gutenbergstraße, unzählige Uniformierte wuseln herum, kontrollieren die Lage oder stellen Personalien fest. Zollbeamte schleppen kistenweise Dokumente zu den Einsatzfahrzeugen. Großeinsatz am Mittwochmorgen in der Neckarstadt-Ost.

Im Zentrum der Razzia: drei in die Jahre gekommene Flachdach-Immobilien. Hinter dem Milchglas in den Erdgeschossen arbeiten Autolackierer und Gebrauchtwagenhändler. In den darüberliegenden Etagen leben Menschen auf engstem Raum, hauptsächlich Südosteuropäer. Auch Familien mit Kindern. Die Ermittler sprechen von "Problemimmobilien". Sie waren vor der Aktion davon ausgegangen, dass in den Gebäuden insgesamt 30 Zimmer vermietet werden. "Tatsächlich sind es mehr als 50", sagt Einsatzleiter Christopher Weselek.

Offenbar sind in mehreren Wohnungen Rigipswände eingezogen worden. Um noch mehr Geld mit den "Opfern" zu verdienen, wie Weselek die Bewohner nennt. Die Behörden vermuten, dass drei Brüder, denen die Häuser gehören und die die Betriebe führen, Mietwucher und Sozialbetrug in großem Stil betreiben. Das Trio und ein "Verwalter" sollen den oft nur schlecht oder gar kein Deutsch sprechenden Mietern beim Ausfüllen von Anträgen auf staatliche Unterstützung "geholfen" haben. Der Verdacht: Sie gaben auf den Formularen zum Beispiel die Fläche mancher Wohnungen mit 30 Quadratmetern an, die in Wahrheit nur zehn Quadratmeter groß sind.

Dadurch erhielten die Mieter vom Jobcenter höhere Zuschüsse, als ihnen zustanden. Das Geld floss in die Taschen der skrupellosen Immobilienbesitzer, die entsprechend mehr Miete verlangten. Die Männer sollen sogar bei den Anträgen auf Kindergeld der Bewohner getrickst haben. Zudem stehen Urkundenfälschungen im Raum. Wie die Polizei am Mittwochnachmittag mitteilt, könnten die erschlichenen Leistungen mehrere Hunderttausend Euro betragen. Die Razzia steht in Zusammenhang mit der Aktion "Sichere Neckarstadt", die dafür sorgen soll, dass sich die Menschen in dem nicht unproblematischen Viertel wieder etwas wohler fühlen.

Insgesamt sind 270 Polizisten und Vertreter von Zoll, Stadt, Feuerwehr und Landeskriminalamt im Einsatz. Sie entdecken und protokollieren wild verlegte Elektrokabel und etliche Verstöße gegen den Brandschutz. "Im Fall eines Feuers könnten die Flure zur Sackgasse geraten, was schlimme Folgen hätte", weiß Weselek. Die Bewohner lebten hauptsächlich von Aushilfsjobs, die durch staatliche Hilfe aufgestockt wurden. Hinweise auf illegale Prostitution gebe es nicht. Bei zwei Personen klicken allerdings die Handschellen, gegen sie lagen Haftbefehle vor. Daneben stellen die Beamten jeweils zwei Verstöße gegen das Betäubungsmittel- und das Waffengesetz vor. Außerdem wurde in zwei Fällen Arbeitslohn vorenthalten und veruntreut sowie einmal gegen das Mindestlohngesetz und die Meldepflicht verstoßen.

Vorläufig und um einer möglichen Obdachlosigkeit zu entgehen, dürfen die Bewohner in ihren Wohnungen bleiben. Für die 72 Menschen, die bei der Razzia angetroffen werden, muss die Stadt nun nach einer Lösung suchen. Es ist davon auszugehen, dass die Verwaltung die Problemimmobilien auflöst. Auf die Ermittler und Behördenvertreter kommt nun eine Sisyphusarbeit zu. Sie müssen beschlagnahmte Unterlagen und Beweismittel auswerten.

"Es geht uns darum, zu detektieren, ob es zu Sozialbetrug im Land kommt und wie er funktioniert", erklärt Oliver Hoffmann, stellvertretender Leiter der Abteilung für Wirtschaftskriminalität beim Landeskriminalamt, warum die Behörde an der Razzia mitwirkt. Mannheim drängt sich als "Hotspot" fast schon auf. Dort leben mehr als 10 000 Südosteuropäer, im Wesentlichen sind das Bulgaren und Rumänen. Die Stadt hat in der Vergangenheit viele Problemimmobilien "stillgelegt", einige wenige aufgekauft, saniert und über die kommunale Wohnungsbaugesellschaft GBG wieder vermietet.

Update: Mittwoch, 1. Juli 2020, 19.30 Uhr

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