Mannheim

Corona-Vokabular und Gender-Debatte

Am Institut für Deutsche Sprache untersuchen Linguisten die Entwicklung von Kommunikation.

12.08.2021 UPDATE: 13.08.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 25 Sekunden
Das Leibnitz-Institut für Deutsche Sprache befindet sich seit 25 Jahren in einem Backsteinbau in R 5. Fotos: Gerold

Von Olivia Kaiser

Mannheim. Impfdurchbruch, Maskenverweigerer, Coronakabinett oder AHA-Regel – noch im Februar 2019 hätten solche Worte ein Stirnrunzeln ausgelöst, hätte man sie in einem Gespräch fallen lassen. Heute gehören sie zum Standardwortschatz. Das Corona-Vokabular ist ein Beispiel dafür, wie sehr die Sprache im Fluss ist, sich entwickelt. Erfasst wurde der Corona-Wortschaft im Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Hier erforschen und dokumentieren Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler, auch Linguisten genannt, die Entwicklung der deutschen Sprache in Gegenwart und neuerer Geschichte. "Unser Vokabular verändert sich ständig", erklärt IDS-Direktor Henning Lobin. "Er ist ein Abbild dessen, was die Gesellschaft bewegt."

Die Erforschung der deutschen Sprache hat in Mannheim eine lange Tradition. 1964 wurde das Institut in Mannheim, wo bis 2013 auch der Dudenverlag ansässig war, gegründet. "Anfangs teilte man sich sogar die Räumlichkeiten", weiß Henning Lobin. Heute residiert das IDS in einem schmucken Backsteinbau in R 5. Der Linguistikprofessor ist seit 2018 Direktor des IDS und Inhaber eines Lehrstuhls für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim.

Henning Lobin

Im Zentrum der Arbeit am IDS steht die aktuelle Sprachentwicklung. So werden neue Wortschöpfungen wie das Corona-Vokabular im "Lexikon der neuen Wörter" erfasst. Auch wie sich die Bedeutung eines Worts verändern kann, zum Beispiel der Begriff Ehrenmann oder Ehrenfrau in der Jugendsprache, wird dokumentiert. "Dabei geht es übrigens nicht nur um das Hochdeutsche, sondern auch um Dialekte", erklärt Lobin. "Zum Beispiel, wie sich Dialekte auf die Standardsprache auswirken."

Der deutsche Referenzkorpus des IDS umfasst etwa 50 Milliarden Wörter. Er besteht unter anderem aus Wörtern aus Tageszeitungen, Zeitschriften, Sachbüchern, Belletristik und Wikipedia. Mithilfe des Referenzkorpus kann man zum Beispiel herausfinden, welches Wort gerade am häufigsten benutzt wird, in welchem Umfeld das geschieht und in welcher Art von Texten. Dabei wird der Einfluss von relevanten Themen sichtbar. So schoss beispielsweise der Gebrauch des Wortes Corona in der zweiten Märzhälfte 2020 geradezu durch die Decke.

Auch interessant
Keine klare Linie: Wie gendern?
Autor und Tagesschau-Sprecher: Constantin Schreiber über Gender-Sprache
Klischees und Stereotype: Wie rassistisch ist unser Spielzeug?

Doch nicht nur gesprochene Sprache ist von Bedeutung, auch die geschriebene – und da vor allem in digitalen Texten wie bei Nachrichtendiensten oder in sozialen Netzwerken. Neben Grammatik und Computerlinguistik ist das ein Forschungsschwerpunkt Lobins. "Dort wird ganz anders geschrieben", sagt er. "Fehler werden in Kauf genommen, Interpunktion oder Groß- und Kleinschreibung vernachlässigt, Dialektwortschatz wird benutzt und vieles durch Emojis ausgedrückt. Das ist ein hoch spannendes Feld." Etwas unerfreulicher, aber durchaus hochaktuell, ist die Forschung zu Hassreden (Hatespeech) oder Mobbing in sozialen Netzwerken, die ebenfalls am IDS geschieht.

Zudem ist das Institut für Deutsche Sprache Sitz des Rats der deutschen Rechtschreibung, dem alle sieben Länder angehören, in denen Deutsch eine Amtssprache ist: Österreich, die Schweiz, Liechtenstein, Belgien, Italien (Südtirol), Luxemburg und Deutschland. "Wir unterstützen das Gremium mit unseren Analysen", erklärt der IDS-Direktor. Ziele des Rats sind unter anderem die Bewahrung der Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum sowie die Klärung von Zweifelsfällen bei der Rechtschreibung.

Ein Projekt, das in der Öffentlichkeit großen Anklang finden dürfte, ist die Zusammenarbeit mit den Finanzministerien im Hinblick auf verständlichere Steuerbescheide. Dabei unterstützen Mitarbeitende des IDS die Behörden bei verständlicheren Formulierungen. Immer wieder werden Linguisten des IDS als Experten von Politik und Medien um Einschätzungen gebeten. "Momentan ist das Gendern ein großes Thema", erzählt Lobin. Eine Umfrage des IDS hat dabei ergeben, dass nur 17 Prozent der Befragten das generische Maskulinum, also die männliche Anrede für alle, bevorzugen. "Die meisten Frauen wollen in der weiblichen Form angesprochen werden", so Lobin. "Drei Drittel der Befragten möchten gezielt angesprochen werden." Die Befragten wurden nicht zu ihrer Meinung zum Gendern befragt, sondern wie sie bestimmte Dinge formulieren oder welche Wörter sie verwenden würden.

Aktuell seien die Fronten bei dem Thema verfahren, konstatiert der Linguistikprofessor. Doch: "Ohne Toleranz für das Andere kommen wir aus der Polarisierung nicht heraus", prophezeit er. Sicher ist: Gesellschaftliche Entwicklungen schlagen sich in der Sprache nieder. So dürfte es am Ende auch beim Gendern sein.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.