Afrikanische Schweinepest

Jagdverbot sorgt für explosionsartige Wildschwein-Vermehrung

Wenn nicht bald etwas passiert, bekomme man das Problem nicht mehr in den Griff, warnt die Heidelberger Jägervereinigung. Eine Lockerung der Jagdeinschränkungen ist in Sicht.

23.11.2024 UPDATE: 23.11.2024 04:00 Uhr 3 Minuten, 25 Sekunden
Ein Jäger mit Schalldämpfer am Gewehr steigt auf seinen Hochsitz. Symbolbild: dpa

Von Stefan Hagen

Heidelberg/Rhein-Neckar. Eine Rotte Wildschweine kommt im Galopp aus dem Wald und fällt gierig über ein Maisfeld her – zurückbleibt verwüstete Erde. In den Weinbergen an der Bergstraße ist der Boden zerwühlt, die Reben sind zerstört, hier wächst so schnell nichts mehr. Wildschweine, überall Wildschweine, nichts kann sie aufhalten. So sieht für Ralph Steffen wohl die Apokalypse aus.

Nur ein Albtraum, natürlich. "Aber wenn wir jetzt nicht gegensteuern, bekommen wir das nicht mehr in den Griff", sagt der Kreisjägermeister der Heidelberger Jägervereinigung. Damit spielt der Waidmann auf die Allgemeinverfügung in Bezug auf die Afrikanische Schweinepest (ASP) an. Laut Regelung ist die Jagd auf Schwarzwild in der sogenannten "Infizierten Zone" (siehe Hintergrund unten) noch immer verboten.

Kreisjägermeister Ralph Steffen (links) berichtet vom immensen Appetit der Wildschweine: Rechts ist die Drohnenaufnahme eines Maisfelds bei Ursenbach zu sehen, das von den „Schwarzkitteln“ heimgesucht wurde. Fotos: dpa/zg

Hintergrund

> In der Infizierten Zone (Sperrzone II) liegen aktuell folgende Städte und Gemeinden des Rhein-Neckar-Kreises: Laudenbach, Hemsbach, Weinheim, Edingen-Neckarhausen, Heddesheim, Hirschberg, Ilvesheim, Schriesheim, Ladenburg, Wilhelmsfeld, Heiligkreuzsteinach und Dossenheim.

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> Was gilt in der Infizierte Zone? Für die Sperrzone II gelten weiterhin unter anderem Vorgaben wie eine Leinenpflicht für Hunde, um die Wildbestände nicht aufzuscheuchen. Darüber hinaus ist das Radfahren, Reiten, Fußgängerverkehr und das Fahren mit Krankenfahrstühlen im Waldgebiet ausschließlich auf befestigten Waldwegen oder gekennzeichneten Rad-, Reit- und Wanderwegen gestattet. Die Nutzung von Mountainbike-Trails ist untersagt ebenso wie Geocaching und Schnitzeljagden. Grillplätze dürfen nur dann genutzt werden, wenn sie sich innerhalb oder im unmittelbaren Umfeld (maximal 100 Meter) von im Zusammenhang bebauten Ortslagen befinden. RNZ


"Und das merken die Wildschweine", weiß Steffen. Er hat beobachtet, dass die "Schwarzkittel" immer dreister bei der Futtersuche werden und sich geradezu explosionsartig vermehren. "Wir müssen was tun", lautet sein Fazit. "Die fressen uns sonst die Haare vom Kopf."

Zwar müssten die Jagdpächter in Zeiten von Jagdverboten nicht für den Schaden, den das Wild verursacht, aufkommen. "Aber das bleibt dann eben am Steuerzahler hängen", sagt Steffen hörbar verärgert. Das gehe allein im hiesigen Bereich "in die Hunderttausende".

Und da bislang im Rhein-Neckar-Kreis nach wie vor lediglich ein infiziertes Wildschwein nördlich von Hemsbach entdeckt wurde, ist für die "Grünröcke" das Jagdverbot in der Allgemeinverfügung nicht mehr verhältnismäßig.

Positiv aus Sicht der Jäger: Im Landwirtschaftsministerium und im Landratsamt hat wohl ein Umdenken begonnen. Nachdem sich monatelang nichts getan hat, ist nun eine Lösung in Sicht. Auf Initiative des Landratsamtes haben sich Landkreis, Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz sowie die Jägervereinigungen Anfang der Woche in Heidelberg getroffen.

