"Anticafé" Klokke

Kaffeekränzchen mit Stechuhr in Mannheim

Caroline Courbier und Swetlana Hermann haben einen neuen Trend nach Mannheim gebracht

06.08.2018 UPDATE: 07.08.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 36 Sekunden

Bei Swetlana Hermann (links) und Caroline Coubier zahlen die Gäste nicht ihre Speisen und Getränke, sondern die verbrachte Zeit. Foto: vaf

Von Marco Partner

Mannheim. Zeit ist Geld: In einem Café im Stadtteil Neckarstadt-West bekommt die oft zitierte Sprichwort einen ganz neuen Dreh. Nicht der bestellte Kaffee oder der verspeiste Kuchen werden im Café Klokke (norwegisch für Uhr) in der Mittelstraße am Ende des Besuches abgerechnet, sondern die dort verbrachte Zeit. Anticafé nennt sich das Konzept, das in Russland und anderen osteuropäischen Ländern bereits weit verbreitet ist, und nun auch erstmalig in Mannheim umgesetzt wird.

Der Kaffee brüht in der offenen Küche, die Laptops klimpern, Kekse, Müsli, Wassermelonen und selbst gemachte Aufstriche stehen auf einer Kochinsel bereit. Wie selbstverständlich macht sich eine Besucherin ein kleines Frühstück zurecht, greift nach einer Flasche Wasser im Kühlschrank - und setzt sich wieder auf ihren Platz. "Bei uns kann man sich einfach selbst bedienen, auch etwas Eigenes mitbringen und sein Essen aufwärmen", verrät Caroline Courbier, eine der beiden Besitzerinnen.

"Ein bisschen wie in einer Jugendherberge. Oder einem Hostel", ergänzt ihre Kollegin Swetlana Hermann - und widmet sich einem jungen Pärchen zu, das zunächst ein wenig unbeholfen im Raum steht. "Seid ihr zum ersten Mal bei uns?", fragt sie - eine Frage, die sie in den letzten Monaten häufig stellte. Seit Oktober gibt es das innovative Café, aufwendig dekoriert mit viel Holz und noch mehr Grün. Und einer alten Stechuhr, die einst in einem schwäbischen Familienbetrieb ihren Dienst tat. "Sie ist unser Eisbrecher", scherzt Svetlana Hermann - und lässt die beiden Erstbesucher ihre Zettel abstempeln. Die haben ab jetzt alle Zeit der Welt. Eine Stunde im "Klokke" kostet 5 Euro, dann kommen im Halbstundentakt maximal 1,50 Euro hinzu.

Weniger Café im klassischen Stil, sondern vielmehr zweites Wohnzimmer möchte man sein. Ein Ort, wo das Treffen über das Kaffeekränzchen hinausgeht. Deshalb stehen nicht nur Getränke und kleine Snacks, sondern auch Brettspiele, ein Tipi-Zelt für Kinder und kostenloses WLAN zur Verfügung. "Am Anfang gibt es meist noch Hemmschwellen. In der Küche eines Freunds bedient man sich ja auch nicht einfach so", betont Caroline Courbier. Doch spätestens beim zweiten Mal wissen die Besucher, wie der Hase läuft. Und der rennt keinesfalls so hektisch umher wie der Weiße Hase von Alice im Wunderland. Wer glaubt, dass die Kunden versucht sind, in einer Stunde möglichst viel zu verdrücken, der irrt. Das Café wirkt wie der Gegenentwurf zu einem "All you can eat"-Betrieb. Eher als Ort der Entschleunigung, bei welchem der Konsum in den Hintergrund rückt.

Genau das war es auch, was die zwei Mannheimerinnen zur Idee ihres Start-ups-Unternehmens führte. Nach ihren geisteswissenschaftlichen Studien in Karlsruhe und Greifswald liefen sich die beiden Freundinnen, die schon gemeinsam die Schulbank drückten, zufällig wieder in ihrer Heimatstadt über den Weg. Sofort war klar, dass sie eine Geschäftsidee ausbaldowern möchten. Nur wo, das war die Frage. Einfach in einem Café den Laptop ausklappen und stundenlang ungestört reden? "Das ist doch meist mit dem Druck verbunden, immer wieder etwas zu bestellen oder nicht allzu lange zu bleiben", weiß Hermann schon aus Studienzeiten. Deshalb kreierten sie ihren Wunschort einfach selbst, in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Optikers.

"Wir sind ein Hybrid aus drei verschiedenen Denkansätzen", beginnt Courbier zu erklären. Zum einen ist man ein gemütliches Café, dass den Kunden alle Freiheiten lässt. Wo man nicht bedient wird oder auf die Rechnung wartet, sondern selbst bestimmt, was und wie viel man konsumiert - und wie viel Zeit einem der Treff mit Freunden Wert ist. Zum Zweiten ist man ein Co-Working-Space, ein Ort zum Lernen und Arbeiten, wo Selbstbedienung auf Selbstverwirklichung trifft. Als dritte Komponente kommt das sogenannte "Hobby Lab" hinzu: Verschiedene Stammtische, wie Bücherclubs, Kräuterkreise, Yoga- und Science-Fiction-Kurse oder ein Zirkel junger Eltern, die das Anticafé bereits für sich entdeckt haben.

"Wir wollen Menschen zusammenführen", betont Hermann. Und manchmal vergeht die Zeit wie im Flug, werden aus der geplanten Stunde drei oder vier. "Das ist eigentlich das Schönste: Wenn die Zeit einfach vergessen - und nicht ständig auf die Uhr geschaut wird", findet Courbier.

Info: Das Café Klokke befindet sich in der Mittelstraße 19 und hat täglich von 9 bis 21 Uhr geöffnet. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage.

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