> Task Force der Jägervereinigungen: Um mit einer Stimme zu sprechen, haben sich die Jägervereinigungen Heidelberg und Mannheim in einer Task Force "ASP-Gruppe Rhein-Neckar" zusammengeschlossen und im Vorfeld des Treffens ein Konzept erarbeitet. Der Kernvorschlag: gezielte Ansitzjagd, also vom Hochsitz aus, mit Schalldämpfer und Wärmebildkamera in der Infizierten Zone. "Das macht wenig Terror im Wald", sind sich Ralph Steffen, Alexander Thon und Stefan Ewald von der Jägervereinigung Heidelberg sicher. "Diese Form der Jagd ist effektiv und wird die Tiere nur gering aufschrecken", betont Steffen.

> Kreuz und quer durch die Botanik: Er als Jäger wisse um seine Verantwortung: "Jedes Mal, wenn wir aus dem Wald kommen, sollen wir die Räder des Autos, die Schuhe und sogar die Pfoten des Hundes desinfizieren", betont Steffen. Andere hingegen würden kreuz und quer durch die Botanik rennen. "Viele Hundebesitzer, Pilzsammler und Mountainbiker verschwenden scheinbar keinen Gedanken an die geltenden Vorgaben; die machen einfach, was sie wollen", ärgert sich Steffen. Sein Fazit: "Wir Jäger machen definitiv wesentlich weniger Krawall. Deshalb hoffen wir, dass die Ansitzjagd jetzt zeitnah genehmigt wird."

> Das bietet das Ministerium an: Beim Treffen im Landratsamt erlebten die versammelten Jäger dann eine echte Überraschung. "Das Ministerium wusste, dass wir etwas anbieten", sagt Ralph Steffen und staunte nicht schlecht, als Referatsleiter und Jagdreferent Jörg Ziegler seitens seiner Behörde einen fast identischen Vorschlag aus dem Ärmel zauberte. "Man kann sich vorstellen, dass die Ansitzjagd in der Infizierten Zone für den Dezember wieder genehmigt wird", fasst Steffen zusammen. Das Ganze ist allerdings an Bedingungen geknüpft: So müssen die Lücken in den Zäunen entlang der Kreisgrenze zu Hessen geschlossen werden. Solche Lücken gibt es beispielsweise bei Brücken über die Weschnitz für Traktoren oder bei Unterführungen etwa für Radfahrer. Hier werden in den kommenden Tagen Tore angebracht. Absolute Voraussetzung für eine Lockerung der Vorschriften sei aber, dass kein weiteres infiziertes Wildschwein gefunden werde. "Dann könnten wir etwaige Lockerungen vergessen", weiß Steffen.

> Das sagt das Landratsamt: Man stehe in engem Kontakt mit dem Ministerium, lässt Doreen Kuss, Ordnungs- und Gesundheitsdezernentin, verlauten. Das Infektionsgeschehen sei insbesondere im benachbarten Kreis Bergstraße weiterhin sehr dynamisch. "Wir gehen aber davon aus, dass angesichts des nach wie vor einzigen Fundes eines ASP-positiven Wildschweines in Baden-Württemberg zeitnah Lockerungen des Jagdverbots möglich sind", sagt Kuss. Voraussetzung hierfür sei in jedem Fall, dass die entsprechenden Zaunanlagen stehen. Die Arbeiten hierfür seien bereits begonnen worden. "Wir sind zuversichtlich, dass – bei gleichbleibender Gesamtlage – Lockerungen noch im Dezember umgesetzt werden können."

> Nützlicher Tipp: Und wie verhält man sich, wenn man als Spaziergänger einem "wütenden" Wildschwein begegnet? "Dann machen Sie sich ganz groß, rudern wild mit den Armen und schreien", rät der Kreisjägermeister. Und wenn sich das Wildschwein davon nicht beeindrucken lässt? "Dann müssen Sie sich schnellstens einen geeigneten Baum suchen", sagt Ralph Steffen mit einem Augenzwinkern. Es sei aber sehr unwahrscheinlich, dass man einem dieser scheuen Tiere begegne...

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